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Hubert Rohracher - (1903 - 1972) ; Lehr- und Forschungsjahre in Tiro... (1973)
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Wahrnehmung und Erinnerung und führt zur induktiven Metaphysik 1 . Rohracher ver¬
wendet in seiner Doktorarbeit die erkenntnistheoretische Terminologie Bechers zur Dar¬
legung der Erkenntnistheorie und Methodenlehre Fechners.

Fechner übte auf die Psychologie bedeutenden Einfluß aus, da er bemüht war, auf
empirisch-experimenteller Grundlage die Beziehungen zwischen Leib und Seele in mathe¬
matisch-exakte Form zu bringen (Psychophysik). 1860 waren seine „Elemente der Psy-
chophysik" erschienen. Damit schuf Fechner wertvolle Voraussetzungen zur Grundlegung
der Experimentalpsychologie, wie sie dann vor allem von Wilhelm Wundt in Leipzig
entscheidend vorgenommen worden ist 2 . Fechners naturphilosophisches System hat aller¬
dings seinen Ursprung in religiös-mystischen Vorstellungen. Seiner Erkenntnistheorie
entsprechend unterscheidet die Methodenlehre Fechners Wege des Wissens und Wege des
Glaubens. Der Weg des Wissens ist der logische Schluß, der sich auf Feststellungen der
unmittelbaren Erfahrung gründet. Die Wege des Glaubens sind der theoretische, der
praktische und der historische Weg. Der erstere besteht in der Verallgemeinerung von
Einzelfeststellungen durch Induktion und Analogie, der zweite beruht darauf, daß irrige
Voraussetzungen sich durch ihren Einfluß auf unser Denken, Fühlen und Handeln als
schädlich erweisen, der dritte — historische Weg schließlich geht von der Annahme aus,
daß wahr dasjenige sei, was sich in der Geschichte als Überzeugung dauernd hält. Dieser
dritte Weg dient Fechner hauptsächlich dazu, die Lehre des Christentums zu stützen.
Hier vor allem setzt die Kritik Rohrachers ein, der damit beginnt, sich von der rigo¬
rosen religiösen Vorstellungswelt seiner Heimat zu lösen und zu einer relativ fortschritt¬
licheren Konzeption zu gelangen. „Somit können" — so resümiert Rohracher (a.a.O.,
S. 61) — „von einem streng kritischen Standpunkt aus die Ergebnisse Fechners mit
wenigen Ausnahmen abgelehnt werden; sie sind nur durch Methoden gewonnen, welche
selbst zum Teil gar nicht begründbar sind, zum Teil eine so schrankenlose Anwendung
erfahren haben, daß sie die ihnen in der Sphäre der Wissenschaft zukommende Siche¬
rungskraft verlieren".

Noch während seiner Universitätsstudien hat der erst 21jährige Rohracher 1924/25
selbständig eine psychologische Arbeit fertiggestellt, die das Verhältnis zwischen Persön¬
lichkeit und Schicksal zum Gegenstand hatte und nach einer psychologischen Grund¬
legung eine allgemeine Theorie über die Beziehung zwischen der Individualität und dem
Schicksal des Einzelmenschen versuchte. Diese Arbeit erschien 1926 in Wien unter dem
Titel „Persönlichkeit und Schicksal. Grundlegung zu einer Wissenschaft und Philosophie
der Persönlichkeit". Das 135 Seiten starke Buch gliedert sich in drei Kapitel: das erste
handelt über „Geschick und Geschichte", das zweite über „Persönlichkeit und Kultur"
und das dritte über „Sinn und Zweck". Trotz der beinahe allen Erstlingsarbeiten anhaf¬
tenden Mängel und der offensichtlich jugendlichen Begeisterung für den Individualismus
war das auf einer umfassenden Kenntnis der reichen konstitutionspsychologischen Litera¬
tur stehende Buch vielbesprochen, und zwar nicht nur in der Fachliteratur, sondern auch
in der Tagespresse. Nach Abschluß seines Studiums in München inskribierte Rohracher,
dem die finanziellen Mittel zur Weiterführung seiner psychologischen Studien fehlten,
in Innsbruck an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und promovierte hier
am 22. Jänner 1927 zum Doktor der Rechte. Schon aber war er in den Kreis des Inns-

« Siehe Aloys Wenzl, Erich Becher. In: NDB, I, 1953, S. 688/689

1 Vgl. Johannes Hirschberger, Geschichte der Philosophie, II, 8. Auflage, Freiburg 1953, S. 545 ff, und
Gerhard Hennemann, in: NDB, V, 1961, S. 37-38

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