/ 12 pages
Hubert Rohracher - (1903 - 1972) ; Lehr- und Forschungsjahre in Tiro... (1973)
Search


brucker Experimentalpsychologen Theodor Erismann (gestorben 2. Dezember 1961) ge¬
treten.

Erismann, Sohn eines Schweizer Professors der Hygiene an der Universität in Moskau,
ist ein Schüler der Physiker Alfred Kleiner und Albert Einstein, später des Psychologen
Gustav Störring, und versah seit 1926 als Nachfolger von Franz Hillebrand das II. Ordi¬
nariat für Philosophie (Fachrichtung Experimentelle Psychologie) in Innsbruck. Eris¬
mann war auf besondere Anregung des Inhabers der Innsbrucker I. Philosophischen
Lehrkanzel (Fachrichtung Philosophie), Alfred Kastil, nach Innsbruck gekommen. Beide
waren schon seit längerem in wissenschaftlichem Kontakt gestanden 3 .

Erismann stellte Rohracher seine reiche experimentelle Erfahrung und seine Instituts¬
räume für experimental-psychologische Arbeiten zur Verfügung, die Rohracher neben
der angetretenen Gerichts- und Anwaltspraxis bewerkstelligen wollte. Denn Rohracher
war noch vor seinem juristischen Doktorat in die Gerichtspraxis beim Landesgericht
Innsbruck eingetreten, hat diese beim Bezirksgericht Lienz in Zivil- und Strafsachen bis
Mitte Jänner 1928 fortgeführt und anschließend bis Mitte Juli 1928 in den Diensten des
Rechtsanwalts Dr. Alois Mang in Hall i. T. gestanden. Vom 16. Juli 1928 bis Ende Mai
1930 war er als Rechtsanwaltsanwärter in der Kanzlei des Innsbrucker Rechtsanwaltes
Dr. Julius Waizer tätig. Mit 1. Juni 1930 erhielt er die nach Martha Moers, die als Pro¬
fessorin an die Pädagogische Akademie Beuthen berufen wurde, freigewordene Stelle
einer wissenschaftlichen Hilfskraft am Institut für Experimentelle Psychologie bei Eris¬
mann; damit hat Rohracher auf eine aussichtsreiche und materiell jedenfalls einträgliche
Rechtsanwaltslaufbahn zugunsten der noch durchaus unsicheren akademischen Karriere
verzichtet.

Unter Erismann hat Rohracher nun begonnen, experimental-psychologische Beobach¬
tungen über den Willen bei Maximalleistungen anzustellen, deren Resultate er zu einer
Theorie des Willens zusammenfaßte. Seine „Theorie des Willens auf experimenteller
Grundlage" (Leipzig 1932, 21. Ergänzungsband zur Zeitschrift für Psychologie) faßt
die gesamte damalige experimentelle Willensliteratur zusammen, behandelt die Beziehun¬
gen des Wollens zu anderen seelischen Erscheinungen und gelangt nach Untersuchung
der Kausalität im Willenserlebnis, der Entwicklung, Eigenart und Kraft des Wollens zur
Aufstellung von drei Willensgesetzen. Parallel arbeitete Rohracher auf dem Gebiet der
Sinnespsychologie und experimentierte über die Lokalisation von oben und unten, vorn
und hinten. Uber diese Arbeiten, die wohl durch das besondere Interesse von Erismann
bedingt sind, berichtete Rohracher auf dem XII. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für
Psychologie in Hamburg (12. bis 16. April 1931) unter dem Titel „Das ,Sehen mit dem
Hinterkopf und die Orientierung in der so gesehenen Welt" 4 . Die Versuche wurden
mit einem von Erismann theoretisch angegebenen Apparat, dem „Retroskop", durch¬
geführt. Mit Hilfe des Retroskops kann eine Versuchsperson durch ein Doppelspiegel¬
system den hinter ihrem Rücken gelegenen Raum, und zwar nur diesen, da jeder Aus¬
blick nach der Seite oder nach vorne verdeckt ist, sehen. Dabei erscheinen die hinter dem
Rücken der Versuchsperson befindlichen Dinge gleichzeitig mit einer Vertauschung der
Richtung von „oben" und „unten", jedoch nicht von „rechts-links". Diese experimental-
psychologischen Beobachtungen faßte Rohracher 1932 in der Arbeit „Experimentelle
Beiträge zur Lokalisation visuell wahrgenommener Reize" (zwei Teile: „Experimental-

* Berufungsakt Erismann, Universitätsaxdiiv Innsbruck, Ph 2295/1926
' Bericht über den XII. Kongreß usw., Jena 1932, S. 413 f

107