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Mannesalter (1901)
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Enttäuschung. Obwohl im „Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums" (GV alt)
aufgelistet, kam der Fernleihschein ergebnislos zurück, keine deutsche Bibliothek führte den
Band. Ohne Erfolg blieb auch eine Anfrage in der Schweiz: Die sonst so reiche Universitäts¬
bibliothek Basel meldete Fehlanzeige. Ob ihr Pähls Werk seinerzeit zu trivial war? Für die
Studenten und Professoren war ein modisches Literaturprodukt, das auf der Ritterroman-
Welle schwamm, nach Ansicht der Bibliothekare wohl wertlos. Am Verleger Johann Jakob
Flick (1745 - 1818), einem einflussreichen, jakobinisch gesinnten Drucker 2 , wird es nicht
gelegen haben, seine Produktion in jener Zeit macht keineswegs einen unseriösen Eindruck.
Auch der Schweizer Gesamtkatalog und die Universitätsbibliothek Straßburg bedauerten,
nicht weiterhelfen zu können. Da kam im März 1995 von der Wiener Nationalbibliothek die
fast nicht mehr erwartete Mitteilung, dass in der Universitätsbibliothek Wien ein Exemplar
vorhanden sei (Signatur I 120.888). Ich konnte eine Gesamtkopie des 344 Seiten umfassen¬
den kleinen Oktavbandes erwerben und der Stadt Heubach als Kopiervorlage für ihr Stadtar¬
chiv zur Verfügung stellen.

Seit 2004 liegt das zeitweilig verschollen geglaubte Buch im Rahmen des Innsbrucker
Projekts „Austrian Literature Online" als Faksimile digitalisiert im Internet vor:
http://www.literature.at/webinterface/library/ALO-BOOK_V0 1 ?objid= 1 2850

Zu danken ist dem Projektleiter Günter Mühlberger, der sich bereit erklärt hatte, die Ko¬
pien zu scannen und die Bilddateien auf den Server zu legen. Nun kann sich jeder, der über
einen Internetzugang verfügt, davon überzeugen, ob es sich bei dem „Ulrich von Rosenstein"
tatsächlich um das Machwerk eines Stümpers handelt, wie der Rezensent der „Neuen all¬
gemeinen deutschen Bibliothek" befand, oder um ein reizvolles Fundstück zur ostschwäbi¬
schen Literaturgeschichte um 1 800.

Romantische Liebesgeschichte

„Ulrich von Rosenstein" nennt keine einzige Jahreszahl, aber jedem historisch Gebildeten
musste klar sein, dass die Erzählung in der Stauferzeit, in der Mitte des 12. Jahrhunderts,
spielt. Von Ulrichs Vater, Ritter Kraft von Rosenstein, heißt es, er sei ins Heilige Land gezo¬
gen und mit Kaiser Heinrich V. nach Rom. Im Konflikt von Lothar und Heinrich hielt er zu
den Herzögen Konrad und Friedrich von Schwaben (S. 12). Am Krieg von Kaiser (!) Konrad
mit den Weifen nahm erstmals der kurz vorher zum Ritter geschlagene Sohn Ulrich teil.
Da Kraft von Rosenstein vor Weinsberg fiel und die durch die Weibertreu-Sage berühmte
Belagerung Weinsbergs in das Jahr 1 140 fiel, kann man davon ausgehen, dass die Handlung
wenig später einsetzt.

Ulrich von Rosenstein kehrt mit seinem Freund Graf Gozelbert von Dillingen von Weins¬
berg auf den Rosenstein zurück. Gozelbert verliebt sich in Ulrichs Schwester Fräulein Klo¬
tilde, seine Werbung um sie ist erfolgreich, und sie wird seine Frau. Ulrich und sein treuer
Dienstmann Berthold von Bargau geleiten Klotilde bis zur Veste Hellenstein (S. 19). Auf dem
Heimritt verirren sich die beiden und kommen nachts vor die Burg Herwartstein. In einer
Hütte treffen sie auf ein Mädchen namens Jutta, das ihnen Obdach gewährt.

„Als Ulrich in die enge, armselige Wohnung eingetreten war, und seine dienstwillige Be-
herbergerin genauer betrachtete, fieng er an zu staunen, ob der Engelsgestalt des Mädchens,
der er keines, unter allen schönen Weibern, die er je gesehen hatte, zu vergleichen sich ge¬
traute. Da stand sie in einem langen weissen Gewände, um die Hüfte mit einer schwarzen
Binde umgürtet. Unbedekt wallten ihre lokichten Haare auf ihren vollen Busen hinunter. Die
lachende Farbe der Gesundheit lag auf ihren Wangen. Sanftmuth und Geist schimmerten aus
ihren großen Augen, und Sittsamkeit und Zucht verkündigte ihr runder Mund. Frei und leicht

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