/ 6 pages
Höttinger Nudl - unabhängige österreichische Faschingszeitung (1936)
Search


yicisl sei weltpolMK.

Den im Vorjahre angekündigten „Marsbericht" können wir
leider nicht liefern, da Fer Marsregent neben der Demsen-
sperre auch noch ein Einreiseverbot für alle Berichterstatter
erlassen hat. Nicht einmal unserm Nuol-Vertreter" gelang es,
eme Ausnahme zu erzwingen. Vin diplomatischer Protestnoten»
Wechsel hat bereits stattgefunden, war jedoch wie alle übrigen
zwecklos. Um uns aus der Verlegenheit zu ziehen, hat sich nun
unser Hiasl entschlossen, auf unserer buckligen Welt, wo es
hetzig (manchmal auch hitzig) zugeht, Umschau zu halten und
Heuer selber seine Politik zu machen.

Da ist zunächst einmal der Krieg in Avfelsinien, der die Welt
erschüttert. Der ist insoferne hochinteressant, als es der erste
Krieg ist, bei welchem beide Parteien ununterbrochen siegen.
Man könnte überhaupt glauben, es werde dort nur mit Attrap¬
pen gearbeitet, sind «doch die Kriegsberichte und die Verlust¬
listen so geartet, daß man befürchten muh, die Armeen kehren
in der doppelten Anzahl ihrer Ausrückung heim.

Vom Ausgang dieses Krieges wird es natürlich abhängen,
ob Europa selbständig bleiben oder eine Kolonie der Chinesen,
Japaner, Kuluzaffern usw. werden wird. Hoffentlich gelingt es
dem Großbauer Koudenhofer von Kalergi noch rechtzeitig, da
ein paneuropäisches Wort dreinzureden, ehe die ganze Insel
Europa restlos in den semitischen Strom hineinmündet. Leutl
Schmeißt's das Geld aufsi, der Untergang des Abendlandes
steht vor der Korridortür!

Da jedoch die „Nudl" die einzige treue Völkerbundanhän-
gerin ist und dem veralteten Motto: Nie wieder Krieg" Hut«
digt, will ich mich friedlicheren Dingen zuwenden. A propos,
Völkerbund! Ein paar Nachrufeworte muß ich dir doch wid¬
men, ehe ich mich den nützlicheren Zeitgeschehen zuwende. Wir
Höttinger sind über dein Schicksal traurig — beforgt. Wie schön
hast du dereinst gestrahlt und geblendet! (Böse Menschen sagen
verblendet"!) Und heute? — Wie ist doch deine Friedens¬
palme zerrupft, und die Maurer der neuen Festungsanlagen,
die in diesem Palmenschatten selig schlummerten, wurden vom
Sonnenstich jäh erweckt. So herrliche Wundertränklein hast
du einst gebraut, in alle Welt haben die Ettiketten geleuchtet,
auf denen geschrieben stand: Internationale Wirtschaftskon¬
ferenz", „Verfailler Vertrag", „Reparationsausschuß", „Euro¬
päische Union" und wie die Göttertropfen alle hießen. Dem
stolzes Schiff ist zum Wrack geworden, hat manche Klippen an¬
gerannt, es ächzt und kracht in allen Fugen, und die Wellen
oes Weltmeeres schlagen drohend über dir zusammen. Mancher

fröhliche Passagier glaubt, sich mit einem kühnen Sprung über
Bord zu retten. Nur einer fühlt sich sauwohl, das ist der gut¬
bürgerliche Herr Lotwoniv. Er, dem man einst die Mit¬
fahrt verweigerte, kostet seinen Triumph bis zur Neige aus,
hält das Steuerrad in festen Händen und wird sich hüten, das
Schiff an ein sicheres Ufer zu führen, denn damit wäre auch
seine Herrlichkeit zu Ende.

Fahre hin, du Völkerbundarche, die „Nudl" und ihr ganzer
Anhang weint dir bittere Tränen nach!

Die allerfriodlichsten Menschen sind natürlich die Wirtschaft¬
ler (im Volksmunde auch VerWirtschaftler oder Wirtschafts-
g'schaftler genannt). Sie stehen immer da und schauen zum
Horizont, wo sie die längst angekündigten Silberstreifen sehen,
und nur eines macht sie fuchsteufelswild, wenn nämlich einer
frech behauptet, daß er von den schönen Streifen nichts wahr¬
nehme. Sie vergessen dabei, daß sie eigens für diesen Zweck
konstruierte Brillen tragen, mit denen man die dräuenden
Gewitterwolken und die zuckenden Blitze nicht sieht. Hören sie-
aber das Donnergrollen ringsum, dann halten sie das für
abessinifchen Kanonendonner. Die Menschen stehen um diese
Sterngucker herum und schütteln (im Geiste, das ist nämlich
erlaubt) die Köpfe, würden wahrscheinlich auch die Schultern
zucken, wenn das infolge der großen Steuerlasten noch möglich
wäre. Den Mund machen sie aber grundsätzlich nicht auf.

Die Zufriedensten hingegen sind die Fixangestellten. Wie ich
von einer gutunterrichteten Stammtischrunde erfuhr, soll in
einem Lande ein Gesetz vorliegen, nach welchem die Fixbesol¬
deten alle Gänse, die nicht ausgeführt werden können, ankaufen
müssen. Ich finde diefes Gesetz geradezu symbolisch: „Die
Meckerer oen Meckerern!" Sorgt da ein Gesetz dafür, daß die
Herren Fixisten ihr Gänsebratel haben, und doch hört man
wieder meckern: „Wieso kommen ausgerechnet wir armen Fix¬
besoldeten dazu, die Handelsbilanz mit Gänsefedern zu fchmük»
ken?" Die Junggesellen sollen bei diesem Gesetze besonders
schlecht abschneiden. Sie müssen zur besagten Gans auch noch
ein Hühnchen, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen
wenigstens einen Zeisig, als Zuschlag mit in den Kauf nehmen.
Das ist wirklich ungerecht. Wie kommt einer dazu, der sich keine
lebende Gans leisten kann und die dramatischen Geschehnisse
des Ehelebens nur vom Nachbarn aus kennt, dafür eine tote
Gans mit Zuwaage nehmen zu müssen? Zur Kontrolle, daß
joder die vorgeschriebene Gänseanzahl gekauft hat, müssen dem
Kontrollorgan die Federn vorgewiesen werden. Man darf diese
also nicht voreilig zum Pfeifenraggeln" verwenden, zuerst

muß der Beweis erbracht werden, daß man sich vorschrifts«
mäßig hat rupfen lassen.

Um dem Iunggesellenunfug energisch an den Leib zu rücken,
wurden alle Iunggesellinnen mit Leimruten und Angelstangen
ausgerüstet. Sie sind allerorts fleißig am Werk und in der Er¬
findung der Köder besonders leistungsfähig. Manch ein uner«
fahrener Gimvl ich schon an einer nackten Schulter, einem zu
offenherzigen Blusenausschnitt „picken" geblieben, und wenn
aus dem raffinierten Schlitzrock gar für Sekunden ein fein¬
modelliertes Frauenbein herausblitzt, muß ieder blinde Äuer»
Kahn daran glauben. Wenn mit dem Gürtel, mit dem Schleier
dann der schöne Wahn entzwei bricht, wird mancher überhaupt
wahnsinnig. Zuerst sauft er vor lauter Glückseligkeit, weil er
eine Braut hat, und dann sauft er um so mehr aus Verzweif¬
lung, weil er ein Weib hat; das war immer so und wird so
bleiben.

Sehr zufrieden sind auch die Arbeitslofen. Erstens gibt es
überhaupt keine mehr, die wenigen aber, die sich „behaupten"
konnten, haben auch allen Grund zur Zufriedenheit. Sie wer»
den mit Geld und Gaben derart überbürdet, daß mancher unter
der schweren Last zusammenbricht. Viele wurden bei der
Arbeitsschlacht, die bei uns zwar seHr friedlich verlief, zum
Blutrühren angestellt. Um die alten Stemvelneteranen beson--
ders auszuzeichnen, wurden folgende Titel verliehen: General-
stempler, Vezirksstemvler, Ranonsstemvler und Stempeltiger.
Die Ausgesteuerten wurden mit dem Titel „Tschinfutsch" be>
dacht, die chinesische Fassung soll vor Verwechslungen mit den
„Aktiven" schützen. Nur in einem Punkte sind die Arbeitslosen
unzufrieden (und das mit vollem Recht), nämlich mit der
neuen Zunftordnung. Wie kann man auch den unverzeihlichen
Lapsus begehen, die größte Zunft zu übersehen? Vielleicht
kann man sie zusammen mit den freien Berufen (Dichter,
Maler und Verwandtes) doch noch hineinflicken. Zunftabzei«
chen: Stempel auf einer Stange.

Die Bautätigkeit ist in vollem Schwünge. Die Landhäuser
(nicht mit<gewöhnlichen Häusern am Lande zu verwechseln!)
und die Gemeindestuben wurden mit neuen „Köpfen" besetzt;
wenn auch hier und dort noch etwas neuartige Zustände herr¬
schen, so ging der ganze Umbruch ohne viel Geschrei vonstatten,
das sogenannte Volk wurde dabei gar nicht belästigt. Möge es
den neuen Verantwortungsträgern gelingen, manches „Alte"
mit dem eisernen Besen hinauszukehren, ohne dabei zuviel
Staub aufzuwirbeln.

Der Fremdenverkehr ist (trotz der Winterszeit) in vollster
Blüte, alle Orte sind mit Stihaserln überfüllt. Diesen fällt näm»