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Höttinger Nudl - unabhängige österreichische Faschingszeitung (1968)
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gioin ma heit..."

9 Zu Artikel: Höttinger-Bild-Bericht auf Seite 3

„Es bildet das Talent sich in der Stille, sich der
Charakter in dem Strom der Welt", sagt Goethe.
Im Fremdenstrom der Welt hat unsere tirolische
Hauptstadt auch ihren besonderen Charakter an¬
genommen. Sie wird immer weltoffener und inter¬
nationaler. Auf dem Rathaus weht nicht umsonst
des öfteren die blaue Fahne Europas. Schon bei
der Ankunft in Innsbruck erlebt der Gast am Bahn¬
hof Wettkämpfe mit internationaler Besetzung der
Gammler, Knattelbrüder und Potatoren. Im „Pa-
pillon" kann man sich an „Chez Frederic" delek¬
tieren. Ihre Schuhe kaufen wohl die zu Hunderten
in unserer Stadt wohnenden italienischen Eisen¬
bahner in der „Casa piccola", denn für wen sollte
sie auch in italienischer Sprache benannt sein? Was
allerdings nicht ganz ungefährlich ist, weil eine
solche Benennung in einigen Jahrzehnten viel¬
leicht den Anspruch unseres südlichen Nachbarn
auf Nordtirol begründen könnte, so ähnlich wie
die Benennung der „Vetta d'Italia" in Südtirol«
wobei die Italiener noch dazu anführen könnten,
daß die Vetta d'Italia eine Erfindung Tolomeis, die
Casa piccola" aber eine nordtirolische Realität
sei. Für diejenigen, welche in dieser „Casa pic¬
cola" keine passenden Schuhe finden, steht gleich

Weltoffenes Innsbruck

ums Eck, neben dem „Haus Tel Aviv", die Sor¬
bonne" zur Verfügung, die für alle Welt ein Zei¬
chen französischer Toleranz ist, denn die Fran¬
zosen nehmen es schmunzelnd hin, daß der Name
ihrer weltberühmten Universität den Tiroler
Schweißfüßlern in die Schuhe geschoben wird. Der
letzte Schrei der Weltoffenheit leuchtet uns im
neuen Zuchthaus entgegen, das nicht mehr „Schmer¬
linger Alm" und auch nicht mehr „Ziegelstadel"
heißt, sondern nunmehr „Hotel Criminal" genannt
wird. Durch dasselbe erfreut sich Innsbruck des
modernsten Strafvollzuges, was die Verbrecher¬
welt auch zu würdigen weiß. Wenn man an der
gläsernen Portierloge der Anstalt die netten Mäd¬
chen Schlange stehen sieht, dann möchte man fast
der Flüsterpropaganda Glauben schenken, daß es
im Hotel Criminal nicht nur Zelle mit Bad, Fern¬
seher, Radio und Traumalindbetten gibt, sondern
auch ein „Coitusculum" angegliedert ist. Warum
auch nicht? Seit eine Gruppe von Studenten an
der Universität Wien im Fernsehen offen die Zur¬
verfügungstellung von Wohnungen für den Ge¬
schlechtsverkehr gefordert hat, darf dies wohl
auch unseren Zuchthäuslern nicht verwehrt wer¬
den. In Schweden hat sich das auch schon bewährt.
Ausgenommen werden wohl die „Politischen" sein,
die weiter seckiert werden dürfen. Die Politischen
haben 's nicht leicht, schon gar seit die Tiroler Ad-
vikaten sich nicht mehr getrauen, ihre Verteidi¬
gung zu übernehmen, um bei der Regierung und
im Ausland nicht unangenehm aufzufallen. Ja, ja,
die Verteidigung richtiger Krimineller ist kein
Hindernis für ihre Törggelefahrten. Außerdem
gibt's ja noch einen Wiener Staranwalt, dessen
Stern am Zenith angelangt ist, dem seine Tiroler
Kollegen bei allem sonstigem Neid die Wahrneh¬
mung der patriotischen Würde ihres Landes im
Gerichtssaal gerne überlassen. Auch hier welt¬
offene Charakterbildung!

Weil wir gerade von Weltoffenheit reden — auch
unsere Stadtväter haben ihre Weltoüenheit durch
besondere Reiselust unter Beweis gestellt, die
auch vor Fidel Castro nicht zurückschreckte — und
was ihnen bei ihrer Rückkehr auch eine Begrü¬
ßungsadresse der zahlenden Bürger eingebracht
hat. Daß die Stadt trotz Abwesenheit sämtlicher
Bürgermeister, Stadträte und sonst zur Amtsfüh¬

rung nötigen Herren weiterregiert werden konnte,
ist dem Umstand zuzuschreiben, daß die Bürger
Innsbrucks ebenfalls in der Mehrzahl an den ver¬
schiedenen Rivieren lagen und so die Abwesen¬
heit ihres Magistrates nicht merkten. Den Frem¬
denverkehr wickelten die Wirte nur zu gerne ohne
stadtväterliche Aufsicht ab, weil er dadurch für sie
nur lukrativer wurde.