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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.11 (1885)
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MITTHEILUNGEN

DES

DEUTSCHEN UND OESTERREICHISCHEN ALPENVEKEINS

Die Mitthoilungen erscheinen am 1. und 15. jeden
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Redaction und Administration: Salzburg,
Sigmund Haffnergasse Nr. 9.

Nr. 18.

SALZBURGS, 15. September.

1885.

Der V. Internationale Alpine
Congress zu Turin.

Sonntag den 30. August versammelten sich die Theil-
nehmer des Congresses in dem prachtvollen Saale, in welchem
einst die piemontesische Kammer ihre Sitzungen hielt. Nach
der Wahl des Präsidiums — dem Vertreter des D.- u. Ö.
A.-V. Dr. Eichter wurde gleichfalls die Ehre zu Theil,
zu einem der Vicepräsidenten gewählt zu werden — wurde
zur Tagesordnung übergegangen. Die Sitzung wurde zumeist
mit Vorträgen ausgefüllt, jedoch fehlte es auch nicht an
Anregungen, welche meist von französischer Seite ausgiengen.
So brachte der beredte Präsident des französischen Alpen¬
club, Senator Xavier Blanc, die Angelegenheit des Saussure-
Denkmals für Chamonix vor, welche ins Stocken gerathen
sei (was übrigens sehr begreiflich scheint, wenn man erfährt,
dass das Localcomite in Chamonix über die Existenz und
die Namen der europäischen Alpenvereine nicht ganz im
Klaren ist), und von anderer Seite wurde die Errichtung
eines Monumentes für den hl. Bernhard auf einem der nach
ihm benannten Pässe angeregt. Interessant war ein Vor¬
trag des ausgezeichneten französischen Alpinisten, Henry
Duhamel, über die beste Construction der Eispickel, wobei
ein nach den bisherigen Anschauungen überaus kleines Modell
von dem Eedner als das beste vorgeschlagen wurde. An
den Tod unseres Mitgliedes Dr. Zsigmondy knüpften sich
mehrfache Erörterungen, welche in der Eesolution gipfelten,
die Alpenclubs möchten sich gegen all' zu waghalsige Touren
erklären. HerrMartelli, Präsident der S. Turin des C. A. L,
sprach über Führerversicherung und Führerunterstützung.
Er nahm als Grundlage seiner Auseinandersetzung einen
Aufsatz, welchen der Vertreter des D. u. Ö. A.-V. rasch
verfasst hatte. Es waren.darin die Erfahrungen des D. u.
Ö. A.-V. in dieser Angelegenheit und die jüngsten Beschlüsse
in Villach dargelegt und da der Herr Eeferent sich mit
diesen Ideen vollständig einverstanden erklärt hatte, so
wurde eine Eesolution einstimmig angenommen: es sei für
die alpinen Vereine nicht zweckmässig, die Führer bei Ver¬
sicherungsgesellschaften zu versichern, sondern es empfehle
sich, nach dem Muster der Hamburger F.-U.-Casso Unter-
stützungscassen für Krankheit, Invalidität und Unfall zu
errichten, weil so die Vereine den Führern gegenüber in
der Stellung frei verfügender Wohlthäter bleiben. Wir können
sehr befriedigt sein, dass unser Standpunkt in dieser Sache
so allgemeine Anerkennung gefunden hat, und können hoffen,
dass die einst mit so viel Eeclame auch für die Ostalpen

als dringendste Notwendigkeit erklärte Führer-Unfallver¬
sicherung nun definitiv vom Schauplatz verschwinden wird,
nachdem sie ja bereits von ihren Urhebern aufgegeben
worden ist. — Der in einer weiteren Eesolution ausge¬
sprochene Wunsch, es mögen den Mitgliedern sämmtlicher
Alpenvereine in allen Schutzhütten die gleichen Begünsti¬
gungen eingeräumt werden, wird in unserem Vereine der
Gegenstand mannigfacher Erörterungen sein müssen, da ja
der C.-A. kaum die Befugniss haben dürfte, den Sectionen
als Eigenthümern der Hütten nach dieser Eichtung ohne
weiters Vorschriften zu geben.

Am nächsten Tage fand die General-Versammlung des
C. A. I. statt und zwar auf dem unvergleichlichen Aussichts¬
punkt der Soperga, welcher 2 1 / 2 Stunden von Turin entfernt
mit der Stadt durch eine Zahnradbahn verbunden ist. Auf
dem 400 m sich über die Ebene erhebenden Hügel steht
eine mächtige Kuppelkirche (Votivbau zu Ehren der Schlacht,
die Prinz Eugen hier 1706 gewann) und ein Priesterseminar.
Die Aussicht von diesem Punkte ist so bekannt und berühmt,
dass es überflüssig wäre, noch davon zu sprechen. Als
aber die Festtheilnehmer am Morgen des 31. oben eintrafen,
fanden sie einen Anblick, wie er selbst hier zu den Selten¬
heiten gehören dürfte. Nach mehrtägigem Eegenwetter war
über Nacht eine vollständige Ausheiterung eingetreten, und
vom genuesischen Appenin, über den Mont Viso, Gran Para¬
diso, Monte Eosa bis zu den Bergen am Comersee erstreckte
sich der colossale Cirkel der West- und Mittelalpen in wolken¬
loser Klarheit und funkelndem Neuschnee! Die ersten Vor¬
mittagsstunden verflossen im Genuss dieses unbeschreiblichen
Anblickes, dessen Eeinheit allerdings nur zu bald durch
Nebelballen, welche sich an die Berge hingen, getrübt wurde,
und in der Betrachtung der Kirche und der Gruft der
savoyischen Herrscher, die hier begraben liegen. Um V 2 11 U.
begab man sich zu einem opulenten Dejeuner, welches Se.
Majestät der König in den prachtvollen Colonnaden des
Klosterhofes hatte serviren lassen. Unter den Toasten machte
der des würdigen Priors der Soperga durch seine nationale
Färbung unter den Fremden grosses Aufsehen. Mittags
begann die General-Versammlung des ital. Alpenclubs. Abends
folgte in der Eestauration neben der Soperga das übliche
Bankett, wie alle die anderen festlichen Gelegenheiten, vor
allem ausgezeichnet durch die elegante und würdevolle Be¬
redsamkeit des Centralpräsidenten des C. A. I., Comm. Lioy.
Am nächsten Tage begann die Festpartie nach Cour-
mayeur. Um 5 Uhr Früh brachte ein Extrazug 12 4 Theil-
nehmer (worunter auch die Vertreter unseres Vereines) nach