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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.11 (1885)
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MITTEILUNGEN des D. u. Ö. A.-V.

Nr. 5

dickeren Hanfseile. — Mein seidenes Seil hatte nach dem
Gebrauch auf jenen 10 Hochtouren mehrere schadhafte Stel¬
len an seiner Aussenseite; die äusseren Strähne waren ab¬
genutzt und lösten sich auf. Es war allerdings beim Auf¬
ziehen mehrmals über Felsen gezogen worden, was bei man¬
chen Bergpartieen indessen nicht umgangen werden kann.
Als ein besonders schwerer Führer (A. Burgener) am Dom
einmal in eine Spalte einbrach, hatten der zweite Führer
und ich grosse Mühe, ihn herauszuziehen, weil das Seil
unbarmherzig in unsere Hände schnitt. Der heraufgezogene
Führer klagte sehr über das Zusammenschnüren seiner
Brust. Durch Anwendung eines Gürtels lässt letzterer
Uebelstand sich allerdings beseitigen, aber man tauscht da¬
für die mit der Anwendung von Gürteln verbundenen Uebel-
stände ein: die Gefahr, dass ein King einmal aus der Leder¬
fassung auslässt, und die Unsicherheit der Karabinerhacken,
die nach längerem Gebrauch sich beim Andrücken des Kör¬
pers an den Felsen leicht von selbst öffnen. Der Preis
meines nur ein Jahr mit Sicherheit zu benützenden Seiles
war bei 54 Mark, der Preis für ein zwanzig Meter langes,
gutes Manilahanfseil, welches mir zwei Jahre lang auf noch
schwierigeren Partien vortreffliche Dienste geleistet hat, und
bis zum Schluss der zweiten Saison durchaus zuverlässig
war (von David Den zier, Seilermeister in Zürich, Sonnen¬
quai,*) betrug 8 Mark. Wollte man das seidene Seil ge¬
rade so dick wie die Manilahanfseile machen lassen, so
würde sein Preis noch erheblich höher werden. Ich würde
trotzdem ein solches Seil einem guten Hanfseil nicht vor¬
ziehen. — Das dünne seidene Seil hat nachweisbar bei eini¬
gen kritischen Situationen und Katastrophen eine verhäng¬
nissvolle Rolle gespielt. Im August 1877 hat Herr Carl
Ostertag aus Zürich mit den Führern M. Lauener und
Brunner das Lawinenthor vom Roththal aus nach dem Jung¬
fraufirn und Aletschgletscher überschritten. In der inter-
ressanten und schönen Schilderung seiner Alpenfahrt**) er¬
zählt Hr. 0.. als sie die Passhöhe überschritten hatten und
auf dem oberen Jungfraufirn sich befanden: »Bisher ver¬
einigte uns mein 50 Fuss langes, seidenes Seil, das die
Dicke eines kleinen Fingers nicht erreicht, an Gewicht und
Volumen bedeutend kleiner, an Widerstandsfähigkeit dem
stärksten in den Bergen gebräuchlichen Hanfseile aber min¬
destens gleich ist, und das ich im Gebirge als Reserveseil
stets bei mir führe«. Nach einer Stunde bemerkte 0., dass
sie seiner Ansicht nach zu kurz zusammengebunden seien,
indem er bei dem Zusammenbrechen der oft sehr breiten
Brücken über die Gletscherspalten kaum im Stande sein
würde, den vorausgehenden Lauener zu halten. Lauener
berief sich zunächst auf seine Erfahrung, und dass er schon
beurtheilen könne, wo gefahrlos durchzukommen sei. Als
nach einiger Zeit die Brücken neben gähnenden Spalten noch
zahlreicher wurden, bestand 0. darauf, dass Lauener sein
um die Schultern hängendes 30 Fuss langes Hanfseil mit
dem seidenen verknüpfte und daher die Distanz zwischen
ihnen auf 30 Fiiss verlängert würde. Den Rest des eige¬
nen Seiles band Lauener um sich. Die Partie war in der
Gegend zwischen Trugberg und Kranzberg, die auf der

*) Ich führe als Quellen zum Bezug guter Hanfseile noch
an: Gebr. Heffter in Salzburg, Joh. B. Petzl, I. Franz Josef-
Quai 1 in Wien, John Buckingham, 32 & 33 Broad Street,
Bloomsbury, London W. C.

•*) Neue Alpenpost Bd. 8, (1878) S. 49 u. folg.

Dufourkarte mit Punkt 2993 bezeichnet ist, als Lauener
plötzlich wankte und verschwand. Herr Ostertag erhielt
einen entsetzlichen Ruck, als sollte das um ihn gebundene
Seil seinen Körper zerschneiden. Von dem Gewichte des
weiter in der Spalte hinabsinkenden Lauener wurde 0. dann
eine ganze Strecke bis vier Schritt vor dem Abgrund nach
der Spalte zugeschleift, bis der zweite Führer endlich das
Seil anspannte. Die Brücke war nicht eingestürzt, es war
nur ein circa vier Fuss grosses Loch durch den Schnee
gebrochen. Die Spalte aber war unabsehbar tief und er¬
weiterte sich nach unten, so dass Lauener frei in der Luft
hing. Brunner beugte sich über die Kluft, um zu sehen,
wie es mit L. stehe; 0. hielt den Gefallenen eine Zeit lang
allein am Seile, bis seine Hände in Folge der grosen Ab¬
kühlung im Schnee und durch das krampfhafte Festhalten
des dünnen Seiles anfingen steif zu werden. Brunner be¬
festigte das Seil dann an den eingerammten Eispickeln und
Ostertag stemmte sich mit der Schulter dagegen. Dann
fingen Beide an mit voller Kraft und in sicherer und guter
Position am Seile zu ziehen, konnten Lauener aber wider
Erwarten nur zollweise in die Höhe bringen. Dann gab
das Seil trotz aller verzweifeltsten Anstrengungen nicht mehr
nach und blieb wie festgebunden in der Spalte. Der grosse
Knoten, der Laueners Seil mit dem Ostertags vereinigte, war
innerhalb der Spalte und Hess sich in die vom dünnen Seil
in den Schnee eingeschnittene Rinne nicht bringen. Der
Versuch, die Rinne, in der das Seil lief, auszuhauen, fruch¬
tete nichts, die Brücke war viel zu breit. Lauener erklärte
ersticken zu müssen, so presste ihm das Seil die Brust.
Wieder und wieder zogen die zwei, so dass das seidene
Seil sich sichtlich dehnte und zu brechen drohte, es war
vergebens. Sie mussten Lauener gemäss seinem eigenen
Vorschlag noch 30 bis 40 Fuss tief in der Spalte hinunter¬
lassen, wo er auf einem Vorsprung stehen konnte, und nach
dem Eggischhorn um Hülfe eilen. Ein glücklicher Zufall
Hess sie noch auf dem Aletschgletscher eine andere Partie
treffen, von der zwei Führer sich ihnen anschlössen, um
zur Unglücksstelle zurückzueilen. Vorsichtigerweise Hess
man jetzt zwei Seile zu Lauener hinunter, und acht kräf¬
tige Männerarme zogen ihn schnell heraus. — Es ist klar,
dass bei diesem Vorfall mehrfache Fehler gemacht worden
sind. Das als Reserveseil mitgenommene dünne Seil wurde
in erster Linie verwendet. Ein Seil von 30 Fuss, wie es
Lauener hatte, ist allerdings für 3 Personen zu kurz. Aber
wandte man das seidene einmal an, so reichten seine 50 Fuss
für 3 Personen. Ein Zwischenraum von 13 bis 14 Fuss
genügt vollständig, falls man am gespannten Seile geht.
Die Verknüpfung beider Seile so, dass zwischen dem ersten
Führer und dem Touristen der Knoten blieb, war ein Feh¬
ler; der Knoten hätte dann wenigstens ganz nahe am Leib
des Touristen sein müssen. Ich erinnere mich selbst, dass
ein grosser Knoten zwischen mir und dem letzten Führer
bei dem Abstieg von der Dent Blanche über den West¬
grat — wir waren vier Personen — mich auf's Empfind¬
lichste hinderte, dass alle Augenblicke das Seil im Felsen
hängen blieb und mich riss. Auch die Entfernung von
30 Fuss, die Herr Ostertag wählte, war zu lang. Dabei
ist das Spannen des Seils erschwert. Bei jenem Vorfall
hatten weder Herr 0. noch Brunner das Seil irgendwie ge¬
spannt. Bei gestrecktem Seil hätte Lauener nicht in der
Spalte versinken können, sondern wäre durch einen starken