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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.14 (1888)
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Nr. 6.

MÜNCHEN, 15. März.

1888.

Siedelungsarten in den Hochalpen.

Von Dr. E. Richter in Graz.

Unter diesem Titel veröffentlicht Professor Löwl — in
alpinen Kreisen als Verfasser des ansprechenden Buches über
das Zillerthal bekannt — eine Studie, welche Geologie und
Statistik in origineller und lehrreicher Weise in Verbindung
bringt.*) Da die Thäler der Centralalpen in ihrer jetzigen
Form ohne Zweifel ein Ergebniss der Erosion durch das
Wasser, sei es in flüssiger oder fester Form, sind, so lassen
sich die einzelnen Stücke ihrer Oberfläche nicht schwer nach
den Vorgängen classificiren, welchen sie ihre Entstehung
verdanken. Die Thalwände sind in ihren unteren Partieen
mit Sturzhalden verkleidet; aus den Seitenthälern und Karen
werden Schwemm- oder Schuttkegel in das Hauptthal hinaus¬
gebaut; hinter ihnen entstehen Seebecken, welche durch die
Bachgeschiebe wieder ausgefüllt werden, durch ihre wagrechto
Oberfläche und Versumpfung aber noch als solche kennbar
sind. An anderen Orten sind es feste Felsriegel, welche die
Stufenbildungen der Thäler hervorrufen. Schneidet der Thal¬
bach in die flachen Stufen sich ein tiefes Bett, so bleiben
Theile der alten Thalböden als Terrassen auf beiden Seiten
des Thaies zurück, und neben ihnen können Reste noch
älterer solcher Bildungen in höheren Lagen als Leisten sich
erhalten. Auf allen diesen Oertlichkeiten verschiedenen Ur¬
sprungs, dann auch noch an den Berghängen selbst, sowie
auf den Kundbuckellandschaften, welche die alten Gletscher
hinterlassen haben, finden sich in unseren Thälern die
menschlichen Ansiedelungen. Löwl unterscheidet dieselben
hiernach in Halden-, Schuttkegel-, Becken-, Terrassen-, Leisten-,
Hang- und Kundhöcker-Siedelungen, und es ist sehr interessant,
in welcher Weise sich im Ganzen und in den einzelnen
Thälern die Bevölkerungszahl auf diese verschiedenen Sied¬
lungsarten vertheilt.

Haldensiedelungen sind im Allgemeinen selten; sie finden
sich meist in unwirklichen engen Thälern, wo wenig anderer
Wohnraum vorhanden ist, oder an den Rändern versumpfter
und unbewohnbarer alter Seebecken. In der grossen Mehr¬
zahl der (22) untersuchten Thäler wohnen nicht mehr als
2—7% der Bevölkerung auf solchem Boden; nur im engen
Stubaier Oberberg und im Sulzthal 31 und 25%.

Viel gesuchter sind trotz der oftmals erprobten und
wiederholten Gefahr der Vermuhrung die Schwemmkegel. In

*) Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde.
. Bd., 6. Heft. Stuttgart 1888.

Langtaufers wohnen 84%, im Valserthal 94%, im Ant*
holzerthal 86% der Bevölkerung auf ihnen. In allen
Thälern, wo überhaupt welche vorhanden sind, zieht sich die
Mehrzahl der Bevölkerung auf sie; so im Ahrenthal und
seinen Nebenthälern, sowie im Stubai weit über 50%, im
Oetzthal noch 42 %, und nur in engen Thälern, wie Kauns
oder Pitzthal, sinkt der Prozentsatz unter 15, im Gurgler-»
und Sulzthal auf 0. Der Grund, weshalb der Mensch die
immer wieder von Muhren überfiossenen Schwemmkegel so
bevorzugt, liegt wie es scheint, hauptsächlich in der Frucht¬
barkeit ihrer Oberfläche, welche durch die feinzertheilten Erd¬
massen der Muhren stets erneuert wird, so dass er ihr zu
Liebe selbst die periodische Zerstörung seiner Häuser und
die Verschotterung oder Wegspülung einzelner Abschnitte
der Flur gering achtet. Ausserdem dürfte noch ihre Ge¬
räumigkeit und die warme Lage der sonnseitigen unter ihnen
in Betracht zu ziehen sein. Besonders auffallend ist ihre
Bevorzugung gegenüber den ebenen Thalböden, besonders den
ausgefüllten Seebecken, deren Bewohnerzahl meist nur wenige
Prozente der Gesammtzahl ausmacht, ja bei 8 unter 19
Thälern = 0 ist. Scheint es doch keine passenderen Orte
für Dorfanlagen zu geben, als gerade sie. Der Grund,
warum sie doch gemieden werden, liegt wahrscheinlich in der
Ueberschwemmungsgefahr, in ihrer Unfruchtbarkeit, als
Schotterfelder, und vielleicht auch darin, dass viele von ihnen
vor 1000 und mehr Jahren, als die menschlichen An¬
siedelungen unserer Alpenthäler entstanden, noch viel see¬
ähnlicher waren, als gegenwärtig.

Kaum mehr bevorzugt sind die Bodensiedelungen, worunter
der Verfasser den Anbau an solchen Thalstücken versteht,
in welchen die Erosion zum Stillstand gekommen und das
Normalgefäll erreicht, oder Aufschüttung eingetreten ist. Sie
betragen meist 2—7°/o, nur im Kaunserthal, das diesen
Typus besonders entwickelt hat, 20%.

Viel beliebter sind wieder die Terrassensiedelungen, be¬
sonders dann, wenn die Terrassen aus Blocklehm (Grund¬
moräne) bestehen, welcher ebenso wie auf der bairlschen
Hochebene, so auch im Inneren der Alpen der Träger
grosser Fruchtbarkeit ist. Im unteren Pitzthal leben so
62o/o, im Stubai 36%. Grosse Sicherheit vor Muhren
sowohl als vor Hochwässern des Thalbaches zeichnet diese
Lage aus. Auch die höheren Terrassen oder Leisten sind
trotz ihrer Unbequemlichkeit noch ziemlich gesucht; aller¬
dings sind sie räumlich beschränkt und tragen daher nur
im Kaunserthal mehr als 616 O/o (nämlich 25%); in
vielen Thälern fehlen sie gänzlich.