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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.16 (1890)
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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenver9ins.

Nr. 9.

oberhalb derselben auf dem kürzesten Wege zu er¬
reichen. Es wäre dies bei der plattigen Beschaffen¬
heit und Steilheit der Wand, die wir zu diesem
Zwecke in grosser Höhe zu durchklettern hatten,
kaum oder nur unter ganz besonderen Schwierig¬
keiten möglich, wenn nicht auch diese Wand stark
mit Krummholz bewachsen wäre. So müssen die
zähen, sparrigen Krummholzäste sehr häufig die
fehlenden Griffe und Tritte ersetzen, und wir passiren
weite Strecken auf ähnlichen Stellen, wie man bei¬
spielsweise eine solche — allerdings sehr verkleinert
— im obersten Theil des bekannten „Wilden Zerben-
riegelsteiges" auf der Raxalpe findet. Der Blick
unmittelbar hinab über die steil abschiessenden, aus¬
gekarrten Platten in die Tiefe der Klamm ist sehr
ernst und mahnt zur vollsten Aufmerksamkeit und
Vorsicht. . *

Es war mittlerweile 6 h 20 m geworden, wir hatten
bisher keine Stelle passirt, wo man unachtsam hätte
gehen dürfen. Unter einer Traufwand hielten wir
eine halbstündige Frühstücksrast. Der Versicsattel
lag bereits tief unter uns und die grünen Matten
unterhalb der Sattelhöhe sahen freundlich in unsere
düstere Klamm herein, dahinter erhoben sich in
glänzender Beleuchtung die breiten Felsgestalten
der Moistrovka und des Pelc, sowie die Felskette
der Ponca, ober uns spielte die helle Morgensonne
in den Wänden des Priznig. Es war ein wunder¬
voller, klarer Tag.

Die Seitenwand der Klamm wird schliesslich
ganz senkrecht und baucht sich sogar etwas vor,
doch fand sich ein, wenn auch sehr schmales, doch
gut ausgeprägtes Felsband, welches uns den Abstieg
schräg hinab in die Sohle der Klamm oder vielmehr
in die Randkluft zwischen der Wand und dem im
Grunde liegenden, steilen Schneelager ermöglichte.
Es ist dies eine besonders charakteristische Stelle.
Am unteren Ende des Bandes, wo dieses bereits so
schmal wird, dass die oben sich vorbauchenden
Felsen den Körper zu stark hinausdrängen und es
der leichten und schmalen Gestalt unseres Komac
bedurfte, um das Gleichgewicht behaupten zu können,
fanden sich einige gute, feste Griffe, an denen wir
uns ohne weitere Schwierigkeit herumschwingen
konnten.

Ein paar rasch geschlagene Stufen brachten uns
aus der Randkluft auf den Schnee, den wir über¬
schritten. Nun führte uns ein breites, stellenweise
terrassenförmiges Schutt- und Rasenband aus der
Klamm immer längs unübersteiglicher, senkrechter
und auch oft überhängender Mauern weit nach rechts
hinaus bis fast unter das Priznigjoch, bis es uns
möglich erschien, uns wieder nach links aufwärts zu
wenden, um den hohen Wandgürtel zu nehmen, der
uns noch von der oberen Schneemulde trennte.

Wir scheinen jedoch nicht die leichteste Route
gewählt zu haben, denn nach Ueberwindung einiger
nicht schwieriger, doch sehr brüchiger steiler Passagen,
wo es hiess, mit besonderer Vorsicht auf die Köpfe
des nachfolgenden Theiles der Partie bedacht zu
sein, befanden wir uns unter einer sehr schwierigen
Wandstelle, wo wir viel Zeit verloren und des Auf¬

gebotes unserer ganzen Kraft bedurften, um durch¬
zudringen. Komac kletterte mit unvergleichlicher
Bravour und Eleganz als Erster, bedurfte jedoch
zur Ueberwindung des untersten, schwierigsten, et¬
was überhängenden Stückes der Unterstützung durch
unsere Pickel. Wir Anderen folgten am Seil, indem
wir den Einstieg etwas mehr von rechts nahmen.
I)ie folgende Kletterei ist leicht, wir passirten noch
mehrere Bänder und standen um 10 h 45 m in der
Mitte der grossen Schneemulde, wo wir bei reich¬
lichem Wasser wieder eine längere Rast hielten (bis
11* 20 m ).

Ein breites Schuttband führte uns nun wieder
nach links steil auf eine Scharte, von welcher wir
jenseits zwischen senkrechten Mauern in einen riesi¬
gen, in die Grosse Pisenca abstürzenden Tobel hinab¬
sahen. In grossartiger Wildheit und Steilheit erhebt
sich knapp gegenüber der Suhi plaz und die scharfe
Klippenreihe des Skerlaticastockes. Ober uns er¬
blicken wir in der letzten Gipfel wand des Priznig
bereits den Beginn des Bandes, welches uns auf die
Grathöhe führen soll. Der Zugang zu demselben
wird durch den interessantesten Kamin gebildet, den
ich auf meinen Fahrten durch die Kalkalpen, die
Dolomiten nicht ausgeschlossen, gefunden. Derselbe
ist sehr tief und so schmal, dass ein Klettern in
seiner Sohle ganz unthunlich ist, auch fehlen Griffe
und Tritte im oberen Theil fast gänzlich, so dass
die Kletterarbeit den Knieen und Ellenbogen zufällt.

Der nun folgende Theil des Weges ist von ganz
besonderer Schönheit. Langsam zogen wir auf dem
breiten, nur stellenweise sich verengernden, doch
stets bequemen Schuttband wieder weit nach rechts,
bis wir fast oberhalb des Priznigloches die Grat¬
höhe des Priznig erreichten. Die Ausblicke, die
wir dabei von der grossen Höhe, in der wir uns
bewegten, auf die ungeheure, vielfach gegliederte
Wand unter uns, auf die vielen über die gewaltige
Tiefe vorragenden Felsthürme, Söller und Kanzeln
und auf den ganzen, massigen Aufbau dieses gross¬
artigen Berges hatten, zähle ich zu meinen schönsten
Eindrücken aus den Julischen Alpen.

Von der Grathöhe öffnete sich uns plötzlich der
Blick in das Trentathal. Es ist das alte ; liebe Thal¬
bild, wie es schon so manches Mal freundlich zu uns
herauf gegrüsst, und doch ist es uns stets neu und
überraschend in seiner ruhigen, friedlichen Schönheit!

Den letzten Theil der Tour vollführten wir über
den Westgrat des Berges und, wo es auf der Schneide
selbst zu unbequem war, auf der rechten (Trenta-)
Seite desselben. Um 3 h nachmittags hatten wir den
Gipfel erreicht, konnten jedoch leider nur mehr eine
sehr beschränkte Aussicht gemessen, da sich bereits
Wolken zusammenzuziehen begannen. Als wir um
4 h nachmittags die Spitze verliessen, waren wir be¬
reits in den dichtesten Nebel gehüllt.

Ich will es für Nachfolger nicht unerwähnt lassen,
dass sich die Tour bei rascherem Tempo ohne
Zweifel um mehrere Stunden abkürzen lässt. Wir
hatten uns sehr Zeit gelassen und hatten die herr¬
liche Tour um so gründlicher genossen. Wo es nicht
nothwendig ist, wo es nicht entweder die Grosse