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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.17 (1891)
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MITTHEILUNGEN

DES

DEUTSCHEN UND OESTERREICHISCHEN ALPENVEREINS.

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Nr. 20.

Wien, 31. October.

1891.

Der Monte Popera (3000 m Aner.).

Von E. Graf Ettnigl in Waldbaus bei Greis:.
(Schluss.)

Anderen Tags (31. Juli) verliessen wir nach ein¬
genommenem Frühstück 4 h 10 m die Hütte und er¬
reichten, die Schnee- und Geröllfelder unter den
Wänden des Zwölfers traversirend, um 5 h das Giralba-
joch. Von hier in das Giralbathal absteigend, gelang¬
ten wir zur Einmündung des Val stallata um 6 h 30 m .

Veit stieg nun am rechtseitigen Gehänge* des
schluchtartigen Thaies hinan, um den weiteren Weg
in das Val stallata zu recognosciren, während wir
an dem Bache eine halbe Stunde rasteten. Auf
Veits Zuruf brachen wir auf und wandten uns dem
von rechts vorspringenden Felshöcker zu, auf wel¬
chen ein Schafsteig führte, welcher oben durch
Latschen hindurch das rechtseitige Gehänge querte.
Um 7 h 50 m waren wir an einer den Hang quer
durchsetzenden Wand angelangt, welche nur für
mich insoferne eine Schwierigkeit bot, als die
Spannung meiner Beine nicht ausreichte, den näch¬
sten Tritt zu gewinnen und ein eingestemmter Pickel
als Zwischenstufe dienen musste. Ueber Grasboden
weitergehend, sahen wir da und dort Gemsen, wel¬
che dieses stille, unbetretene Thal als sicheren Auf¬
enthalt gewählt hatten; weiter oben im Kare zählten
wir ein Rudel von 14 Stück, welche leicht und
graziös über die Schrofen sich in Sicherheit brachten.

Der Weg auf dem rechten Thalgelände wurde
durch einen plattigen Absturz gesperrt und trachteten
wir zur Thalsohle zu gelangen. Zu diesem Behufe
mussten wir durch eine kaminartige Schlucht ab¬
steigen, die weiter unten theilweise mit vereistem
Lawinenschnee erfüllt war. Während des Hinab-
kletterns glitt meine Virginiertasche aus dem Kocke
und verschwand, scheinbar rettungslos verloren, in
einer Eisspalte; dank der werkthätigen Hilfe Veits
wurde sie jedoch wieder zu Stande gebracht.

* Rechts und links stets im Sinne des An-, respective Ab¬
stieges genommen.

An dem Bache angelangt (8 h 35 m ), hielten wir
eine Frühstücksrast. Nach 25 Min. brachen wir
wieder auf und stiegen nun auf der linken Thalseite
über die Schrofen und Felsabsätze der obersten Thal¬
stufe empor in das weitgedehnte, mit Geröll und
Schnee erfüllte Kar. Gerade vor uns führte eine mit
Schnee bedeckte Rinne — oder besser gesagt, ein
Hochthal — zu dem Sattel zwischen Monte Popera
und Hoehbrunnersehneide, der auf der kleinen Hand¬
skizze mit c bezeichnet ist. Rechts davon erhebt
sich das Massiv des Monte Popera, links aber
dräuen die gewaltigen Wände der Hoehbrunner¬
sehneide, welche mit ihrer Firnkrone einen wunder¬
vollen Anblick gewährt.

Der Monte Popera erscheint als breitaufgebauter,
pyramidenförmiger Steinkoloss, nur auf einzelnen
minder geneigten Flächen, sowie in den tiefeinge¬
schnittenen Schluchten haftet der Schnee. Er ent¬
sendet gegen Südost einen Grat in das Kar, der
dort, wo das letztere, sich verengernd, in das vor¬
erwähnte Hochthal übergeht, eine Einsattlung zeigt,
welche vom Kare aus bequem zu erreichen ist.

Wir stiegen links unter den Wänden über Schutt
und Schnee hinan, querten dann das Kar nach
rechts, bis wir in die Nähe der oben erwähnten Ein¬
sattlung gelangten, da wir der Ansicht waren, dass
der Anstieg zum Gipfel sich von dort aus am besten
bewerkstelligen lasse. Unter einem mächtigen Fels¬
blocke, der aus dem Schnee emporragte, wurde
Halt gemacht (10 h 45 m ), während Veit von da aus
den Anstieg in die Wand versuchte. Etwa eine
halbe Stunde später hörten wir Veits Ruf und ent¬
deckten ihn hoch an der Wand, wie eine Fliege
herumspazierend. Er gab die Weisung, einer in das
Massiv einschneidenden Schneerinne zu folgen und
dann in die Felsen einsteigend, seinen Standpunkt
zu gewinnen.