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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.17 (1891)
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Mittheilungen des Deutschon und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 3.

selbe Wunsch, und zwar schon zu einer Zeit, wo
die Erschliessung selbst noch keineswegs beendigt
war. Er fand eine nur sehr unvollkommene Erfüllung
in einzelnen Aufsätzen, nicht in einer zusammen¬
fassenden Darstellung. Die Aufgabe ist auch für
die Ostalpen viel schwieriger als für die Schweiz.
Studer beschränkte sich auf die grossen Gipfel ersten
Ranges. Er konnte für diese sogar eine bestimmte
Höhengrenze ansetzen. In den Ostalpen ist letzteres
unmöglich. Im Kalkgebirge hängt Schwierigkeit und
Interesse nicht von der Höhe ab. Die vielen und
ausgedehnten niedrigeren Gruppen unserer Alpen
können nicht neben den hervorragenden Hoehgipfeln
ganz bei Seite gesetzt werden. Eine dem Stude
sehen Werke entsprechende Arbeit für die Ostalpen
wird also schon in der Auswahl des Stoffes anders
vorgehen müssen, aber auch in manchen anderen
Beziehungen sich gründlich unterscheiden. Ist es
doch ungemein bezeichnend, dass trotz des viel¬
fach ausgesprochenen Bedürfnisses und trotz der
grossen Anzahl von Interessenten an dieser Sache
sich kein einzelner Autor, wie Studer, an das
Werk gewagt hat. Das Feld ist zu gross, und die
erwähnte Notwendigkeit, über den engen Kreis
besonders hervorragender Objecte hinauszugreifen,
setzte bei dem Autor eine Detailkenntniss aller
Gruppen der Ostalpen voraus, welche, wie es scheint,
sich Niemand zutraut.

Somit fiel von selbst die Aufgabe einer Vielheit
von Personen zu und demgemäss die Organisation
der Sache dem Central-Ausschuss des D. u. Oe. Alpen-
vereins. Schon die Generalversammlung in Villach
hat entsprechende Beschlüsse gefasst. Ein 1886
gewähltes Comitö erledigte einige Vorfragen; aber
erst 1889 kam die Sache durch Bestellung eines
Redacteurs in Fluss, welchem die Gewinnung von
Mitarbeitern für die einzelnen Gruppen oblag.

Nun ist in stiller Arbeit das Unternehmen soweit
gefördert worden, dass eine Ankündigung desselben,
im Kreise der Vereinsgenossen angezeigt erscheint.
Die Manuscripte für die einzelnen Gruppen liegen
theils schon vollendet vor oder gehen doch ihrer
Vollendung entgegen. Ueber Umfang und Heraus¬
gabe sind Entscheidungen getroffen. Es wird
hoffentlich möglich sein, im Herbste dieses
Jahres das erste Heft des vielbesproche¬
nen Ostalpen-Studer's unter dem Titel: „Die
Erschliessung der Ostalpen" erscheinen zu lassen,
denn das Werk soll heftweise herausgegeben wer¬
den. Es wird etwa drei starke Bände in einem
etwas grösseren Format, als das der „Zeitschrift
des D. u. Oe. Alpenvereins" ist, umfassen. Es wird
nach einer kurzen — nicht topographischen — Ein¬

leitung die Erforschungsgeschichte der einzel¬
nen Gruppen im Sinne ihres Bekanntwerdens, vor
Allem die Geschichte des allmäligen Vordringens
zu den schwer erreichbaren Gipfelrevieren, also die
Ersteigungsgeschichte bringen, beschrieben von Per¬
sönlichkeiten, die als specielle Kenner dieser Gebiete
gelten dürfen. Eine, wenn auch bescheidene Aus¬
stattung mit Ansichten und Kärtchen soll weniger
zur Zierde als zur Erläuterung des Textes dienen.
Den Schluss des Werkes wird eine Geschichte der
wissenschaftlichen Erforschung der Ostalpen bilden;
wie man wohl wird sagen dürfen, eine nothwendige
Ergänzung des Gesammtwerkes und jedes einzelnen
Theiles. Ist doch das wissenschaftliche Interesse an
den Alpen besonders in den Anfangsperioden einer
der stärksten Antriebe für das Eindringen in die¬
selben gewesen, und liegt auch heute noch in der
Verflechtung der eigentlich bergsteigerischen und
der wissenschaftlichen Bestrebungen eine Eigenheit
unseres Vereines und seiner Veröffentlichungen.

Der Verein wird das Werk in eigenem Verlage
herausgeben und dadurch in der Lage sein, das¬
selbe seinen Mitgliedern zu einem Preise zu liefern,
der weit unter jenem stehen wird, den ein Buch
gleichen Umfanges im Buchhandel kosten würde. Es
wird seinerzeit unter den Vereinsmitgliedern eine
Subscription eingeleitet werden; je grösser die Be¬
theiligung ist, desto niedriger wird sich der Preis
stellen, da nicht ein Gewinn gemacht, sondern nur
die Kosten hereingebracht werden sollen.

Hoffentlich wird man finden, dass das Buch
gegenwärtig zur rechten Zeit kommt. Noch leben
viele von den Veteranen jener merkwürdigen Zeit,
als grössere Bergpartien in den Ostalpen Entdeckungs¬
reisen waren, die den grössten wissenschaftlichen
Gewinn versprachen .und über welche man Berichte
in den Schriften gelehrter Akademien veröffent¬
lichte, da noch auf den Karten ganze Thäler fehlten
und die Gipfel keine Namen hatten. Andererseits
scheinen gegenwärtig die Grenzen des Erreichbaren
fast erreicht. Durch eine grosse Steigerung der berg¬
steigerischen Technik und Unternehmungslust sind
auch die schwierigsten Aufgaben, welche man sich
stellen konnte, mit Verachtung aller Gefahr gelöst
worden. Was etwa weiter noch kommen mag, wird
kaum mehr jenes Interesse bieten können wie das
Vergangene.

Eine sachgemässe Geschichte der allmäligen Er¬
schliessung der Ostalpen wird also wohl hoffen dür¬
fen, mehr zu sein als eine Sammlung von Aben¬
teuern, nämlich die Geschichte einer höchst merk¬
würdigen geistigen Strömung, an der wir Alle selbst
lebhaft mit unserem Gemüthe betheiligt sind.

Wissenschaftliche Arbeiten des Alpenvereins.

Dein in den Statuten an erster Stelle ausgesprochenen
Zweck unseres Vereins, die Kenntniss der Alpen Deutsch¬
lands und Oesterreichs zu erweitern, entspricht im Budget ein
eigener Posten: Wissenschaftliche Untersuchungen, welcher

gegenüber den anderen Rubriken unseres Haushaltes zwar
eine nur sehr bescheidene Höhe besitzt, aber immerhin er¬
möglicht, den guten Willen und lebendigen Eifer strebsamer
Kräfte lebhaft zu unterstützen. Eine Reihe trefflicher Arbeiten