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MITTHEILUNGEN
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Nr. 5.
Wien, 15. März.
1891.
Zwei Erstlingstouren in den Sextener Dolomiten.
Von Dr. Hanns Helversen in Wien.
I.
Die Kleine Zinne von Norden,
Auch die Berge haben ihre Geschichte, und wenn
dieselbe auch nicht in weite Zeiten zurückreicht,
fehlt ihr doch nicht der Eeiz des Helden- und Sagen¬
haften ; denn bewundernswerth waren manchmal der
zähe Muth und die mit gleich grosser Ruhe gepaarte
Kühnheit derer, welche die für unersteiglich gelten¬
den und in ein abergläubisches Dunkel gehüllten
Bergesgipfel bezwangen, und die Poesie der Hoch-
gebirgswelt theilte sich — oft vielleicht zu sehr —
dem Erzählten mit. Unter den gleichfalls mit solchem
Glänze umgebenen Bergen steht wohl die Kleine
Zinne in erster Reihe, und unlöslich ist mit ihrem
Namen das Andenken an unseren berühmten Fels¬
kletterer Michael Innerkofler vereint. Wie lange
sie für unersteiglich galt und wie der zähe Michel
sie endlich doch überwand, brauche ich hier wohl
nicht zu berichten; ihr Name gehört auch zu den
bekanntesten, wie sie ja lange Zeit als Typus
schwierigster Felskletterei genannt wurde.
Vor drei Jahren habe ich sie in Gesellschaft
meiner Frau mit Michel erstiegen; es war drei Tage
vor Michel's Tode und die Kleine Zinne der letzte
von ihm glücklich bestiegene Berg; sie hatte seinen
Ruhm begründet und ihre Schwierigkeiten hat er
stets leicht überwunden.
So oft ich seitdem an der Elleinen Zinne vorbei¬
kam — und es geschah dies bei meinem wiederholten
Aufenthalte in diesem Theile der Dolomiten ziemlich
häufig — blieb mein Auge jedesmal lange an ihrem
schroffen Gipfelthurme haften. Bald gesellte sich
jedoch, wie so oft, zu dem anfangs nur bewundern¬
den Gedanken ein kritischerer, der nämlich, ob der
spröden Zinne nicht auch über die fast senkrecht
erscheinende Nordwand des Gipfelthurmes beizu¬
kommen wäre. Der einzige bisher genommene Weg
führt bekanntlich durch die Südwestwand des Berges
empor, wo ein von Südost kommender Grat hoch
an dem Gipfelthurm bis zum Fusse jenes berüchtig¬
ten obersten Kamines hinanreicht. Nach Norden hin¬
gegen stürzt der Thurm in einer jähen Wand ab,
die auf ihrer westlichen Seite, oft überhängend, bis
in das nördliche Sclmeecouloir zwischen Grosser und
Kleiner Zinne hinabreicht, auf ihrer östlichen Seite
aber auf jenem kleinen Plateau aufruht, das sich
zwischen dem Gipfelthurm und dem nordöstlichen
Zacken der Kleinen Zinne befindet. Die Höhenver¬
hältnisse dieser Nordwand lässt der Blick von der
Dreizinnenhütte schwer erkennen, da derjenige Theil
der Wand, der sich über dem genannten kleinen
Plateau in einer Höhe von gegen 130 Meter auf¬
baut, von dort aus sehr verkürzt erscheint; richtiger,
wenn auch nicht schöner, erscheinen diese Verhält¬
nisse von einem nördlichen, höher gelegenen Stand¬
punkt. Wenn ein Aufstieg von dieser Seite durch¬
zuführen war, so musste er über jenes Plateau führen;
bis zu demselben war allem Anscheine nach ohne be¬
sondere Schwierigkeiten zu gelangen; ob der Ein¬
stieg in die Thurmwand und die Durchkletterung
derselben möglich wären, blieb eine offene Frage,
über die nur ein Versuch Aufschluss geben konnte.
Am Nachmittage des 27. Juli v. J. langte ich in
Gesellschaft der Frau Rosine Artaria-Graz (mit
Veit Innerkofler) und des Herrn Dr. E. Witlaczil-
Wien in der gastlichen Dreizinnenhütte an, nachdem
wir gemeinsam die erste Ersteigung zweier kleinerer
Gipfel der Schustergruppe, der Morgenalpel- und
Langlahnspitze, ausgeführt hatten. Frau Artaria
wollte am nächsten Morgen unter Veits Führung die
Kleine Zinne besteigen, und Herr Dr. Witlaczil
war mit Führer Hans Watschinger, der bald nach
uns zur Hütte kam um, Veit folgend, den Weg auf
die Kleine Zinne kennen zu lernen, übereingekommen,
die Tour gemeinschaftlich zu machen. Aber auch
für mich sollte gesorgt sein: Sepp Innerkofler, der
von der bevorstehenden Zusammenkunft in der Hütte
erfahren hatte und dachte, „es könnte oben etwas
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