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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.22 (1896)
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Mittlieilungen des Deutschen und Oesterreicliischen Alpenvereins.

Nr. 8.

feld eröffnen, wie sich ein zweites in den
gesammten Ostalpen nicht leicht wieder fin¬
det. Diese Behauptung mag zunächst gewagt er¬
scheinen, ich hoffe aber, dass es mir im Folgenden
gelingen wird, sie zu begründen.

Auf die landschaftliche Grossartigkeit des zu er-
schliessenden Gebietes habe ich theilweise schon hin¬
gewiesen, es fällt hier aber für den Hochgebirgs.-
freund noch ein weiterer Umstand in das Gewicht,
nämlich die Ermöglichung einer Gratwanderung
vom Tresero bis zum Cevedale, einer Gratwan¬
derung von einer Ausdehnung und in einer Höhe,
wie sie in der Alpenwelt wohl einzig dasteht. In
der Erschliessung dieser einzig grossartigen Tour
auch für weitere Kreise und weit weniger leistungs¬
fähige Steiger als jene hochtouristischen Grossen,
welche diese Tour zuerst ausführten („Erschliessung
der Ostalpen", Bd. H, S. 175 und 499), möchte ich
den Grund sehen, weshalb hier eine einzig da¬
stehende Aufgabe — weil nur hier diese Vorbedin¬
gungen vorhanden — zu lösen ist. Der Schlüssel
zu dieser Lösung scheint mir in erster Linie in der
Erbauung einer Hütte auf dem Col degli
Orsi zu liegen, und zwar müsste die Hütte mög¬
lichst hoch, d. i. möglichst nahe dem Passe selbst
gelegen sein. Der Thalausgangsort für diese Hütte
wäre das Bad Pejo im Val del Monte, welches von
Fucine aus in circa 2 St. erreicht wird. Bis Fucine
besteht eine Postverbindung sowohl von Bozen über
die Mendel, als auch von Mezzolombardo aus.

Von Norden wäre der Zugang von der Zufall¬
hütte über das Hochfernerjoch (womit eine Besteigung
der Veneziaspitze und der Cima Marmotta unschwer
verbunden werden kann) und durch das Val Venezia;
aus dem Val Cedeh wäre der Zugang über den
Col degli Orsi.

In zweiter Linie wäre durch Drahtseilanlagen,
Eisenstiften, vielleicht auch durch kleine Felsspren¬
gungen die oben erwähnte Gratwanderung vom
Cevedale zum Tresero zu erleichtern; es würden
hier besonders Anlagen an der Punta Taviela und
der Crozzi Taviela („Erschliessung der Ostalpen",
Bd. II, S. 165) und der Rocca Sta. Caterina (eben¬
da, S. 175), wie auch an der Punta Pedranzini
nöthig werden.

Ich möchte hier einschalten, dass die vorstehenden
Angaben sowohl bezüglich des Hüttenplatzes als der
Wegverbesserungen nur ganz allgemein gehalten
sein können und besonders die Durchführung der
letzteren nach der Erbauung der Hütte sich nach und
nach von selbst als nöthig ergeben würden und fort¬
schreitend erweitert und verbessert werden müssten.

Diese Hütte wäre mit den durch die Erbauung
weiters veranlas sten und verbundenen Weganlagen
und Verbesserungen Ausgangspunkt für die Touren
in dem ganzen südlichen Theile der Gruppe, nämlich:

1. Für die Gipfel Monte Giumella Punta
San Matteo mit Abstieg nach Sta. Caterina, und
zwar über die Vedretta Dosegu oder den Forno-
gletscher; der erstere Abstieg könnte über den
Gaviapass weiter nach Ponte di Legno fortgesetzt
werden.

2. Für die Kammwanderung von der Punta
San Matteo zum Pizzo Tresero mit Abstieg
nach Sta. Caterina oder über den Gaviapass nach
Ponte di Legno.

3. Für die Punta Cadini, die Punta Taviela
und den Monte Vioz.

4. Für die Tour vom Col degli Orsi über die
Punta CadiniPunta TavielaMonte Saline
Monte ViozPallon della MareMonte Ro-
soleZufallspitze (Cevedale) zur Hütte der
S. Halle auf dem Eisseepasse.

5. Die gesammte Gratwanderung könnte
vom Eisseepasse aus den ersten Tag bis zur
Hütte auf dem Col degli Orsi ausgeführt und
am zweiten Tag über den Pizzo Tresero fort¬
gesetzt werden, in gleicher Weise Hesse sie
sich umgekehrt von Sta. Caterina zum Eissee¬
passe ausführen.

Eine Concurrenzhütte zu bauen wäre nicht leicht
möglich, da die Hütte auf dem Col degli Orsi den
ganzen bisher verwaisten südlichen Theil der Gruppe
erschliessen würde und daher immer Centralausgangs-
punkt für denselben bleiben würde, selbst wenn an
der Westseite des Val della Mare — was aber nach
der ganzen Configuration unwahrscheinlich ist —
später eine Hütte speciell für einen einzelnen, anderen
Gipfel gebaut würde.

Auf italienischer Seite wäre höchstens mit der
Möglichkeit eines Hüttenbaues am Tresero, etwa am
Fusse des Treserogletschers, zu rechnen; diese Hütte
würde aber derjenigen am ,Col degli Orsi nur von
Sta. Caterina kommende Besucher zuführen.

Schliesslich möchte ich noch einen Umstand an¬
führen, der gerade jetzt einen Hüttenbau und Weg¬
anlagen in der südlichen Ortler Gruppe zeitgemäss
erscheinen lässt und diesem Arbeitsgebiete eine bal¬
dige, grosse Zukunft sichert, nämlich die Erbauung
der Vintschgaubahn von Meran nach Mals, welche
mit dem hoffentlich folgenden Anschlüsse über Nau-
dersLandeck der Ortler Gruppe einen noch weit
regeren Besuch bringen wird, als er ihr jetzt schon
zu Theil wird. Dass auch die Geschäftskreise damit
rechnen, zeigt der Bau des grossen Hotels der Ge¬
sellschaft Christomannos in Trafoi, welches im kom¬
menden Sommer eröffnet werden wird.

■ Wenn ich die Momente, welche für den be¬
sprochenen Bau in die Wagschale fallen, kurz zu¬
sammenfasse, so darf ich sagen: Es ist ein entschie¬
denes Bedürfhiss dafür vorhanden, nachdem die
südliche Ortler Gruppe keine ausreichende Hütte
besitzt und durch Erbauung einer solchen erst in
den touristischen Verkehr gezogen wird. Es wird
durch die Erbauung einer Hütte auf dem Eissee¬
passe in Verbindung mit einer solchen auf dem Col
degli Orsi eine Reihe der grossartigsten Gipfel- und
Gratwanderungen erschlossen. Die touristischen Zu¬
gänge zur Hütte sind günstig, sie schliessen im
Norden an die besuchten Thäler von Martell und
Sulden an, im Westen an das Cedehthal, im Süden
an das Sulzbergthal, mit den Weganschlüssen zur
Adamello und Brenta Gruppe. Der Platz auf dem
Col degli Orsi besitzt für Weganlagen, Hüttenbau