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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.22 (1896)
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MITTHEILUNGEN

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Nr. 8.

Wien, 30. April.

1896.

Ein hochalpines Arbeitsgebiet.

Von Alfred Steinitzer in Würzburg.

„Die grosse Zahl stolzer, kühn geformter Gipfel,
von denen manche mit den gefeiertsten Riesen der
Bernina Gruppe und des Berner Oberlandes an
Höhe wetteifern und einzelne, wie die Königsspitze,
der Tresero und die Thurwieserspitze zu den schön¬
sten Berggipfeln der gesammten Alpenwelt gehören,
sowie die erhabene Schönheit grossartiger Hoch-
gebirgsbilder, sichern den Ortler Alpen die Ober¬
herrschaft unter den einzelnen Gruppen der Ost¬
alpen und üben auf die Gebirgsfreunde aller Nationen
eine immer grössere Anziehungskraft aus." (Purt¬
scheller und Hess, „Der Hochtourist", I, S. 155.)
Jeder, der das Glück gehabt hat, dieses herrlichste
Stück der Eiswelt Tirols zu durchwandern, wird
diesen trefflichen Worten zustimmen, er wird aber
auch erstaunt sein, wie sehr der südliche Theil der
Gruppe in Bezug auf Hüttenbauten und die dazu¬
gehörigen Weganlagen vernachlässigt ist.

Der nördliche Theil der Ortler Alpen kann jetzt
wohl in dieser Richtung als „saturiert" bezeichnet
werden. Für die Umrahmung des Trafoierthales be¬
stehen ausser Trafoi selbst die Gasthäuser auf der
Franzens- und Ferdinandshöhe, die IV. Cantoniera,
die Payer- und Berglhütte; für das Suldenthal die
Payer-, Bäckmann-, Schaubach- und Düsseldorfer¬
hütte, für das Martellthal die Zufallhütte, für das
Laaserthal die Troppauerhütte, endlich erbaut die
S. Halle auf dem Eisseepasse eine Hütte, welche
gleichmässig für das Sulden- und Martellthal eine
ausserordentlich günstige Lage hat.

Hiezu kommen noch auf der italienischen Seite
die Cedehhütte, welche jedoch nur als Ausgangs¬
punkt für die Königsspitze und den Monte Ceve-
dale in Betracht kommt, sowie die allerdings recht
einfache Mailänderhütte im Val Zebrü. Für die
Besteigung der Zufallspitze von Osten und der
Veneziaspitze dient die gleichfalls schlecht einge¬
richtete, nicht verproviantierte Cevedalehütte; in dem
südlich des Cevedale sich erstreckenden Kamm fin¬

det sich aber keine einzige Hütte mehr. Dies ist
wohl auch der Hauptgrund, warum dieser Theil der
Gruppe verhältnissmässig ausserordentlich wenig be¬
sucht wird. Und gerade hier wäre es ein drin¬
gendes Bedürfniss, den Zugang zu den herr¬
lichen Gipfeln vom Pizzo Tresero bis zum
Pallon. della Mare zu erleichtern.

Der grossartige Eiscircus des Fornogletschers,
umstanden von zehn Gipfeln, — deren niedrigster,
die Cima San Giacomo, 3283 m. zählt, deren übrige
alle die Höhe von 3500 m. übersteigen, — hat sicher¬
lich nicht seines Gleichen, mir schien es wenigstens,
dass er alle die berühmten Schaustücke der Tiroler
Eiswelt, wie z. B. die Pasterze und selbst die Um¬
rahmung des Suldenferners, an Grossartigkeit um
ein Beträchtliches überrage. Die Riesen, welche in
diesem Eismeere fassen, vom Pallon della Mare bis
zum Pizzo Tresero, sind sämmtlich an und für sich
nicht schwierig zu besteigen — man vergleiche nur
die einschlägige Literatur — aber alle erfordern
mühsame, lange dauernde Gletscherwanderungen und
die Bewältigung einer sehr bedeutenden Höhen¬
differenz. Denn bei der Tiefe der Thäler und der
Höhe der in Betracht kommenden Gipfel (3500 bis
3700 m.) ist die relative Höhe eine beträchtlich be¬
deutendere als in den übrigen Theilen der Ostalpen,
wozu eben noch kommt, dass die Besteigungen gegen¬
wärtig von der Thalsohle ausgeführt werden müssen.
Die wenigen allenfalls in Betracht kommenden Alp¬
hütten sind so schmutzig, dass selbst die Führer
sich weigern, dortselbst zu übernachten; und seitdem
ich einmal gezwungen war, während eines Gewitter¬
regens in einer derartigen Baito" nur eine Stunde
zu verweilen, finde ich diese Weigerung vollkommen
begründet.

Gerade in diesem stiefmütterlich behandel¬
ten Gebiete dürfte sich meiner Anschauung
nach für eine unternehmungslustige Section
ein so grossartiges und dankbares Arbeits-