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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.
Nr. 14.
namentlich wenn in schneearmen Sommern in der
Schneeschlucht unüberkletterbare Felsstufen den Weg
hemmen und zum Ausweichen in die Wände der
Rinne nöthigen. Da auf diesem Wege auch die jedem
Palaersteiger wohlbekannte Scaletta überklettert wer;
den muss, ist dieser Passübergang nur geübteren
Steigern anzurathen. Allerdings stellt derselbe den
kürzesten Zugang zur Pravitalehütte von San Mar-
tino aus dar, da man nur 3
1
/
2
St. benöthigt. Viel
bequemer, wenn auch mit einem Mehraufwand von
P/2 St., ist die Hütte über das ausserordentlich in¬
teressante Hochplateau von der Rosettahütte aus zu
erreichen, wobei man ohne grösseren Zeitaufwand
die Fradusta besteigen kann; die Wanderung kann
auch von Ungeübten unternommen werden. Ebenso
leicht kann die Hütte von Primiero aus durch das
untere Val di Canali und das Val Pravitale in 4 St.
erreicht werden.
Die Schutzhütten im Val Pravitale und Val di Ca¬
nali haben den ausserordentlich grossen Nutzen, dass
man die Passübergänge auf zwei Tage vertheilen
kann, wobei man bequem einen oder zwei benach¬
barte Hochgipfel nebenbei zu ersteigen im Stande ist,
und dass namentlich die langen Anmärsche, die man
besonders bei den Bergen des Val Pravitale, sowohl
von San Martino als auch von Primiero aus, bis jetzt
gar nicht vermeiden konnte, bei der eigentlichen
Hochtour wegfallen. Da die überaus unklare Topo¬
graphie des Gebietes ein Eingehen auf die genaue¬
ren Gebirgsverhältnisse zur Zeit nicht zulässt, will
ich mich auf eine kurze Aufzählung der in Frage
kommenden Berge beschränken und mir für einen
späteren Aufsatz, sobald abschliessende Berichtigun¬
gen vorliegen, ein genaueres Eingehen auf die Topo¬
graphie des Gebietes vorbehalten. Von der Croda
Grande angefangen, weist der Gebirgszug nach
Süden folgende Gipfelpunkte auf: den in einem
kleinen Seitenkamm liegenden Sasso di Campo, den
Sasso Ortiga (von mittlerer Schwierigkeit), die sehr
schwierige Punta della Madonna und den Sasso Ca-
vallera (Cima d'Oltro), sowie die leicht erreichbaren
Gipfel des Feltrai, Dalaibol, sowie der Rocchetta.
Nördlich von der Croda Grande, die von mittle¬
rer Schwierigkeit ist, kommt für unser Hüttengebiet
noch der Crespaz della Luna und die Cima della Beta
in Betracht. Der Querzug weist, östlich angefangen,
folgende Gipfel auf: die sehr schwierige Cima del
Coro, der nach Norden die dreigipfelige Cima del
Marmor vorgelagert ist, und die Cima d' Alberghetto,
worauf sich der Kamm zum Canalipass hinabsenkt,
sich gleich darauf aber wieder zu den Gipfeln der
Cima Lastei und Cima Manstorna erhebt, worauf er,
wie schon erwähnt, in der schneebedeckten Cima
di Fradusta culminiert. Diese drei Gipfel sind un¬
schwer zu erreichen. Der erwähnte Scitenkamm, der
etwas westlich der Fradusta abzweigt, trägt als Er¬
hebung die sehr schwierige Cima Wilma und Cima
di Canali, weiterhin die Cima delle Lede und Cima
Sedole, beide von mittlerer Schwierigkeit. Weit nach
Norden ausbiegend, senkt sich der Querzug zum
Passo di Fradusta hinab, um dann sofort, sich südlich
wendend, wieder hoch anzusteigen. Dieser Theil
des Kammes trägt von Norden gerechnet als Er¬
hebungen die sehr schwierige Pala di San Martino,
die Cima Immink und Cima Pravitale, letztere beiden
von mittlerer Schwierigkeit. Der südliche Theil des
Hauptzuges steigt sofort stark an und culminiert vor¬
erst in dem sehr schwierigen Campanile di Val di
Roda, weiter folgt die Cima di Val di Roda und die
Cima di Ball, beide unschwierig, worauf sich der Kamm
nach den Thürmen des Sass Maor hinzieht und süd¬
lich derselben in der Cima Cimerlo zum letzten Male
erhebt. Der Cima di Ball ist der Campanile Pra¬
vitale in östlicher Richtung vorgelagert.
Verlassen wir nun diese topographischen Erörte¬
rungen und kehren wir zur Entstehungsgeschichte
der Canali- und Pravitalihütte zurück. Nachdem alle
unsere Recognoscierungen in so überaus günstiger
Weise verlaufen waren, glaubten wir durch den
Vorschlag eines Hüttenbaues in den erwähnten zwei
Thälern die Jubiläumshüttenfrage zu aller Zufrieden¬
heit gelöst zu haben. Nachdem noch einige Bedenken,
welche aus der einberufenen Versammlung betreffs
der entfernten Lage der Hütten und ihres Zweckes
als „Kletterhütten" geltend gemacht wurden, be¬
seitigt worden waren, wurde der Bau der Schutz¬
hütten im Val di Canali und Val Pravitale beschlossen.
Noch aber gab es viel zu thun, zeitraubende Corre-
spondenzen mussten geführt werden, ehe an den Be¬
ginn des eigentlichen Baues gedacht werden konnte.
Nach Beseitigung einiger die Platzfrage betreffen¬
den Schwierigkeiten konnte der Bau beginnen, und
so stehen sie denn heute fest gefügt, die stattlichen
Häuser, als Zeichen rastloser Bestrebungen des D.
u. Oe. Alpenvereins.
Mögen die Hütten der S. Dresden manchen Wan¬
derer unter ihren gastlichen Dächern beherbergen,
mögen viele von hier aus in schwerer Kletterarbeit
wie beim harmlosen Jochübergange die wunderbare
Pracht dieser südlichen Dolomitenwelt geniessen und
deren Verkünder werden; möge dann aber auch ihr
frisches Leben auf Euch sehen, wenn der nimmer
rastende Mensch mit kecker Faust und starkem Arm
an euren Riesenleibern emporklimmt und der Klang
der Eisaxt von euren Flanken wiederhallt, ihr stillen,
weltvergessenen Berge des Val di Canali!
Die Wolayerseehütte der S. Obergailthal (2000 m.).
Von
Carl Kögeler
in Kötschach.
(Schluss.)
Und nun einige Worte über die Zugänge zur Hütte.
1. Von Oberdrauburg (Post- und Schnellzugsstation
der Südbahnlinie Marburg—Franzensfeste, 620 m.), der Ein¬
bruchsstation für das obere Gailthal, gelangt man auf der
neuerbauten, 13
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5 km. langen, prächtigen, auch für Radfahrer
geeigneten, meist durch Wald führenden Kunststrasse, deren
zahlreiche Serpentinen der Fussgänger auf einem gut mar¬
kierten Fusssteige fast gänzlich abschneidet, über den
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