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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.23 (1897)
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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 18.

Die Stüdl-Feier in Sulden.

Eine würdige Anerkennung wurde am 22. August d. J. im
Suldenthale den hervorragenden Verdiensten zutheil, die sich
Herr Joh. Stüdl durch seine nahezu dreissigjährige Wirksam¬
keit im Ortlergebiete erworben hat. Die Payerhütte und die zu
dieser Hütte von Sulden, Trafoi und Gomagoi emporführenden
Wege danken ihre Anlage und Erhaltung der eifrigen Fürsorge
und ausdauernden Thätigkeit, die Herr Joh. Stüdl an der Spitze
der S. Prag des D. u. Oe. Alpenvereins entwickelte. In wohl¬
erwogener Absicht richtete er sein Wirken vor Allem darauf,
die Zugänglichkeit des Ortlers zu erleichtern, weil dadurch die
weitere Erschliessung des ganzen Ortlergebirges am erfolgreich¬
sten eingeleitet und gefördert werden konnte. Thatsächlich er¬
hoben sich denn auch im Laufe der Jahre ausser der Payer¬
hütte (1875) noch die Schaubachhütte (1876), die Zufallhütte
(1882), die Bäckmannhütte (1892), die Düsseldorferhütte (1892),
die Berglhütte (1884, 1897) und die Halle'sche Hütte am Eissee-
pass (1897), Zeugniss gebend von der stetig fortschreitenden
Erschliessung der Ortler Alpen.

Aber die Payerhütte hat nicht nur eine grosse alpine, sondern
auch eine hervorragende wirtschaftliche Bedeutung. Sie bildete
die erste Stufe, von welcher aus der Fremdenverkehr im Sulden¬
thale, und zum grossen Theile auch im Trafoithale, bis zu
seiner heutigen Höhe sich aufschwingen konnte. Während vor
dreissig Jahren wohl kaum an jedem schönen Sommertage ein
Reisender im Ortlergebiete verweilte, beherbergte im heurigen
August Sulden und Trafoi täglich mindestens 600700 Fremde,
und der Gesammtbesuch von Sulden und Trafoi im Sommer
dieses Jahres darf auf 800010.000 Personen geschätzt werden.

Die grosse wirtschaftliche Bedeutung der Payerhütte für
Sulden ist von der Bevölkerung, hauptsächlich aber von der
Führerschaft dieses Thaies stets lebhaft empfunden, sowie von
dem ehrwürdigen, unablässig auf das Wohl seiner Kirchen¬
gemeinde bedachten Curaten, Herrn Eller, im vollen Umfange
erkannt und gewürdigt worden. Die theilnehmende Fürsorge,
welche Stüdl dem Suldenthale während eines Menschenalters
widmete, gewann ihm alle Herzen, und so keimte und reifte
der Entschluss, seine fördernde Wirksamkeit durch ein sicht¬
bares Gedenkzeichzn zu ehren.

In einen Felsblock, der nahe an der Stelle emporragt, wo
der Weg zur Payerhütte von der Suldenstrasse abzweigt, ist
eine Tafel aus weissem Marmor eingelassen worden, die folgende,
durch einen Kranz von Alpenrosen und Edelweiss eingerahmte
Inschrift trägt:

Erinnerung an den verdienstvollen Alpenfreund
JOHANN STÜDL,

Vorstand der S. Prag des D. n. Oe. Alpenvereins, geboren am 27. Juni 1839.

Dankbarst gewidmet von Curat Eller, Alois Walinö'fer

und der Führergilde von Sulden.

Die Enthüllung dieser Gedenktafel wurde am Sonntag den
22. August bei prächtigem Wetter vollzogen und gestaltete sich
zu einer weihevollen, gemütherhebenden Feier, die jedem
Theilnehmer unvergesslich bleiben wird.

Gegen 10 U. versammelten sich auf der Strasse vor dem
Widum von St. Gertraud die Festtheilnehmer, etwa 500 Männer
und Frauen, Einheimische und Fremde, Touristen und Führer,
zahlreiche Gruppen bildend, in denen man besonders viele Mit¬
glieder des D. u. Oe. Alpenvereins bemerkte, unter Anderen die
Herren: Prof. v. Zwiedineck-Südenhorst (Mitglied des Cen-
tral-Ausschusses, Graz), Dr. Buchheister (Obmann der S. Ham¬
burg), J. A. Suhr (Obmann der Führerversicherungs-Cassa,
Hamburg), Hedemann (Berlin), Prof. Wangerin (Obmann
der S. Halle), Dr. Walther Schultze (Halle), W. Eckerth
(Obmann-Stellvertreter der S. Prag), Prof. Dorn (Halle), Dr.
Christomannos (Obmann der S. Meran), Dr. Tauscher und
L. Norman-Neruda, sowie die Frauen: Hermine Tauscher-
Geduly und M. Norman-Neruda.

Um 10 U. erdröhnten Pöllerschüsse im Thale und von der
Höhe der Payerhütte, und unter Vorantritt der Prader Musik-
capelle, welche ihre Weisen ertönen Hess, zogen die Versammel¬
ten, mit dem hochwürdigen Herrn Guraten und Herrn Stüdl
an der Spitze, zum Festplatze. Die verhüllte Gedenktafel war
mit Tannengrün und Blumen, mit Kränzen und Fahnen in
sinniger Weise geschmückt, und die freundlichen Urheberinnen
dieses .Schmuckes, Frau Wilhelm Schultz (London), Frau

Marie Hedemann (Berlin), Fräuleins Margarethe und Liesel
Hedemann (Berlin), Fräulein Antonia Kuppert (München),
Fräulein Lina Klingel (München) und Fräulein Lotti Bahr
(Wegeleben), die sich in der Nähe des Denksteines aufgestellt
hatten, empfiengen den Festzug durch Absingung eines Chorals.

Herr Curat Eller trat nun vor und begrüsste Herrn Joh.
Stüdl, den er vor 29 Jahren in Sulden kennen lernte, als den
praktischen Bahnbrecher der Ortlerforschung, welchem, wie Jul.
v. Payer, der die neuen Bahnen theoretisch eröffnete, eine
Gedenktafel gebühre. Nur eine sehr kleine Zahl von Berg¬
steigern konnte sich zumuthen, den Ortler unmittelbar von
Sulden oder Trafoi aus zu besteigen. Da haben Sie als Ob¬
mann der S. Prag den Bau der Payerhütte in Angriff genom¬
men und im Jahre 1875, obwohl mit vielen Opfern, glücklich
durchgeführt. Durch Schaffung der Payerhütte und ihre mehr¬
malige Vergrösserung ist der Ortler ein gut zugänglicher und
vielbesuchter Berg geworden, welcher den Thalbewohnern die
Möglichkeit lohnenden Erwerbes in reichlichem Maasse bietet.
Wollen Sie daher, geehrter Herr Stüdl, diese Gedenktafel als
schwachen Ausdruck der Dankbarkeit von den Einwohnern
in Sulden gütigst entgegennehmen! Für die vielen sauern
Arbeiten, die Sie für uns geleistet haben, hätten Sie freilich
viel mehr verdient! Aber Sie wissen ja, dass der Weltlohn
immer mangelhaft und gering ist; daher möge Ihnen der All¬
mächtige Gotteslohn, Himmelslohn verleihen! Solchen Lohn
wünschen wir Ihnen Alle von Herzen ! u

Nachdem der hoch würdige Herr Curat die Hülle von der
Gedenktafel entfernt hatte, reichte er Herrn Joh. Stüdl die
Hand und brachte dem Gefeierten ein dreifaches Hoch aus, in
welches die Festversammlung begeistert einstimmte, worauf die
Klänge der Musikcapelle ertönten und Pöllerschüsse durch das
Thal dröhnten.

Herr Stüdl dankte sichtlich gerührt für die ihm zutheil
gewordene Ehrung. „Ich kann jedoch diese mich tief ergrei¬
fende Ehrung unmöglich für mich allein in Anspruch nehmen,
da ich nur die Beschlüsse der S. Prag vollstreckte, welche die
erste Alpenvereinssection war, die das Ortlergebiet zu ihrem
Wirkungskreise sich erkor. Aber was wir hier begonnen, haben
die Schwestersectionen Hamburg, Düsseldorf, Dresden und Halle
bezüglich der Weg- und Hüttenbauten weiter ausgestaltet und
die S. Meran und Austria durch den Bau der Suldenstrasse
weitaus überboten. Ich kann daher die heutige Ehrung nur
dann annehmen, wenn ich darin auch zugleich die Ehrung der
S. Prag und der Schwestersectionen, die ich genannt habe, er¬
blicken darf. Die Ortler Alpen sind durch Jul. v. Payer wissen¬
schaftlich erforscht worden. Seine grossartigen Bergbesteigungen,
seine Schriften und Karten hatten grosses Aufsehen erregt und
die Aufmerksamkeit und Antheilnahme der Bergfreunde dem
Ortlergebiete und besonders dem Ortler selbst zugewendet. Als
daher vor 23 Jahren der Central-Ausschuss des D. u. Oe. Alpen¬
vereins in Frankfurt a. M. den Sectionen die Aufgabe stellte,
es möge eine derselben durch Weg- und Hüttenbau den höch¬
sten Berg der österreichischen und deutschen Alpen zugäng¬
licher machen, unterzog sich die S. Prag dieser äusserst dank¬
baren, wenn auch für die damalige Zeit sehr schwierigen Arbeit.
Aber die S. Prag hatte den Muth, dieses schwere Werk zu be¬
ginnen, weil sie sicher war, bei der Thalbevölkerung das
freundlichste Entgegenkommen zu finden. Als ich auf holperi¬
gem . Fusswege vor 29 Jahren zum ersten Male nach Sulden
kam, das damals noch nicht die Ahnung von einem Gasthause
besass, da fand ich in dem kleinen Widum des hochwürdigen
Herrn Curaten Eil er und bei seinen gastfreundlichen Schwestern
die denkbar herzlichste Aufnahme und an dem biederen, be¬
scheidenen« Hans Pinggera den einzigen, aber tüchtigsten
Führer. Damals schon wurden Weg- und Hüttenbauentwürfe
bezüglich ■ des Ortlers besprochen, und sie fanden das vollste
Verständniss und Entgegenkommen. Aber das Hauptverdienst,
der S. Prag die übernommene schwierige Aufgabe erleichtert zu
haben, gebührt dem hochwürdigen Herrn Curaten Eller, der
durch sein wohlwollendes Entgegenkommen und seine that-
kräftige Unterstützung sich unseren aufrichtigsten Dank er¬
warb. Ueberhaupt darf ich mit vollem Eechte sagen, dass kein
Seelenhirt der Alpen sich in der Bevölkerung sowohl wie in
der Touristenwelt solch' uneingeschränkter Verehrung erfreut
wie mein mir so wohlwollender Freund, der hochwürdige Herr