/ 308 pages
Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.23 (1897)
Search


MITTHEILUNGEN

DES

DEUTSCHEN UND OESTERREICHISCHEN ALPENVEREINS.

Dio Mitteilungen erseheinen am 15. und letzten jeden Monats.

Die Mitglieder des Vereins erhalten dieselben unentgeltlich.

Für Nichtmitglieder mit Postversendung:

3 fl. 60 kr. 5. W. = 6 M. = 8 Fr.
Preis der einzelnen Nummer 15 kr. ö. W. = 25 Pf.

Schriftleitung: Wien, 7/2 Breitegasse 12.
Eeclamationen und Adressenmeldungen sind an die Sections-

leitungen zu richten.
Gesamnit-Aaflage 44.000.

Alleinige Anzeigen-Annahme

bei Rudolf Mosse, Wien, I., Seilerstätte 2; München, Pro¬
menadeplatz 16; Berlin, SW., Jerusalemstrasse 48/49;
ferner in Breslau, Chemnitz, Cöln, Dresden, Frankfurt a. M.,
Halle a. S., Hamburg, Hannover, Leipzig, London, Magdeburg,
Mannheim, Nürnberg,* Prag, Strassburg, Stuttgart, Zürich.

Anzeigenpreis :

36 kr. 6. W. = 60 Pf. für die viergespaltene Nonpareille-Zeile.

Für Form und Inhalt der Aufsätze sind die Verfasser verantwortlich.

Nr. 24.

31. December.

1897.

Anton v. Ruthner.

Von E. Richter in Graz.

Am 16. December starb zu Salzburg im hohen
Alter von 80 Jahren Anton Edler v. Ruthner. Mit
ihm ist der letzte aus der Schaar der alten Alpi¬
nisten der Vierziger- und Fünfziger]ahre geschieden.
Die Generation der Pfadfinder und Entdecker ist nun
gänzlich vom Schauplatze dieser Welt verschwunden;
die Generation, die noch unbezweifelte Erstlings¬
touren auf Gipfel allerersten Eanges auszuführen
in der Lage war. Zwei Alpinisten von ähnlicher
Stellung, Specht und Weilenmann, sind ihm vor
kurzer Zeit vorangegangen. Aber Ruthner war doch
wesentlich älter; er reicht mit seinen Anfängen noch
in die Periode des Erzherzogs Johann und P. Thur-
wieser's. Hat er doch an einem vom Erzherzoge zu¬
erst versuchten Problem, der Ersteigung des Gross¬
venedigers, 1841 seine alpinen Sporen verdient und
zum ersten Male sich als alpiner Schriftsteller ver¬
sucht. Damals war Ruthner 24 Jahre alt; es dauerte
aber noch fast ein Decennium, bis er bedeutender
hervortrat. Von da an jedoch bis gegen die Mitte der
Sechzigerjahre war Ruthner unbezweifelt der erste
Bergsteiger; in den Ostalpen. Erst die Touren der
Engländer, insbesondere Tuckett's, dann der Gene¬
ration, die durch die Namen J. Payer, Grohmann,
Stüdl und Hofmann gekennzeichnet wird, ver¬
drängten ihn von der führenden Stellung.

Ruthner war unter seinen bergsteigenden Zeit¬
genossen auch dadurch der erste, dass er Berg¬
steiger mit Bewusstsein, man könnte sagen von Pro¬
fession, nicht nur ein gelegentlich sich ergötzender
Liebhaber war. Die Erforschung der Alpen — im
Sinne der touristischen und bergsteigerischen Er-
schliessung — war ihm Lebenszweck. Ruthner
war überhaupt zu systematischem Vorgehen in allen
Ding en geneigt^ er hatte sich einen ausführlichen
Plan für seine Reisen und Gipfelersteigungen auf
Jahre hinaus festgelegt und hielt ihn mit Eifer ein.
Er hatte es überall auf die dominierenden Gipfel
abgesehen. Hochalmspitze, Wiesbachhorn, Ankogel
und Grossglockner, Olperer, Wildspitze, Ortler u. dgl.
— das waren die Ziele seines Ehrgeizes. Er hat

nicht überall die Lösung seiner Probleme erzwungen.
Man muss aber die Schwierigkeiten richtig würdigen.
Abgesehen davon, dass Ruthner's Reisen noch in
die Zeit fielen, wo man von Wien nach Salzburg
drei Tage mit dem Wagen fuhr, gab es damals in
den meisten Tiroler Hochgebirgsstationen nur Cu-
ratenunterkunft, keinen Führer, kein Unterstands¬
haus. Wer weiss, ob Jene, die heute die Umständ¬
lichkeit, ja Zaghaftigkeit mancher seiner Touren
belächeln, jenen Enthusiasmus für die Schönheit der
Alpen und die Lösung bergsteigerischer Aufgaben
aufbrächten, der damals nothwendig war, um nur
die Annäherungsschwierigkeiten zu überwinden. Und
was thürmte sich erst dem Sonderling entgegen, der
in das innerste Heiligthum eindringen wollte! Dafür
betrat man dieses Heiligthum freilich auch mit einem
frommen, seligen Schauder, der der heutigen Gene¬
ration kaum mehr verständlich ist.

Ruthner war auch nach heutigen Begriffen ein
flinker und gewandter Bergsteiger. Sein kleiner und
schmächtiger Körper entbehrte nicht der Kraft und
Ausdauer. Wenn er öfters scheiterte, so war es meist
die Schuld seiner schlechten Localführer. Hätte
sich Ruthner einen Führer als dauernden Begleiter
geschult — es hätten sich wohl schon damals ge¬
eignete Leute finden lassen — und sich dadurch
von den Localführern freigemacht, so wären seine
Erfolge vervielfacht worden. Doch gewisse Ideen
reifen erst in bestimmten Momenten.

Grösser als Ruthner's Bedeutung als thätiger
Erschliesser war noch die als Schriftsteller. Sein
1864 erschienenes Buch „Aus den Tauern" wurde
von dem damaligen alpinen Nachwuchs mit Begei¬
sterung ergriffen; schon das zweite, wenige Jahre
später erschienene „Aus Tirol" fiel nicht mehr auf
denselben empfänglichen Boden.

Ruthner's Schreibweise war gewählt und ge¬
schmackvoll, etwas breit und docierend, aber den da¬
maligen kartographischen Verhältnissen angemessen,
wo eine eingehende Discussion über Kammverlauf
und Nomenclatur unerlässlich war. Man wird seine