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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.25 (1899)
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Nr. 17.

Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

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Widerspruche nicht zurückhalte. Als Leser für diese Zeilen
wünsche ich mir den Radfahrer, der, auf einer grö'sseren Rund¬
reise durch die Alpen begriffen, einer gelegentlichen Alpen¬
wanderung, Gratüberschreitung oder Besteigung gewachsen zu
sein bestrebt ist. Eine vollständige Verschmelzung der letzten
Stufe der Hochtouristik mit dem Radfahrsport halte ich für aus¬
geschlossen. Wenn Jemand, der ernsthaft auf die Lösung alpiner
Probleme ausgeht, das Zweirad benützen will, um in das zu
erforschende Gebiet zu gelaugen, so bleibt ihm das unverwehrt;
aber ihm für diesen untergeordneten Theil seiner Unterneh¬
mung Rathschläge ertheilen zu wollen, fällt mir ebensowenig ein,
als einem Nichtradfahrer bezüglich der Eisenbahnroute und der
Wagenclasse Winke zu geben.

Für die Bekleidung empfiehlt Herr Fiedler Loden. Nun
giebt es von demselben sehr verschiedene Spielarten; und manche
davon, die gerade von Bergsteigern mit Vorliebe zu ihren Joppen
verwendet zu werden pflegen, wie die dichtgefilzten und fries¬
artig gewebten Bauernloden, sind für den Radfahrer gänzlich
untauglich. Weit besser haben sich mir die mittelfein geweb¬
ten (englischen) schafwollenen Cheviot- und Kammgarnstoffe
bewährt. Sie sind leicht und geschmeidig (und bleiben es auch,
was man dem Loden nicht immer nachrühmen kann) und be¬
sitzen genügende Wasserdichtigkeit, um eine Zeitlang einem
nicht allzustarken Regenschauer zu widerstehen, bis man ein
schützendes Obdach erreicht hat. Ein Radfahrer wird kaum
Freude daran haben, stundenlang im Regen dahinzurollen. Ist
man aber zur Fahrt im Regen gezwungen, so schützt der vom
Verfasser ohnedies als unentbehrlich bezeichnete, wasserdichte
grosse Kragen (der auf dem Rade wenig Platz einnimmt und
auch für das Sitzen auf feuchtem Boden mit Nutzen verwendet
werden kann) vor gründlicher Durchnässung. Die Kapuze ist
nach meiner Ansicht von Uebel; mir wenigstens ist es stets
unerträglich gewesen, eine solche Scheuklappe um das Gesicht zu
ziehen. Auch der von meinem Vorradler" empfohlene Plaid,
den ich in kleinem Format für nutzlos, in grossem für unbe¬
quem halte, kann ohne Schaden in Wegfall kommen; ebenso
erscheint mir der „Westengürtel" überflüssig. Ein gewöhnlicher
Gürtel, mit Leder besetzt, thut dieselben Dienste; das Hinauf¬
rutschen desselben wird (wie es allgemein beim Tenniscostüm
üblich ist) am einfachsten dadurch verhindert, dass man rings
um den oberen Rand der Hose fünf bis sechs grosse Hafteln"
(Männchen) aufrecht annäht, die über den Gürtel über¬
greifen. Man vergesse aber nicht, Knöpfe für die Hosen¬
träger anzubringen und ein Paar solcher mitzunehmen; eine
Bergtour ohne Hosenträger ist nicht nur unbequem, sondern
kann auch Schaden bringen. Allzuviele Taschen um die Mitte
des Leibes vermeide man; sie hemmen die freie Bewegung der
Bauchmuskeln und der Oberschenkelganzunglaublich. Die Uhr be¬
festigt man am besten auf der Lenkstange mittelst eines der ver¬
schiedenartigen Uhrenhälter; ich führe sie über der nach unten
angebrachten Glocke möglichst nahe am linken Handgriff und
behalte so die rechte Seite der Lenkstange für etwaiges Ueber-
ra^en des aufgeschnallten Gepäckes frei. Der Rock sei ja nicht
zu lang; ich habe mir eine schöne Fahrt dadurch verdorben,
dass ich eine etwas längere Bergjoppe trug und bei jedem Auf-
und Absitzen an diesen Uebelstand auf das Empfindlichste er¬
innert wurde. Eine Fangschnur, mittelst welcher man sich den
Rock um die Achseln hängen kann, thut gute Dienste; bei
starkem Gegenwind zieht man ohnedies den Rock meist an und
möglichst eng um den Leib. Die beste Farbe der Kleidung ist
braun oder grau; jede beabsichtigte Eleganz in Schwarz, Blau
oder gar Weiss rächt sich bitter.

Den Bemerkungen über die Fussbekleidung habe ich nur
den dringenden Rath beizufügen, das Mitnehmen eines oder
zweier Paare von Schuhschnüren zum Ersätze ja nicht zu vergessen.

Hinsichtlich der Leibwäsche bin ich freilich ganz anderer
Meinung als mein geehrter Sportgenosse. Ein baumwollenes
oder seidenes Filetunterhemd ist zunächst mir (und wohl allen
Jenen, die zu stärkerem Schwitzen neigen) greulich; es ist aber
auch nach dem Urtheile meiner medicinischen Collegen, wenn
als weitmaschiges Netz gewebt, nutzlos, wenn fein gewebt, ge¬
radezu schädlich, da es, nass an der nassen Haut klebend, die
Gefahr einer Erkältung sehr naherückt. Ich rathe Jedem, der
diese Gefahr vermeiden will, entweder ein stärkeres englisches
Flanellhemd feinster Gattung zu tragen, das allerdings unter
21 Mark nicht zu beschaffen ist, oder ein dünnes schafwollenes
Leibchen und darüber ein ziemlich weites Touristenhemd, das

in diesem Falle leicht und von Halbflanell sein kann. Für
längere Radtouren ziehe ich freilich nocli immer den (natürlich
gleichfalls schafwollenen) Sweater allen anderen Bekleidungen
der Haut vor; für Bergbesteigungen sieht man sich durch Mit¬
nahme eines Flanellhemdes vor. Kurze schafwollene, gewirkte
Unterhosen (Reitunterhosen) führt jetzt fast jedes grössere Herren-
wäschegeschüft; ist die äussere Hose von weichem Schafwollstoff,
so genügt im Sommer eine einfache Badehose vollkommen.

Ueber das Rad und seine Behandlung hat Herr Fiedler
Ansichten entwickelt, die man zum grössten Theile ohneweiters
unterschreiben kann. Nur bezüglich der Frage, ob Kettenräder
oder kettenlose Räder, möchte ich mir ein paar Worte erlauben.
Ich will nicht davon sprechen, dass ich mich für meine Person
mit dem kettenlosen Getriebe nicht recht befreunden kann, dass
ich noch immer den schwungvollen Gang des Kettenrades, den
es seiner unbeabsichtigten Excentricität verdankt, dem seelenlosen
Schnurren oder Summen seines jüngeren Nebenbuhlers vorziehe;
das ist Geschmackssache. Maassgebend ist für mich die Lage,
in welche mich eine Beschädigung der Uebertragung versetzt.
Reisst oder bricht etwas an der Kette, so ist der Schaden bei
der nächsten Reparaturwerkstätte oder beim nächsten Dorf¬
schmied wieder gutzumachen, ja sogar auf dem Flecke zu
heben, wenn man drei oder vier Kettenglieder, zwei Ketten-
schräubchen und eine kleine, scharfe Feile mit sich führt: die
kleinste Beschädigung am Zahngetriebe macht das kettenlose
Rad zum Wrack. Die Reinhaltung der Kette kostet allerdings
Mühe; aber bei öfterem Reinigen und bei Anwendung einer
drehbaren Kettenbürste (die man nur dann anlegt, wenn ein
Verschmutzen der Kette in Aussicht steht) lässt sich die Kette
in leidlich gutem Zustand erhalten. Ich habe auf meinen
Fahrten nur Eines als lästigen Uebelstand empfunden: das Oelen
und das Verstauben des Tretkurbellagers. Oelt man stark, so
verkleben sich die Kugeln; ölt man wenig oder gar nicht, so
läuft das Lager hart. Andererseits schliessen die Staubkappen
sämmtlicher Systeme, trotz aller Anpreisungen, nicht hermetisch
genug, um das Eindringen des Staubes oder anderer Unreinig-
keiten zu verhindern. Dadurch wird öfteres Ausspritzen mit
Petroleum oder gelegentliches Oeffnen des Tretkurbellagers
nothwendig, Vorgänge, die zeitraubend und unerfreulich sind
und den angestrebten Zweck doch nur unvollkommen erreichen.
Abhilfe schafft hier nur ein vollständig abgedichtetes Lager
(wie solche in neuester Zeit von mehreren Fabriken in den
Handel gebracht worden sind), welches vor Antritt der Tour
(am besten durch einen sachverständigen Mechaniker) mit Vaseline
gefüllt wird und eine zweimonatliche ununterbrochene Bean¬
spruchung des Rades ohne Reinigung gut aushält.

Die von Herrn Fiedler gewählte Uebersetzung für Herren
(72 ") hält die vernünftige Mitte ein, während eine solche von
66 " für manche Damen etwas zu stark sein dürfte. Ich per¬
sönlich befinde mich bei meiner Uebersetzung von 77 " auch
den stärksten Steigungen gegenüber sehr wohl; doch ist das
vielleicht nicht Jedermanns Sache. Vor abenteuerlichen Formen
der Lenkstange ist selbstverständlich zu warnen. Ueber die
Mitnahme eines kleinen Revolvers lässt sich streiten; in der
Nähe grösserer Städte und in manchen verrufenen Gegenden
ist die Beruhigung, welche das Bewusstsein gewährt, mit einem
Abschreckungsmittel ausgerüstet zu sein, doch nicht so ganz zu
unterschätzen. Am allerwenigsten kann ich mich mit der Weg¬
lassung der Laterne befreunden. Ist sie wirklich so „voll¬
kommen überflüssig" ? Ich glaube, ein Jeder wird sich vom
Gegentheil überzeugen, der, auf vortrefflicher Tiroler Strasse (man
denke an die Ampezzaner Strasse!) von der Nacht überrascht,
wegen einiger weniger Kilometer in einem elenden Quartier
liegen bleiben muss oder einen wichtigen Ausgangspunkt für
eine Hochtour (für welche etwa noch Verabredungen zu treffen
sind) nicht erreichen kann oder einen Bahnanschluss versäumt,
blos weil er das Laternchen sich geschenkt hat! Oder ich
habe aus demselben Grunde das Vergnügen, in der Nähe und
in den Strassen einer grösseren Stadt, wo die Polizei schärfere.
Augen hat, 2 km. zu schieben. Nein, lieber die Laterne mit¬
genommen, die durch einen Leinwandbeutel mit elastischem
Gummizug leicht vor Verstauben geschützt wird, als sich
solchen Möglichkeiten auszusetzen. Beiläufig sei bemerkt, dass
ich als die praktischste, sauberste und allzeit bereite Laterne
eine gute Kerzenlaterne betrachte, dei'en Füllung man in Ge¬
stalt einer Kerze bequem mit sich führt oder in jedem Kram¬
laden käuflich erhält.