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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.25 (1899)
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Nr. 17.

Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

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schon wiederholt vergeblich versucht, einen überhängenden
Felsen zu erklimmen. Das Seil, von Jones und Zurbriggen
gehalten, sollte ihn beim Aufstiege sichern. Beim Abgleiten des
Furrer von dem Felsen vernahm ich ein dumpfes, halbersticktes
Oh! Dann verschwanden meine Genossen, stürzten von einer
Felsplatte auf die andere und fielen so lautlos in die Tiefe.
Ich sah beim Sturze Furrer's die vor Schrecken wie geister¬
haft verglasten Augen und die in höchster Angst verzerrten Ge¬
sichtszüge der drei Anderen. An mich selbst dachte ich aber
in diesem Augenblicke durchaus nicht. Wie das Seil vor mir
zerrissen ist, weiss ich nicht. Ich fühlte keinen Sehlag. Im
Augenblicke des Sturzes hieng das Seil zwischen den ersten drei
Gefährten ganz lose; sie fielen fast alle gleichzeitig ab. Alles
gieng so rasch, dass ich über die einzelnen Vorgänge kaum
Rechenschaft geben kann. Später, als ich auf der Spitze an¬
gelangt war, suchte ich mit den Blicken eine Karawane von
zwei Mann, die wir beim Aufstieg auf dem gewöhnlichen Wege
gesehen hatten. Ich konnte sie nicht mehr erblicken. Sie war
aussei" Gesichts- und Hörweite. Ich fand aber noch ihre Stufen
im Eis. Es erhob sich nun ein gewaltiger Schneesturm. Unter
einer Felsrippe etwas geborgen, auf meinem Reisesack liegend,
verbrachte ich die Zeit bis Dienstag 10 U. Zwei Zwetschken,
die ich bei mir hatte, bildeten meine ganze Nahrung während
50 St. Am Mittwoch erreichte ich absteigend die Moräne in
der Nähe der Staffelalpe. Die Finsterniss und meine Ermüdung
Hessen mich nicht bis zur Wirthschaft gelangen, so dass ich
wiederum die ganze Nacht im Freien zubringen musste. Ich
glaubte Stimmen zu vernehmen. Wie ich zurückgekommen bin,
weiss ich nicht. Ich handelte mehr aus Instinct als aus Ueber-
legung. Ich hackte Stufen, schob mich vorwärts, klammerte
mich an die Felsen, that aber Alles wie eine willenlose Maschine."
— Die Bergung der vier Leichen nahm etwa 35 St. gefährlichster
Arbeit in Anspruch; die Leiber der Verunglückten waren auf
das Grässlichste verstümmelt und bis zur Unkenntlichkeit ent¬
stellt. Von den verunglückten Führern hinterlässt Elias Furrer
eine Witwe mit neun Kindern im tiefsten Elend.

Absturz vom Balmhorn. Die Herren Stud. jur. Fürst und
Stud. med. Kottjnann und La üb er hatten vom Schwarenbach-
wirthshause (Route KanderthalGemmipassLeuckenbad) die
Ersteigung des Balmhorns, 3711 m., unternommen und den
Schwarzgletscher bereits passiert. Beim Saggengrat hielten sie
sich, Zeitungsberichten zufolge, zu weit links in den Felsen.
Bei Uebersehreitung einer vereisten Felspartie glitt einer der
drei Theilnehmer aus und riss im Falle die anderen Beiden
mit. Sie rutschten etwa 300 m. weit auf und über den Gletscher
hinab und kamen erst bei einer flacheren Stelle zum Anhalten.
Fürst war bewusstlos, Kottmann hatte den Unterschenkel
gebrochen, Laub er, der am wenigsten beschädigt war, eilte so¬
fort um Hilfe. Die Verletzten wurden in das Schwarenbach-
wirthshaus gebracht und von einem zufällig durchreisenden
deutschen Arzt, Prof. Dr. Lesser aus Berlin, verbunden. Fürst
hatte jedoch so schwere innere Verletzungen erlitten, dass er
noch in der Nacht seinen Geist aufgab. Die anderen Beiden
konnten bald in ihre Heimat gebracht werden.

Am Dent de Jaman, welcher blos 1879 m. hohe Berg seit
einer Reihe von Jahren regelmässig mehrere Opfer fordert, ist
am 30. August der 19 jährige Italiener Rossi 30 m. hoch ab¬
gestürzt und war sofort todt.

Unfall in der Partnachklamm. EinMitglied unserer S.Leipzig
sendet uns folgenden Bericht: „Infolge morschen Holzes des
Geländers des vorletzten Steges in der Partnachklamm stürzte
am 16. August eine junge Dame, namens Klemm aus Bremen,
die sich leicht an das Geländer gelehnt hatte, mit demselben
in den reissenden Wildbach. Durch sofortiges Hinzueilen und
Herabklettern auf das Geröll seitens zweier Leipziger Herren
(Diaconus Friedrich Richter und Buchhändler P. Trinks)
wurde die Dame gerettet, andernfalls wäre dieselbe wohl ver¬
loren gewesen. Durch sofortige erste Hilfeleistung nach Rettung
der Dame, rasches und energisches Handeln der Herren, die
zufälligerweise freiwillige Kriegskrankenpfleger neben ihrem
Berufe sind, ist das Bad der Dame bisher ohne Folgen ge¬
blieben. Ein zufällig in Garmisch weilender Generalarzt Herr
Dr. Rühlemann aus Dresden, constatierte, dass die Dame
Bich keinerlei ernstliche Verletzungen zugezogen habe. Es er¬
scheint doch sehr angezeigt, dass, zur Vermeidung ähnlicher
Unfälle, vor Allem die Stege öfters nachgesehen werden, und

dass mindestens durch Anbringung von Warnungstafeln des In¬
haltes, dass sich Niemand anlehnen soll, u. s. w. Vorkehrungen
getroffen werden.

Absturz in den JuÜSChen Alpen. Am 26. August 1899 ver¬
unglückte auf der Ponca bei Weissenfeis (Julische Alpen) die
Lehrerin Johanna Stein aus Wien. Hierüber berichtet die S.Lai¬
bach unseres Vereins wie folgt: „Die Verunglückte hatte führerlos
nach einer vom Slovenischen Alpenvereine kürzlich ausgeführten
Markierung den Kamm der Ponca erstiegen und wollte von
hier zu den Weissenfelser Seen absteigen, wobei sie über eine
Felswand etwa 200 m. tief abstürzte und mit völlig zerschmetter¬
ten Gliedern als Leiche liegen blieb. Die Rettungsstation Lai¬
bach der alpinen Rettungsgesellschaft Innsbruck wurde von dem
Unglücksfalle erst am 28. August vormittags drahtlich verstän¬
digt, worauf der Leiter der Station, Anton Jeßminek, und
das active Mitglied, Otto Fischer, mit Benützung des nächsten
Zuges um 3 U. nachmittags in Weissenfeis eintrafen. Inzwischen
war eine in Ratschach ausgerüstete Rettungsexpedition bereits
damit beschäftigt, die am Morgen desselben Tages unter den
Gipfelwänden der Ponca auf der Weissenfelser Seite gefundene
Leiche der Verunglückten zu Thal zu fördern. Die Vertreter
der Rettungsgesellschaft mussten sich also darauf beschränken,
unter Mitnahme von zwei Trägern dem Leichentransporte ent¬
gegenzugehen, trafen denselben zwei Stunden oberhalb der See¬
alpe und halfen die weitere Bergung der Leiche durchführen.
Dem Brauche folgend, aus alpinen Unglücksfällen jene Fol¬
gerungen zu ziehen, welche zur Einschränkung derselben bei¬
tragen könnten, müssen wir Folgendes feststellen: Die Ver¬
unglückte, eine 57jährige Dame, welche sehr nervös gewesen
sein soll, war ungenügend ausgerüstet, infolge dessen zum Allein¬
gehen im Gebirge nicht berechtigt und hat ihren Tod wohl
hauptsächlich selbst verschuldet. Sie dürfte jedoch kaum auf
die entlegene, äusserst selten besuchte Ponca gerathen sein,
wenn sie nicht dazu eine Wegbezeiclmung verleitet hätte, deren
Durchführung vom vereinsalpinen Standpunkte kaum gebilligt
werden kann. Die Markierung endet nämlich auf der Höhe eines
Kammes, nicht auf einem ausgesprochenen Gipfel (die Velika
Ponca liegt ziemlich weit nördlich), bezeichnet also weder einen
Uebergang, noch eine Gipfeltour vollständig. Sie gehört unter
die grosse Zahl jener von unerfahrener Hand unter der Firma
des Slovenischen Alpenvereins ausgeführten Markierungen, bei
welchen man vergebens nach Gründen der alpinen Zweckmässig-
keit und des Bedarfes, sowie nach jener Sachkundigkeit forscht,
welche den Leitungen alpiner Vereine eigen sein sollte. Auch
rücksichtlich der Durchführung der Bergungsarbeiten wurden
einige bemerkenswerthe Beobachtungen gemacht. —Die Rettungs¬
station Laibach wurde, laut Angabe des Absenders der Draht¬
nachrichten, erst verständigt, weil von der näher gelegenen
S. Radmannsdorf des Slovenischen Alpenvereins, welche tags-
vorher verständigt worden war, kein Vertreter in Weissenfeis
erschienen war. Infolgedessen giengen die Bergungsarbeiten an¬
fangs ohne fachmännische Leitung vor sich, und die Leiche
wurde in wenig pietätvoller Weise an mehreren Stellen herab¬
geworfen, während sonst in ähnlichen Fällen Abseilen üblich
ist. Nach Beendigung der Bergungsarbeit (d. i. nach Eintreffen
der Leiche in Ratschach) griff der inzwischen erschienene Ver¬
treter des Slovenischen Alpenvereins in die Rettungsaction ein,
und die Oeffentlichkeit wurde durch die Tagespresse (auch die
deutsche wurde hiezu gebraucht) über die Verdienste dieses
Vereins bei der Rettungsarbeit und über eine von demselben
eigens veranstaltete Todtenfeier belehrt. Diese neue Art alpiner
Reclame, welche hier nur der Merkwürdigkeit wegen erwähnt
wird, konnte der Alpinen Rettungsgesellschaft völlig gleichgiltig
sein, weil sie schliesslich für die Durchführung der Rettungs¬
action ohne Belang war. Nicht dasselbe gilt jedoch bezüglich
der verspäteten Verständigung. In dieser Beziehung ist wohl die
ernste öffentliche Mahnung am Platze, dass diejenigen, welche
zunächst bei einem alpinen Unglücksfalle eingreifen, verpflichtet
sind, sogleich diejenige Körperschaft zu verständigen, welche
berufen und befähigt ist, Hilfe zu bringen, und dass sie sich
bei dieser Verständigung nicht von persönlichen Sympathien
leiten lassen dürfen, wie im Falle Stein, in welchem die
Rettungsstation des D. u. Oe. Alpenvereins um einen Tag später
verständigt wurde als der Slovenische Alpenverein. Unter anderen
Verhältnissen müsste ein derartiges Vorgehen die Vertreter des
D. u. Oe. Alpenvereins nothwendiger Weise veranlassen, auf
weitere Mitwirkung zu verzichten. Bei einer Rcttungrsaction