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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.26 (1900)
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MITTHEILUNGEN

DES

DEUTSCHEN UND OESTERREICHISCHEN ALPENVEREINS.

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Nr. 23.

Für Form und Inhalt der Aufsätze sind die Verfasser verantwortlich.

HChen-Wien, 15. December.

1900.

Bergfahrten im Occupationsgebiete.

Von Ing. Eduard Piehl in Wien.
(Fortsetzung.)

„Melde gehorsamst, Herr Director, es ist 3 U."
Damit weckte mich der slavische Postenführer in
der Kaserne. Warum ich über Nacht Director ge¬
worden, weiss ich zwar nicht, vielleicht wollte der
Mann Doctor sagen; doch ich erhob mich trotzdem und
verliess mit dem mittlerweile angerückten Türken
um 4 U. das gastliche Haus.

Hochalpin sah die Ausrüstung Smajo's gar nicht
aus: schwarzseidene, bis auf den obligaten rück¬
wärtigen Sack eng anliegende Hosen, eine gelbe
Jacke mit möglichst knappen Aermeln, über die
Schulter gehängt ein Säckchen mit Brot, Zwiebel
und viel Tabak, ein bunter Turban, Opanken und
ein imposanter Regenschirm für die Rechte.

Narentaabwärts folgten wir der Strasse bis zur
ersten steinernen Brücke, bogen links grabenwärts ein
und stiegen durch Weingärten mit echten Kastanien,
die sich stellenweise zu kleinen Wäldchen sammelten,
an einer Quelle vorüber gegen die Kuppe des Razvrsce,
1148 m., an, tranken uns an einer zweiten aus¬
gezeichneten Quelle satt und betraten über den in
einer grossen Schleife nach links zurückkehrenden
Weg die erste Stufe des Bjelasnicaplateaus. Durch
echt bosnischen Buchenwald erreichten wir mühelos
um 8 U. 30 die elenden Hütten der Bjela§nicaalpe.
Im Aufstiege waren uns einige Bosniaken begegnet,
von denen Einer sogar Waffen im Gürtel trug, ge-
wiss eine besondere Begünstigung, da die Landes¬
regierung mit der Bewilligung des Waffentragens,
so loyal sie in dieser Hinsicht gegen Abendländer
verfährt, gegen die „landesüblichen'' Bewohner noch
immer sehr zurückhält. In den Bjelasnicahütten gab
es frische Schafmilch, meine Hauptnahrung für die
nächste Zeit, wir tauschten sie gegen von Smajo
klugerweise mitgeführten Cigarettentabak ein. Tou¬
risten, die entlegenere Gegenden bereisen, mögen sich
reichlich mit Tabak versehen, Alles, was dem Ein-
gebornen entbehrlich ist, wird er dafür dem Fremden
überlassen, während er oft auf bares Geld keinen
Werth legt.

Durch eine grosse Geröllmulde wand sich unser
Steiglein, das uns einige Minuten durch Wald ge¬
führt hatte, nun auf den Kamm der Vranovina, um jen¬
seits wieder 400 m. absteigend uns in einen prächtigen
Thalkessel, der mich im ersten Momente an den Moser¬
boden erinnerte, zu leiten. Um 10 U. lagerten wir uns
vor den womöglich noch ärmlicheren Steinbaracken
der Tisovicaalpe, 1392 m. Selbst dem vielgewanderten
Bergfahrer muss das von diesem Platze aus zu ge¬
niessende Bild reizend und aussergewöhnlich schön er¬
scheinen. Links schwingen sich die unten mit schuppen¬
verkleideten Panzerföhren (Pinus leucodermis Ant.)
bestandenen Hänge zur Velika Kapa, 2004 m., die
nach Norden steil absinkt, auf, im Vordergrunde er¬
hebt sich aus den Schneefeldern der Vjetarna brda,
2000 m., und der Zelena glava, 2123 m., der schlanke
Dom des Otis oder Ortig, 2097 m., dessen glatte Nord¬
wand durch einen langen und tiefen, jedenfalls kletter¬
baren Kamin gespalten ist. Anschliessend streicht
der Grat mit zwei mächtigen Thürmen zur Zelena
glava, neben der die Stufe des Prenjplateaus den
weiteren Hintergrund abschliesst, und rechts baut
sich die von Gemsen besuchte Steilwand des Kantar,
1852 m., auf.

Leider waren inzwischen die vereinzelten grauen
Inseln im blauen Himmelsmeere nicht müssig geblieben
und hatten sich zu einer gleichmässig trüben Decke zu¬
sammengezogen, deren dichte Wolkenfetzen, jetzt um
den Gipfel des Ortis" kriechend, dann wieder schwer¬
fällig über die Zacken der Zelena glava weiter nach
Westen gegen den Lupoglav kletternd, für die nächsten
Tage schlechtes Wetter versprachen. Mit der Ver¬
finsterung der strahlenden Sonne erstarben auch
Smaj o's gute Vorsätze auf Ueberschreitung des Prenj¬
plateaus, so dass ich zur Einsicht kam, ein Ortis im
Sacke sei besser als ein unsicherer verregneter Lupo¬
glav, und daher meinen müden Türken ruhig vor der
Hütte lagern und seine Zwiebel essen liess, indess
ich in der Hoffnung, ihn nach meiner Rückkehr am
Nachmittage ausgeruht und unternehmungslustiger