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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.26 (1900)
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Mittbeilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 23.

zu finden, dem Ortiä zumarschierte. Ueber den
hügeligen Thalboden ansteigend, entdeckte ich ein
um die Nordseite der Velika Kapa herumlaufendes
Steiglein, dem ich folgte und das ich erst verliess, als es
sich dem nordöstlich des Orti§ gelegenen Sattel zu¬
wandte, um zur Bielevodealpe hinabzuleiten. Die
Umgebung des Ortis steckte ebenso wie seine ihn
verkleidenden Hänge tief im Schnee, der bis zu der
östlich vom Felsmassive eingeschnittenen Scharte in
Gestalt langer Rinnen emporzüngelte. Zum grössten
Theile über die die einzelnen Firnfelder trennenden
Felsrücken stieg ich in kurzer Zeit aufwärts zum
Ostgrate, damit aber auch dem Nebel entgegen. Nach
1 St. stand ich auf dem Joche und sah hinüber auf
den von Süden sich sachte an die Wand anbiedern¬
den, begrünten Kücken, der einen ziemlich leichten
Anstieg zu bieten scheint; ich wollte jedoch den Gipfel
von Osten gewinnen und nahm mir dabei vor, dem
Ostgrate so nahe als möglich zu bleiben. Um 11 U. 15
kletterte ich durch eine kurze Rinne und über darauf¬
gesetzte Wandstufen zu einem kleinen Schartel empor,
von dem mich weitere, nicht schwierige Kletterei zu
einem ausgesetzten Quergang nach links nöthigte,
der jedoch mit Hilfe der Zerben leicht genug ausfiel,
und nun gieng es über grasdurchsetzte Wandpartien,
die später einem reinen, steilen Grashange wichen,
gegen die Spitze. Nochmals behielten plattige Fels¬
stufen, von denen der Blick in schneeerfüllte, düstere
Rinnen und in die verhüllte Tiefe des Nordabsturzes
glitt, die Oberhand, und nach dreiviertelstündigem
Steigen setzte ich meinen Fuss auf den Gipfelblock
den stolzen Ortiä. Schwerer, neidischer Nebel ver¬
sagte mir jeden Ausblick, und so warf ich mich denn
hin und starrte träumend in das unabsehbare Wolken¬
meer, wieder einmal allein auf einsamer Höh', fern
der Heimat und allen Theuren, entrückt dem wirren
Wirbel der Welt dort drunten — frei!

Da ich kein Zeichen stattgehabter menschlicher An¬
wesenheit vorfand, errichtete ich auf dem Blocke einen
Steimiiann und trat den Rückweg auf dem gleichen
Wege an, wobei die im Aufstiege gelegten rothen Papier-
streifen gar angenehm aus der grauen Tiefe zu mir
empoigrüssteri und löbliche Dienste leisteten. Um
12 U. H5 betrat ich wieder den in grenzenlosem Grau
verschwimmenden Schnee des Joches. Eine flotte
Abfahrt, die mich bei klarem Wetter rasch zur Thal¬
sohle geführt hätte, war in Anbetracht des dicken
Nebels nicht räthlich, und so stieg ich mit dem
Compass in der Hand über die Schneefelder und
Felsrücken nach Norden ab, bis mich ein schwach
geneigtes, endloses Firnfeld aufnahm, von dem ich
binnen Kurzem mein Steiglein zur Tisovica wieder er¬
reicht hatte und hurtig der Hütte, vor der mich Smaj o
mit einem respectvollen Händedruck empfieng, zueilte.

Schöner war es zwar mittlerweile auch nicht ge¬
worden, aber ich drängte doch zum Abmärsche, um
noch am Abende in den Hütten von Glogovo Einzug
zu halten, und so marschierten wir, Smaj o mit saurem
Gesichte, ich voll Ungeduld, zum Prenjplateau. Eine
kurze Strecke war zurückgelegt, als ein furchtbarer
Gussregen losbrach, der uns in wenigen Minuten
trotz Smajo's Familienparaplui bis auf die Haut

durchtränkte und uns zur Flucht in die eben ver¬
lassene Hütte zwang. Mit Glogovo war es aus, da
wir dort nicht mit Sicherheit auf Holz und Decken
rechnen konnten, um uns zu trocknen und zu wärmen.
Nass war ich aber schon, und zum Trocknen war
noch immer Zeit genug, auch verlor der Regen an
Stärke, ich übergab daher dem Türken meinen
Schnerfer und wandte mich der Velika Kapa zu.
An der linken Thalseite ansteigend, gewann ich bald
an Höhe, wand mich zwischen den mächtigen Föhren,
die mich mit schweren Regentropfen reich bedachten,
durch und gelangte über Schneeflecken und leichte
Grashänge ohne Anstrengung auf die sich selbst¬
verständlich in solidestem Nebel badende Kuppe.
In weniger als einer Stunde trat ich, mich sorglich
bückend, wieder über die Schwelle der Hütte, in deren
Mitte eine mächtige Flamme behaglich prasselte.
Etliche hundert Steine im Viereck zu einer Mauer
aufeinander geschichtet, einige rohe Bretter in Dach¬
form darüber gelegt, ein qualmendes Feuer, über
dem ein Kessel mit Schafmilch baumelte, und um
welches ein Kreis von Hirten mit Weibern und Kindern
rauchend und kaffeeschlürfend sich des Feiertages
freute, das war meine jetzige Umgebung.

Ich wurde eingeladen, an dem Kaffeekränzchen
theilzunehmen und nachdem ich noch der Schafmilch
fleissig zugesprochen und meine Kleider getrocknet
hatte, begaben wir uns in den benachbarten Schlafsalon,
d.h. in eine dereben geschilderten ähnliche, aberaufdem
Boden mit dicken Decken belegte Hütte. Noch immer
klammerte ich mich an die Möglichkeit, bei frühem
Aufbruche Jablanica bis Mittag zu erreichen, doch
als nach einer trotz Sturm und Regen vorzüglich
verbrachten Nacht noch immer keine Ausheiterung
eingetreten war, packten wir zusammen und trabten
über die Bjelas'nicahütten wieder nach Konjica hinab.
Dort verabschiedete ich meinen Türken, den ich
jedem Touristen als einen sehr gemüthlichen und an¬
ständigen Wegweiser auf das Beste empfehlen kann.
Schneidigkeit kann sich bei ihm ja noch entwickeln.
Noch am Abend dieses Tages war ich wieder in
Sarajevo, und des anderen Tages gieng es, diesmal
als Krieger, über den Ivan und durch das grosse
Narentadefile'e, auf dessen Schönheit ich nur hin¬
weisen kann, gegen Süden, nach Mostar, der Brücken¬
stadt, zwischen deren glühenden Mauern ich nun einen
Monat lang braten sollte.

Die zahlreichen Minarets, die Carsija, die Kasernen
und die Tabakfabrik ausgenommen, bietet die Stadt,
die sich in der Länge von einer halben Stunde zu
beiden Seiten der tiefemgerissenen, durch ihre vielen
Riffe und Untiefen auch dem Schwimmer gefähr¬
lichen, aber höchst pittoresken Narenta hinstreckt,
eigentlich nichts Interessantes. Die alte Römerbrücke,
deren Spannweite 21 m. beträgt, und die Franz Josef¬
brücke nächst dem comfortablen Hotel Narenta ver¬
binden den alten, grauen, ganz aus Stein erbauten
türkischen Stadttheil auf dem linken Ufer mit den
modernen Werken der Architektur, die mit schreiend-
rothen Ziegeldächern aufdringlich von dem Fort¬
schritte der Cultur erzählen, auf dem offeneren, reben¬
tragenden rechten Flussufer.