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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.26 (1900)
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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 24.

überschritt höher oben ein Schneefeld und klomm
in leichten, hübschen Felsen, die sich aber ganz
gut umgehen lassen, auf die Höhe des Kammes. Eine
Gemse, die während meines Aufstieges von der Schneide
nach mir hinabgeäugt hatte, war indessen in den Nord¬
abstürzen und in dem . dieselben umsäumenden Kar
spurlos verschwunden.

Ich war am äussersten, westlichen Ende des Haupt¬
kammes ausgestiegen und genoss vorerst den prächti¬
gen Einblick in die schon von der Bjela§nica aus be¬
wunderten Nordwände des Veleüü. Horizontale Bändchen
schmälster Sorte durchlaufen gleich Schichtenlinien
die dadurch einigermaassen gestuften Steilabstürze,
deren Bild das Kletterherz höher schlagen lässt. Ob es
geht? Bei der heute bereits erreichten, so unglaub¬
lich weit hinausgerückten Grenze des Möglichen wage
ich kein Nein. Der Aufbau der an einigen Punkten
gegen 500 m. hohen Wand erinnert vielfach an unsere
herrlichere Wandflucht der Hochthor Gruppe im Ge-
säuse, welchen Eindruck der charakteristisch auf¬
gebaute, nach Norden steil abfallende, nach Süden
sich allmälig abdachende Hauptgipfel in seiner Aehn-
lichkeit mit dem Pultdache der Planspitze noch ver¬
stärkt. Im Norden die schneereiche Prenj Gruppe,
näher heran die Ruiüste, 1705 m., ein zerklüfteter, wild¬
reicher Kalkstock, im Osten der vielkuppige Kamm
des Velez, dessen Hauptgipfel nicht gar zu fern scheint,
im Süden das grosse, einförmige Karstplateau des die
Zerrissenheit auf der Stirne geschrieben tragenden Pod-
velez", über dessen südliche Abdachung sich die kunst¬
voll angelegte Bergstrasse nach Nevesinje schlängelt,
im Westen und Südwesten der nördlichste Theil des
Mostarer Nordlagers, darüber der prächtige Spiegel
des Mostarsko blato, die dalmatinischen und süd-
hercegoviniscljen Randgebirgsketten mit den monte¬
negrinischen Gipfeln, das ist die Rundschau vom Velez.
Weit hinaus nach Süden wanderte das suchende Auge,
bis es an einem blinkenden Silberstreifen hängen blieb,
und wie einst den Griechen, so entrang sich auch
meinen Lippen der sehnsuchtsjauchzende Ruf: das
Meer, das Meer. In wenigen Minuten stand ich, es
war bereits 10 U. 30, bei dem von der Triangulierung
herrührenden Steinhaufen des Westgipfels, der wahr¬
scheinlich ebenso wie der Verbindungskamm und der
Hauptgipfel, touristischen Besuch nie erhalten hat. In
2 St. hoffte ich über den Kamm zum Hauptgipfel
hinüberzulaufen und dann womöglich noch die ganze
Kette bis Nevesinje zu überschreiten.

Doch es kam anders. In des Kammes Verkürzung
hatten sich meinem Blicke viele Hindernisse ent¬
zogen, mit deren Ueberwindung ich nun genug zu
thun bekam. Zuerst gieng ich, dann nahm ich Schnell¬
schritt an, und zuletzt rannte ich. Da ich mich immer
so nahe als möglich zur Kammhöhe hielt, die mir
allerdings die schönsten Bilder bot, musste ich zeit¬
weilig in leichter Kletterei Kuppe auf, Kuppe ab
steigen; einmal kam ich an einem wilden Felsen¬
thor vorüber, und nach ungefähr 2 St. gelangte ich
an einen Punkt — die Mittagsscharte im Geislerstock
möchte ich ihm vergleichen —, wo der Schutt durch
die Nordwände bis heraufzog. Unmerklich näherte
ich mich dem Gipfel, schwere, schwarze, mich zur Eile

spornende Wolken wälzten sich ober mir hinweg,
indess ich den Flügelschlag dreier riesiger Geier,
die mich nicht aus den Augen Hessen, zu verspüren
meinte. Endlich lag der letzte, felsgestufte Grathöcker
hinter mir, ein grosses Schneefeld unter dem Gipfel
spendete mir Wasser zu meiner letzten Citrone, und
dann kletterte ich die leichten Wandeln zum Gipfel
des Vele2, 1969 m., empor.

Die veranschlagten 2 St. hatten sich verdoppelt.
Nicht weniger als 7 St. hatte der Aufstieg von Mo-
star auf den Westgipfel und 4 St. die Gratwanderung
verzehrt, es war, da Mostar blos 59 m. über dem
Meere liegt, ein Höhenunterschied von 1910 m. über¬
wunden worden.

Nach kurzer Rast trat ich den Abstieg an. Ob-
zwar ich auf der auf dem Gipfel hinterlegten Karte den
Gendarmerieposten Bisina an der Nevesinjer Strasse
als Ziel angegeben, fasste ich kurz unter der Spitze
den Entschluss, um den langen Strassenschinder zu
ersparen, die Richtung Südwest gegen Blagaj ein¬
zuschlagen.

Von Klippe zu Klippe, aus einem scharfkantigen
Loch in das nächste, musste ich springen, durch
junges Buchengebüsch mich durchzwängen, ehe ich
das tiefer gelegene, scheinbar besser gangbare Hoch¬
plateau des östlichen Podvelez betreten konnte und,
einige versteckte Häuschen östlich Trnaks passierend,
den ausgetretenen steinigen Weg gegen Ograda unter
meinen Füssen hatte. Später wandte sich die Fährte
ausgesprochen nach Osten, ich verliess sie und steuerte
einer grösseren Hütte zu, vor der zwei alte Bosniaken
und ein Weib eine grosse blecherne Wasserkanne
kreisen Hessen. Auf meine Bitte um Wasser zeigten
sich die beiden Tschutschen entschieden wenig erfreut
und warfen sich seltsam fragende Blicke zu, doch
ich hatte ja ein Zaubermittel in der Tasche. Tabak
für die Männer und einige Stück Zucker für das
Weib verfehlten ihre Wirkung nicht; die Feindselig¬
keiten wurden eingestellt, und sorglos streckte ich mich
unter die cigarettenqualmende Gesellschaft und konnte
meinen Durst aus dem mir nun vollkommen zur Ver¬
fügung gestellten Kruge löschen. Als ich mich satt¬
getrunken und freundlichen Abschied genommen, setzte
ich über Rojoc, an den steinumfriedeten Gehöften Koko-
rina vorüber, meinen Weg durch die unzähligen Fuss-
angeln, die der zerfressene Karst nach dem Wanderer
auswirft, fort und gelangte etwas oberhalb Osman Han
(Han = Wirthshaus) auf die Nevesinjer Strasse und
gleich darauf um 6 U. 45 abends in das bescheidene
Gasthaus. Landstrassen bieten in der Regel den vom
Berge zu Thal steigenden Touristen keine Annehm¬
lichkeiten, doch heute war ich froh, auf der bequemen
Kunststrasse, deren lange Windungen ich nach Thun-
lichkeit kürzte, nach Blagaj hinabbummeln zu können.
Gerade sank der goldene Flammenball der Sonne
unter den Horizont und goss seine letzten purpurnen
Lichter über die das Städtchen-Blagaj dominierende
Burg gleichen Namens, und als ich in dem der Buna¬
quelle wegen oft besuchten Orte eintraf, glitzerten
bereits die Sternlein am nächtlichen Firmamente.

Wäre mir nicht glücklicherweise von ungefähr
eine Kutsche untergekommen, so hätte ich nach der