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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.27 (1901)
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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 5.

Ziel vor; er selbst benützte die Zwischenzeit zu barometrischen
Beobachtungen auf der Höhe des Pfitscherjoches und bei der
Alphütte des Haupenthales. Beide Punkte mögen ungefähr
7000 P. F. haben, während die Hütte zu Rothmoos etwa um
500' tiefer steht. Das Genauere kann erst nach Einsicht der
correspondierenden Aufschreibungen berechnet werden."

„Der 18. August war, ausser einem Gange aufs genannte
Joch Ruhetag für die müden Glieder zum neuen Versuche."

Unsern Gebirgsfreunden zeigte sich auch am 19. der
Himmel günstig. Nach eingenommenem Frühstücke, einer Pfanne
Melker- oder Alpenmuss und einer Schüssel Milch — wurde, mit
Umgehung des undankbaren Kahrs, sogleich unten am Stampfl-
ferner, eine Weile über Grasboden und Steine, dann über rauhes
Geschiebe aufgestiegen. Nach mehr als 2 Stunden schnallten sie die
Fusseisen an und lenkten links auf den Gletscher ein. Bald
fanden sie ihre Spur und folgten ihr dann raschen Schrittes.
Der Gang über das Gestein und nun über den ersten Theil des
Ferners war steil und sehr beschwerlich, in ziemlich gerader
Linie nordwestlich gerichtet. Der mittlere Theil, weniger zer¬
rissen oder in Massen geschoben, aber links hinaus und zurück
dem Aufsteigenden ein malerisches Bild von Zertrümmerung
darbiethend, zieht sich rechts im Bogen bis zur Richtung gegen
Nordosten und lässt den Wanderer sowohl wegen der geringen
Erhebung leichter athmen, als auch bei seiner Wendung end¬
lich das schon in Rothmoos versteckte Ziel seiner Anstrengung
und seines Schweisses schauen, freilich noch in unerwarteter
Ferne und Höhe, kühn aufgeschwungen über Eisklüfte, Schnee¬
gehänge, Felsentrümmer und nackte Wände; ein Anblick, wel¬
cher dem Entschlossenen wohl den Muth nicht brechen kann,
aber die grösste Vorsicht empfiehlt. Der dritte Theil des Weges,
entschieden der ärgste, plagte die Kühnen noch mehr als 2 Stunden,
zwar in der kleinern Strecke etwas erleichtert durch die noch
brauchbaren Fussstapfen schräg über die jähe Schneelehne
hinan auf den südwestlich ablaufenden Schramagrath, wo sich
die Aussicht rechts über Berg und Thal öffnete, die zwei Männer
aber ihr Vordringen beschlossen hatten, als noch eine senk¬
rechte Höhe von beiläufig 700 Fuss übrig war; gerade die ge¬
fährlichste Parthie, welche bei ihrem raschen Emporstreben und
dem grössten Eifer der Bergsteiger doch in 5 Viertelstunden
nicht vollendet werden konnte, indem dieselben auf diesem
Rücken bald über vorspringende, hie und da locker sitzende
Felsblöcke kletterten, manchen sehr drohenden aber oder zu
grossen rechts über ihre Splitter und deren Gemülle, oder links
auf der Kante des kaum anklebenden Schneeabhanges aus¬
wichen, bald auf der Schneide des beiderseits abschüssigen
Halbeises Stufen einstiessen. Der nicht geringen Plage dieses
Vorwatens unterzog sich Anfangs Lechner, nach ihm Hub er,
zuletzt Thurwieser, welcher — in der Freude des gelungenen
Werkes etwas vorschnell — der Erste den Gipfel betrat, und
fast zurückschauderte an dem dicht vor ihm plötzlich erschei¬
nenden geraden Abstürze in die ungeheure Tiefe des grausen
Hintergrundes vom falsischen Alpeinerthaie. u

Bereits um 11 Uhr 9 Minuten, nach einem angestrengten
Marsche von ö 1 /« Stunden, ohne mindeste Kost oder Labung,
fanden Muth und Ausdauer ihren Lohn, und das Hochgefühl
über die vollständige Eroberung der gefürchteten und für un¬
bezwingbar gehaltenen Felsenburg wurde nach einander aus
allen Kehlen laut, freilich nicht erwiedert von der theilnamslosen,
todten Natur!"

(p. 292.) „Während die Glücklichen auf der erhabenen Warte
blieben, in ä 1 ^ Stunden, berührte dieselben kein Nebel und herrschte
beinahe ziemliche Windstille mit einer Wärme von 12"5°R. im
Schatten (diesen gab Thurwiesor's Rock, an den zwei läng¬
sten Stöcken aufgehängt und ausgespannt), wobei der Baro¬

meterstand 228 P. L. hatte, woraus man vorläufig eine Höhe
von mehr als 10.000 P. F. erkannte. Etwas freie Bewegung er¬
laubten der fast eben geblasene Schnee und die trockenen,
grossentheils flachen Steine. Auf letzteren wurde recht gemüth-
lich das köstliche Mittagsmahl eingenommen, bestehend aus
kaltem Alpenmusse, Speck und Brot; Wasser aber (ihr einziges
Getränke) ward von hingelegtem Schneeeis abgeschmolzen und
aus den Hutkrämpen getrunken. Den herrlichsten Genuss je¬
doch gewährte die heitere, ungemein weite Aussicht rings auf
unzählige Gruppen und Bilder, mit erstaunlicher Abwechslung
von den bewegten Silberbächen, reifenden Saaten, üppigen
Triften und Alpen, zerstreuten Ortschaften und Hütten bis
hinan zu den obersten Gränzen der kahlen Wände, zertrümmerten
Felsen, starren Eisfelder, schwarzgrauen Zacken und blendend
weissen Schneeköpfe! Ein hoher Schauplatz der Güte und Macht
Gottes! Ein herzerhebendes Schauspiel, würdig des gebrachten
Opfers!"

„Indessen mahnte das schnelle Verrinnen der Zeit immer
ernstlicher zum Rückzug, um noch vor Einbruch der Nacht, da
nichts für das ungehinderte Hinabkommen bürgte, die gastliche
Sennhütte zu erreichen. Gegen 2 3 / 4 Uhr schieden die drei Männer
von der hart errungenen, aber reichlich lohnenden Spitze des
Schrama, richteten sich nach ihrem Pfade, doch hin und wieder
aus Bedenken oder Neugierde davon abgehend. — Der weicher
gewordene Schnee liess sie nun tiefer, oft bis an die Knie ein¬
sinken. Daher wurde der grösste Steinklotz (aufwärts umwaten)
jetzt mit gegenseitiger Hilfe und mittelst des Seiles überwunden.
Dieses trug nach dem Willen der sorgsamen Führer Hr. Pro¬
fessor vom Gipfel bis auf den sanfter geneigten Theil des
Gletschers ( J / 3 Weges) um die Mitte geschlungen, während
Hub er, das andere Ende festhaltend, nachstieg, Lechner
aber voran Tritte ausbesserte, viele neue machte, und vor¬
züglich längs der Kante und im schiefen Durchschnitte des
steilen Abhanges verdächtige Stellen in Menge mit seinem
Bergstocke abschob, wodurch Lavinen entstanden, welche, ab¬
wärts immer wachsend, mit unheimlichem Sausen niederfuhren,
unten aber (rechts den Steigenden) da in Eisspalten stürzten,
dort auf den Fernerboden hingestreut endeten. So wurde zwar
das minder Haltbare weggeschafft, allein, wie man durch Fuss
und Stock manchmal bemerkte, beinahe das glatte Eis dieser
raschen Seite aufgedeckt; aus einer Sicherung eine neue Un¬
sicherheit! — Nach überstandenen Gefahren des Grathes und der
Schneehalde scheueten die Geübten nicht mehr die Brüche des
inittlern und untern Ferners, stellten sich sogar bei näher
vorkommenden scharf an den — zuvor geprüften — Rand hin, um
noch unterwegs die grossartigen Szenen der Gletscherwelt in
ihren wundersamen und schauerlichen Zerklüftungen, Einstür¬
zen, Abgründen, Gängen, Grotten, Wänden und Aufthürmungen
zu schauen und anzustaunen."

„Erfreuet über den glücklichen Erfolg des schwierigen Tage¬
werkes, zufriedener mit sich selbst, und endlich mit dem ungün¬
stigen Geschicke bei der vorjährigen Ersteigung der grossen
Möhrenspitze ausgesöhnt, langten die Tapfern zwischen 6 und
7 Uhr bei der Alphütte Rothmoos wieder an, wo ihnen Melker¬
mus, Milch und Heulager außerordentlich behagten."

Gestern (Samstag) früh traf Hr. Prof. Thurwieser mit
seinen Leuten abermal hier ein und leistete heute wieder im
Beichtstuhle und am Altare gefällige Aushilfe."

„Möge unser werther Gast auch künftighin Dornauberg be¬
suchen; denn es gibt in unsern Gegenden der unerstiegenen
und ungemessenen Hochgipfel noch mehrere, der Freunde von
so kühnen Unternehmungen aber äusserst wenige!"

„Anton Farbmacher m. p."
(Schluss folgt.)

Verschiedenes.

Weg- und flüttenbauten.

Neue Wischberghütte. Die S. Villach hat in ihrer dies¬
jährigen Hauptversammlung beschlossen, die Wischberghütte,
welche in ihrem dermaligen Bauzustande den heutigen An¬
forderungen nicht mehr entspricht, im heurigen Jahre ab¬
zubrechen und an einer etwas höher gelegenen Stelle in der
Karniza neu zu erbauen. Die neue Hütte soll dann den
Namen „Findenegghütte" erhalten, um das Andenken an
den vor kurzem verstorbenen, um die Erschliessung der Berge
der weiteren Umgebung seiner Vaterstadt hochverdienten

einstigen Vorstand der S. Villach, H. Findenegg, zu ehren.
Die alte Wischberghütte ist ein auf schmalem Felsband unter
der gewaltig überhängenden Tropfwand wie ein Schwalben¬
nest thronendes, zwar malerisches, aber auch höchst ein¬
faches Bauwerk; in Bergsteigerkreisen wird die Nachricht
von der Neuerbauung dieses wichtigen Stützpunktes gewiss
beifälligst aufgenommen werden.

Die Sachsendankhütte auf dem Nuvolau, 2578 m., wurde
1900 von 1100 Personen besucht. Infolge dieses überaus
lebhaften Zuspruches sieht sich die S. Ampezzo zu einer