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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.27 (1901)
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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 24.

Aiguille du Chardonnet von lat. *cardus statt carduus,
Distel 5 - genannt nach les Chardonnets, einer Oertlich-
keit, wo viele Disteln wachsen.

Le Grrand Chalet von *casalettus = die grosse Sennhütte.

Praz 4 Conduit von pratum-^-conductus, Wiesen mit kleinem
Bach, „Bachwiesen".

Aiguille de Crepon, lat. crispus = uneben, steinig.

Le Corridor, franz. corridor von lat. currere, vgl. Gang von
gehen; diese Partie am Montblanc gleicht einer „Haus¬
flur".

Mont Dolent von dolens = elender, erbärmlicher Berg.

Dome du Gout6 von domus, Dom, Kuppe und gustare,
gustatum = Kuppel des Vesperbrotes, bezüglich des
Sonnenstandes.

Aiguille du Dru, gallisch drüto = dicht, dicht aufgeschossen.

Les Flambeaux von lat. flammula ; diese Felsen am Mont¬
blanc ähnlichen grossen Leuchtern".

Aiguille de Charmoz, ahd. gamuz, Gemse, franz. chamois;
also Gamsspitze".

Aiguille du Geant von gigas, gigantem, Nadelspitze des
„Riesen"; nach dem Führer Cachat benannt, der wegen
seiner grossartigen alpinen Leistungen im Volksmunde
„le Geant" hiess.

Grange Neuve, „Neue Scheune", Aveil dieser Weiler eben
wie eine Scheune, lat. granea.

Col des Hirondelies, „Schwalbenpass" von *hirundinella,
weil angeblich so schwierig zu erreichen, dass dies nur
den Schwalben gelingt; vgl. Schwalbenkofel.

Montenvers, lat. montem inversum; envers ist die Schatten-,
tirolisch Nöderseite, der von der Sonne weniger be¬
schienene Abhang; mont bedeutet auf dem Berge gelegene
Viehweide. Die Schreibweisen Montenvert und Montanvers
sind also zu verwerfen.

Aiguille Marbree, lat. marmor, franz. marbre; es giebt
hier Marmor; der Name deckt sich mit der berühmten
Marmolata.

Les Moulins, ein Wasserfall, molinae, Mühle, Gletscher-
mühle.

LesMouilles, ein Weiler, *molliare, feucht machen, „Moos¬
wiese".

Glacier du Nant Blanc, Weissbach", kelt. nant, Bach.

Chalet de la Pendant von lat. pendens, -entern] Sennhütte

an der hängenden, steilen Alpe.
Pierre Po in tue, petra puncta, „spitzer Stein".
Aiguille Pourrie, *acucula putrita, „Faulhorn", wegen des

verwitterten Gesteins.

Le Rognon, lat. renio, -onem, Niere; doch ist dies Volks¬
etymologie; der Name der Spitze kommt in Wirklich¬
keit vom savoyardischen rogner = couper, zerreissen, also
vom zerklüfteten Gestein.
Les Tines, ein Weiler, lat. tinea, Weinbutte: Gruben, in

welche man gesammelte Steine versenkt.
Aiguille de la Trelaporte, „Hinterthorspitze", trans illam

portam.
La Flegere, wahrscheinlich vom savoyardischen flatzira,

lat. flaccus, „sumpfige Wiese".

Grands Mulets. Hier leitet die französische Form zu den
„Grossen Mauleseln". Der Maulesel heisst aber im Patois
der Gegend moue; das Volk spricht nun in obigem Namen
das ou mit der eigentümlichen Nasalierung, was ein
ganz anderes Wort, „Haufen", hier Steinhaufen, giebt
und wohl auf das lat. meta, die Spitzsäule, zurückführt.
Le Tour, ein Weiler. Da die Einwohner desselben im Patois
Torderins (d = stimmhaftes engl. th) heissen, so kann
das Wort nicht von turnus kommen, sondern gehört zu
*tortiare von tortus, drehen. Der Ort liegt thatsächlich
an der Krümmung des Thaies und Baches.
Aiguille du Triolet, savoyardisch triolin trifolium, trefle,
Klee; der Berg ist also ein „Dreispitz", ein „Tribulaun".
Chamonix kommt schwerlich von campus munitus, champ
fortifie; vielleicht ist es ein „Mühlfeld", campus molinarius;
der zweite Theil des Wortes heisst nämlich nach der
Aussprache des Patois „Müller".

Damit hätten wir einige bekanntere Orts- und Flur¬
namen betrachtet. Kubier hat nun vielleicht unter seinen
800 aufgeführten Namen 90°/ o erklärt von solchen, die nicht
in den Karten stehen, und die von ihm mit Recht nur in
der Transcription aufgeführt sind. Die Sprachwissenschaft
wird dem Verfasser, der mehr als 100 ihm geeignet scheinende
Personen des Thaies consultierte, dankbar sein für seine
Mühe und in dem Münnerstädter Jahresprogramm mehr als
einen „bescheidenen" Beitrag zur Kenntnis des Franco-
provenzalischen erblicken.

Touristische Mittheilungen.*

Kaisergebirge.

Scheffauer Kaiser. Wenn mit dem Wiedererwachen des
Frühlings neue Wanderlust alte und junge Verehrer des Wilden
Kaisers dem trauten Heim von Hinterbärenbad ihren Frühjahrs-
gruss darbringen, werden Manche von ihnen ihren „brennenden
Thatendurst" merklich abgekühlt fühlen durch die unerwarteten
Massen von meistens durchaus faulem Schnee, der sich an den
Hängen des Stripsenkopfes und der Scharlingerböden lähmend
an die Sohlen hängt. Statt mancher nutzlos geopferten Zeit und
Mühe wäre folgende Partie zu empfehlen: Den Weg zum Hinter¬
steinersee bis ungefähr 10 Min. hinter der Löchererkapelle ver¬
folgend biegt man 30 Schritte nach dem Gebäude der Draht¬
seilanlage links ab, geht über einen Zaun an einem Kapellchen,
später an zwei Bauernhäusern vorbei durch prächtigen Buchen¬
wald hinab in das Gaisbachthal. Den Bach überschreitend führt
der Pfad jenseits empor anfangs durch Wald, später durch Wiesen
zum letzten Haus am Westabhange des bewaldeten Hügels, wo
rechts der Fahrweg zum Hintersteinersee abbiegt. Hinter dem
Hause links am Waldrande ca. 100 m., so weit, bis man an
einen gut ausgetretenen Steig gelangt, der in Windungen zur
Walleralpe führt. Auf rothmarkiertem Wege weiter (5 Min.), bis
sich rechts ein Wiesenthälchen öffnet. In der zweiten, schwach
ausgeschnittenen Waldschneise links beginnt der Jägersteig,
der sich in der Hochwaldregion unter den Wänden des Zetten-
Kaisers hinzieht. Der Anfang- ist mit Fichtenzweigen und Ge¬
sträuch aus Jagdrücksichten künstlich überdeckt, nach kurzer

* Wegen Raummangel konnten längere Zeit keine Fahrten-
berichte zur Veröffentlichung gelangen. Der Abdruck wird jetzt,
im allgemeinen nach der Reihenfolge des Einlangens, nach und
nach erfolgen. Die Schriftleitung.

Zeit wieder jedoch zu beiden Seiten durch die bekannten
Rindenzeichen an den Bäumen hinreichend kenntlich gemacht.
Nach 5 Min. folgt unter einem Felsen eine Quelle. Nun ca.
s ji St. solange weiter, bis man zwei Schuttfelder erreicht; beim
zweiten links aufwärts durch eine zur Grübler Lücke führende-
Rinne und von da über den meist aperen, hübschen Westgrat
zum Gipfel des Scheffauer Kaisers. Im Februar ist der Wald
an den Südhängen ein Garten der prächtigsten Schneerosen.

G. Herold, Lindau i. B.

Alluer Alpen.

Wildgruppe. Die Unterzeichneten bestiegen am 16. August
1900 die Obere Grätlisgratspitze, 2643 m. (I. Erst). Der
Weg wurde von der Alpe Brazer Staffel östlich in das zwischen
Roggal- und Oberer Wildgrubenzpitze liegende, von den Aelplern
„Seniloch" genannte Kar genommen, hart östlich von der Oberen
Wildgrubenspitze der Grat und diesem südöstlich entlang ohne
besondere Schwierigkeiten die Spitze erreicht (3 St. einschliess-
lich Rasten). — Am nächsten Tage bestiegen wir vom selben
Ausgangspunkte die Rohnspitze, 2495 m.; wir gelangten von
dem kleinen See bei der Brazer Galthütte in die Karmulde
nördlich des Gipfels und, nach Ersteigung eines westlichen,
vermeintlich höheren Vorgipfels wieder in diese zurückkehrend,
auf einem von gewundenen Schichtbändern durchzogenen steilen
Ableger auf den Grat etwas westlich vom Gipfel und auf diesen
selbst (2 1 / 2 St.). Es fanden eich auf ihm die Trümmer einer
wahrscheinlich von der Vermessung des Gebietes herrührenden
Stange; von einem touristischen Besuche ist nichts bekannt.
Hierauf steuerten wir an der Nordflanke dem Blisadonajöchl,
2302 m., und von diesem längs des Grates dem schönen, zer¬
rissenen Felsgerüste der Blisadonaspitze (Punkt 2513 der
Siegfriedkarte, I. Erst.) zu; der Gipfelblock selbst bot einige