/ 302 pages
Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.28 (1902)
Search


Nr. 8.

Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.

97

Schematisch dargestellt ergeben-die Hochalpenunfälle folgendes Bild:

Nr.

Datum

Ort
des Unfalles

0

Der Unfall trat ein durch

a. subjektive Gefahr | 6. objektive Gefahr

N i<

O (in

Der Unfall vollzog sich

Allein,
mit,
ohne

Führer

9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.

16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.

26. Mai
13. Juni
16. „

8. Juli
v8.
16.
20.
23.
28.
28. n
Ende Juli

5. August

6.

7.

11. „
11.

11-
16.

28.
4. Sept.

4-

29.

6. Oktober

Leistkamm (W.)

Grasleitenturm (0.)

Schlauchkar (O.)

Sulzfluh (O.)

Jungfrau (W.)

Piz Grialetsch (W.)

Pflerscher Tribulaun (0.)

Matterhorn (W.)

Viehkogel, Stein. Meer (O.)

Ifinger (O.)

Petit Muveran (W.)

Kitzsteinhorn (O.)

Piz Roseg (W.)

Wilder Freiger (O.)

Eisenspitze (0.)

Großer Spannort (W.)
Aiguille du Tacul (W.)
Höchstein (O.)
Hohe Villerspitze (O.)
Pizzo Cervandone (W.)
Schloßberggletscher (W.)
Kleine Riffelwandspitze (O.)
Planspitze (O.)
Praxmarerspitze (O.)

1
2
1
4
3
1
4
7
1
2
1
3
3
3
1

2
16
3
1
2
3
2
2
2

1

Stein aus¬
gebrochen

1
1
1

1
1

1

u. Frfrieren

Allein

Ohne

Allein

Mit

Mit

Allein

Mit

Mit

Allein

Ohne

Allein

Ohne

Mit

Mit

Allein

Mit

Mit

Ohne

Allein

Ohne

Ohne

Ohne

Ohne

Ohne

10 westlich, 14 östlich der
Schweizer Grenze

70

24

14

11

15

7 allein,

9 ohne,

8 mit

hat. Alle diese löblichen Bestrebungen werden zwar die
Unfälle nicht aufhören machen, denn solange Leichtsinn
und Unerfahrenheit in der Welt bestehen, werden sie auch
in den Bergen unliebsam zur Erscheinung kommen. Aber
eine kleine Minderung der Abstürze wird sich immerhin
durch Warnung erzielen lassen.

Ein großer Fortschritt zum Bessern wäre erreicht, wenn
man endlich einsehen würde, daß das Alleingehen unter allen
Umständen zu vermeiden ist. Die Fährlichkeiten der Alpen¬
welt machen sich dem Alleingänger gegenüber in potenziertem
Maße geltend. Günstiger gestellt sind Führerlose, die zu
mehreren ausrücken. Die Zahl der Hochalpenunfälle, welche
ihnen im verflossenen Jahre zugestoßen sind, überschreitet
die Zahl der Unglücke bei Führertouren nur um einen,
ein neuer Beweis dafür, daß die Tüchtigkeit und Vorsicht
der Führerlosen stetig zunimmt (vgl. „Mitteilungen" 1901,
S. 121).

Der Entstehung von Unfällen günstig bleibt die alte
Tatsache, daß die große Menge nach dem Erfolge urteilt
und sich von Erzählungen über Bergfahrten imponieren
läßt, bei denen die Grenze des Erlaubten überschritten, gegen
anerkannte Bergregeln gesündigt, das angestrebte Ziel aber
erreicht worden ist. Man hat allen Ernstes den Vorschlag
gemacht, der Schilderung solcher Bergfahrten die Spalten
der alpinen Blätter zu verschließen („Rivista mensile", Bd. XX,
S. 9). Sehr treffend wurde hiergegen von der Redaktion der
„Rivista" eingewendet, daß eine Grenze in dieser Beziehung
sich schwer ziehen lasse; die großartigsten Leistungen,

welche der Alpinismus zu verzeichnen hat, müßte man ver¬
werfen und schließlich bliebe dann nichts mehr übrig als
eine Akademie statt eines Kampfplatzes mit dem Motto:
Excelsior! Und zur Erhärtung dieser Auffassung bringt
dasselbe Blatt in Nr. 10 (1901) einen Bericht über eine Erst¬
ersteigung einer von den Dames Anglaises (zwischen den
beiden P£teret Aiguilles), nunmehr Punta Jolanda getauft.
Es werden darin Situationen geschildert, die an Kühnheit
noch über das hinausgehen, was den Absturz des Mr. Jones
und seiner Führer an der Dent Blanche zur Folge hatte.

Es ist schließlich nicht zu viel gesagt, wenn man den
Bergunfall als ein Ereignis bezeichnet, das aus wissentlicher
oder nicht wissentlicher Außerachtlassung anerkannter Berg¬
steigerregeln entsprungen ist. Eingedenk meines im Eingange
dieser Übersicht ausgesprochenen Grundsatzes, daß man die
Grenze des bergsteigerisch Erlaubten lieber etwas zu weit
als zu eng bemessen soll, zögere ich mit dem Zugeständnisse
nicht, daß man unter Umständen von alten Bergsteige
grundsätzen abweichen darf. Aber auch hier heißt es: Der
Meister kann die Form zerbrechen. Nur wer sich zur
Meisterschaft eines Purtscheller und Genossen empor-

fearbeitet hat, mag dann und wann, um ein besonderes
roblem zu lösen, um Neues, des Preises Wertes zu voll¬
bringen, diese oder jene Regel beiseite lassen, die große
Mehrzahl der Touristen wird immer dann richtig handeln,
wenn sie die alten Vorsichtslehren sorgsam und gewissenhaft
beachtet. Und mit dieser Mahnung schließe ich meine dies¬
jährige Statistik.