Nr. 8.
Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.
97
Schematisch dargestellt ergeben-die Hochalpenunfälle folgendes Bild:
Nr.
Datum
Ort
des
Unfalles
0
Der Unfall trat ein durch
a.
subjektive Gefahr | 6. objektive Gefahr
N i—<
O (in
Der Unfall vollzog sich
Allein,
mit,
ohne
Führer
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
26. Mai
13. Juni
16. „
8. Juli
v8. „
16. „
20. „
23. „
28.
„
28.
n
Ende Juli
5.
August
6.
„
7.
„
11. „
11. „
11- „
16. „
28.
„
4. Sept.
4- „
29.
„
6. Oktober
Leistkamm (W.)
Grasleitenturm (0.)
Schlauchkar (O.)
Sulzfluh (O.)
Jungfrau (W.)
Piz Grialetsch (W.)
Pflerscher Tribulaun (0.)
Matterhorn (W.)
Viehkogel, Stein. Meer (O.)
Ifinger (O.)
Petit Muveran (W.)
Kitzsteinhorn (O.)
Piz Roseg (W.)
Wilder Freiger (O.)
Eisenspitze (0.)
Großer Spannort (W.)
Aiguille du Tacul (W.)
Höchstein (O.)
Hohe Villerspitze (O.)
Pizzo Cervandone (W.)
Schloßberggletscher (W.)
Kleine Riffelwandspitze (O.)
Planspitze (O.)
Praxmarerspitze (O.)
1
2
1
4
3
1
4
7
1
2
1
3
3
3
1
2
16
3
1
2
3
2
2
2
1
Stein aus¬
gebrochen
1
1
1
1
1
1
u. Frfrieren
Allein
Ohne
Allein
Mit
Mit
Allein
Mit
Mit
Allein
Ohne
Allein
Ohne
Mit
Mit
Allein
Mit
Mit
Ohne
Allein
Ohne
Ohne
Ohne
Ohne
Ohne
10 westlich, 14 östlich der
Schweizer Grenze
70
24
14
11
15
7 allein,
9 ohne,
8 mit
hat. Alle diese löblichen Bestrebungen werden zwar die
Unfälle nicht aufhören machen, denn solange Leichtsinn
und Unerfahrenheit in der Welt bestehen, werden sie auch
in den Bergen unliebsam zur Erscheinung kommen. Aber
eine kleine Minderung der Abstürze wird sich immerhin
durch Warnung erzielen lassen.
Ein großer Fortschritt zum Bessern wäre erreicht, wenn
man endlich einsehen würde, daß das Alleingehen unter allen
Umständen zu vermeiden ist. Die Fährlichkeiten der Alpen¬
welt machen sich dem Alleingänger gegenüber in potenziertem
Maße geltend. Günstiger gestellt sind Führerlose, die zu
mehreren ausrücken. Die Zahl der Hochalpenunfälle, welche
ihnen im verflossenen Jahre zugestoßen sind, überschreitet
die Zahl der Unglücke bei Führertouren nur um einen,
ein neuer Beweis dafür, daß die Tüchtigkeit und Vorsicht
der Führerlosen stetig zunimmt (vgl. „Mitteilungen" 1901,
S. 121).
Der Entstehung von Unfällen günstig bleibt die alte
Tatsache, daß die große Menge nach dem Erfolge urteilt
und sich von Erzählungen über Bergfahrten imponieren
läßt, bei denen die Grenze des Erlaubten überschritten, gegen
anerkannte Bergregeln gesündigt, das angestrebte Ziel aber
erreicht worden ist. Man hat allen Ernstes den Vorschlag
gemacht, der Schilderung solcher Bergfahrten die Spalten
der alpinen Blätter zu verschließen („Rivista mensile", Bd.
XX,
S. 9). Sehr treffend wurde hiergegen von der Redaktion der
„Rivista" eingewendet, daß eine Grenze in dieser Beziehung
sich schwer ziehen lasse; die großartigsten Leistungen,
welche der Alpinismus zu verzeichnen hat, müßte man ver¬
werfen und schließlich bliebe dann nichts mehr übrig als
eine Akademie statt eines Kampfplatzes mit dem Motto:
Excelsior! Und zur Erhärtung dieser Auffassung bringt
dasselbe Blatt in Nr. 10 (1901) einen Bericht über eine Erst¬
ersteigung einer von den Dames Anglaises (zwischen den
beiden P£teret Aiguilles), nunmehr Punta Jolanda getauft.
Es werden darin Situationen geschildert, die an Kühnheit
noch über das hinausgehen, was den Absturz des Mr. Jones
und seiner Führer an der Dent Blanche zur Folge hatte.
Es ist schließlich nicht zu viel gesagt, wenn man den
Bergunfall als ein Ereignis bezeichnet, das aus wissentlicher
oder nicht wissentlicher Außerachtlassung anerkannter Berg¬
steigerregeln entsprungen ist. Eingedenk meines im Eingange
dieser Übersicht ausgesprochenen Grundsatzes, daß man die
Grenze des bergsteigerisch Erlaubten lieber etwas zu weit
als zu eng bemessen soll, zögere ich mit dem Zugeständnisse
nicht, daß man unter Umständen von alten Bergsteiger¬
grundsätzen abweichen darf. Aber auch hier heißt es: Der
Meister kann die Form zerbrechen. Nur wer sich zur
Meisterschaft eines Purtscheller und Genossen empor-
fearbeitet hat, mag dann und wann, um ein besonderes
roblem zu lösen, um Neues, des Preises Wertes zu voll¬
bringen, diese oder jene Regel beiseite lassen •, die große
Mehrzahl der Touristen wird immer dann richtig handeln,
wenn sie die alten Vorsichtslehren sorgsam und gewissenhaft
beachtet. Und mit dieser Mahnung schließe ich meine dies¬
jährige Statistik.
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