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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.31 (1905)
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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.

Nr. 23.

gepanzerter Höcker uns zwang, ihm tiefer an der
Südflanke auszuweichen. Immer schmäler wurde die
Schneide und wieder gab es ein diesmal schwierigeres
Ausweichen auf der rechten Seite. Dann standen
wir plötzlich vor einem markanten „Gendarmen",
der, als weitaus größter Zahn aus dem zersägten
Kamme emporragend, schon vom Wege nach Kühtai
aus sichtbar ist. Ein Ausweichen rechts oder auf
der furchtbar steilen Nordwestflanke erschien nicht
ratsam, so mußte er überklettert werden. Sein
Scheitel wurde reitend auf schmälster Kante er¬
reicht; der senkrechte Ostabbruch aber zwang, uns
über ihn zu einer mehr als 5 m tieferen Scharte abzu¬
seilen, was schwierig durchzuführen und recht ex¬
poniert war. Das lose Gestein mahnte hierbei zur
größten Vorsicht. Jetzt kam das heikelste Stück:
eine plattige, nach Süden geneigte Rinne, die rechts
von der Grathöhe schräg emporläuft und keine
sicheren Griffe bietet. Dann ging es auf derselben
Seite durch leichte Felsen rasch aufwärts; nur kurz
bevor der Grat in eine Geröllkuppe übergeht, wurde
noch an seiner linken Seite ein unangenehmer Quer¬

gang durchgeführt. Schließlich stiegen wir über
leichtes Geröll zur Spitze. Punkt 11 U. standen
wir oben (einschließlich der Rasten 6 St. von
Kühtai).

Von der zwar herrlichen, aber etwas beschränkten
Aussicht ist der Blick auf die verschieden gefärbten
Finstertaler Seen, zirka 2250m, hinab (Neigung
34°) und hinüber zu den "Wänden der Mittertaler
Köpfe und der grausigen Ostwand des Acherkogels,
welch letztere ich im Vorjahre mit Karl durchklettert
hatte, besonders eindrucksvoll. Damals ging ein
arges Wetter nieder und mancher Blitzstrahl war
uns eine willkommene Leuchte, als wir in stock¬
finsterer Nacht das Mittertal hinaus stolperten; doch
diesmal strahlte uns die Sonne aus wolkenlosem
Himmel entgegen ■ und wunderbar glitzerten die
Schneefelder aus den Karen herauf.

Den Abstieg nahmen wir über die Südseite. Aber
erst nachdem wir noch den Mittagskopf, 2930 m,
überquert und den Mittagsturm überklettert hatten,
stiegen wir zum Finstertal und weiter nach Küh¬
tai ab.

Eine Skitour um den Wetterstein.

Von A. L. Schlipp in München.

Einst zu Weihnachten hatten wir der Königin des Wette
steins, der Zugspitze, unseren Besuch abgestattet; jetzt
wollten wir auf Skiern ihr Gebiet umkreisen. So wanderten
wir eines Sonntags morgens 5 U. zum Münchner Haupt¬
bahnhof. Unendlich erhaben dünkten wir, „die wir schon
aufwaren", uns gegenüber dem Schwärm, „der noch auf
war", in bier- und weinfröhlicher Stimmung die Straßen be¬
völkerte und allerhand Ulk trieb. Besonders im Wartesaal¬
restaurant, der letzten Zufluchtsstätte der Münchner Nacht¬
schwärmer, wurden wir mit einem Hagel von schlechten
Witzen begrüßt. Die einen taxierten uns als „Eskimos",
die anderen als „Nansen und seine Frau"; nur ein etwas
chiffoniert aussehender Jüngling rief uns ein „Skiheil" zu
und ganz geknickt fügte er bei: „Herrgott, wer jetzt auch
mit könnte!" Endlich saßen wir im Zuge, der uns mit der
bekannten „Geschwindigkeit" von 25 km die Stunde nach
Garmisch führte.

Nun, unser heutiges Tagespensum war kein großes:-
Von Partenkirchen über Elmau, Fercben- und Lauter¬
see nach Mittenwald. Die Sonne hatte zwar in die weiße
Schneeverbrämung der Südhänge gewaltige Löcher gefressen
und das ganze Landschaftsbild erhielt dadurch etwas merk¬
würdig Unruhiges; doch der Schnee war gut, das merkten
wir, als wir querfeldein zur Partnachklamm liefen. Da die¬
selbe damals nicht passierbar war, mußten wir die Skier
wieder ausziehen, um die teils apere, teils eisige Straße
zum Forsthaus Graseck emporzusteigen. Prächtig war
der Blick von der Klammbrücke in die Tiefe und auf die
mit phantastischen Eisgebilden geschmückten Felsen. Zu
unserem Verdruß ging ein betretenes Steiglein nach Elmau,
aber nebenbei konnte man leidlich gut fahren. Mittags er¬
reichten wir das Gasthaus; bis hierher verdankten wir den
Skiern keine Zeitersparnis, aber auf der vor uns liegenden
unbetretenen Route kamen ihre Vorteile zur Geltung. Die
Wirtin, die in uns Fußgänger vermutete, meinte, wir würden
nicht durchkommen, und ich selbst erinnere mich noch mit
Schaudern einer Ostertour auf der gleichen Strecke, bei der
uns der heimtückische Schnee bald ein paar Schritte auf
seinem festen Harst getragen hatte, um uns dann ganz un¬
vermutet bis zu den Hüften zu verschlingen. Ein zeit¬
raubendes, ermüdendes Wandern! Heute ging es flott dahin
neben dem Ferchenbach, vorbei am zugefrorenen Ferchensee,

im Sommer ein tiefgrünes Gebirgswasser in prächtiger Um¬
gebung, jetzt eine weiße Schneefläche; das gleiche Bild bot
auch der idyllische Lautersee. Viel zu früh kam uns dort
das befahrene Sträßchen nach Mittenwald, doch hatten wir
auf dem unbetretenen Rande noch eine ganz nette Abfahrt und
bevor die Dämmerung den rotglühenden Gipfel des Kar¬
wendel s ttnd die keck geformte Viererspitze in ihr
graues Kleid hüllte, durchschritten wir die originelle Haupt¬
straße des alten Marktes Mittenwald, wo wir bei guter
Verpflegung und behaglichen winterlichen Unterkunftsver¬
hältnissen im Hotel Wetterstein des Herrn See thaler
einen gemütlichen Abend verbrachten.

Es war noch dunkel, als wir anderen Morgens an der
Schießstätte vorbei den Höhenrücken überschritten, der das
Leutascher Hochtal von dem tieferen Isargrund trennt. Oft
schon war ich diesen Weg gewandert, im Lenz, wenn der
Waldboden mit Anemonen und Leberblumen besät war,
im Frühsommer, wenn der Schlehdorn blühte, im Herbst,
wenn die gelbroten Laubbäume sich bunt von den grauen
Felswänden abhoben, aber nie hatte es mir so schön ge¬
dünkt als heute in der winterlichen Morgendämmerung. Der
Rauhfrost verwandelte jeden Baum und jeden Strauch in ein
blitzendes Juwel von zartester Filigranarbeit und zwischen
dem verschlungenen Silbergewölbe, unter dem wir dahin-
schritten, schimmerte der blaßblaue Himmel mit den ver¬
glimmenden Sternen. Bald wird die Sonne diese ganze Herr¬
lichkeit vernichten und an Stelle des weißen Märchenwaldes
tritt dann wieder das winterlich kahle Geäste. Schon blitzten
die ersten Strahlen auf die mächtige Mauer der Wetter¬
steinwand, vor uns lag der breite, weiße Talgrund der
Leutasch. Keine Spur von den zahlreichen Zäunen ist zu
sehen; diese sind unter der dicken Schneedecke begraben.
Aber unsere Lust, querfeldein zu fahren, müssen wir noch
bezähmen, denn an der linken Talseite liegt ein altes zwei-
türmiges Tor, die Überreste der Schanze", die einst be¬
stimmt war, die Landesgrenze Tirols zu schützen und die
im Franzosenkrieg durch Verrat fiel. Merkwürdig nehmen
sich diese Kriegserinnerungen in dem friedlichen Hochtale
aus. Jetzt lauern keine Kanonen und flintenbewaffneten
Soldaten hinter der Schanze, dafür stürzen sofort ein paar
„Finanzer" heraus, wenn die schrille Klingel ertönt. Müh¬
sam zwängten wir uns mit unseren langen „Hölzern" durch