MITTEILUNGEN
DES
DEUTSCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS.
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=
1
K 20 für die viergespaltene Nonpareille-Zeile.
sind die Verfasser verantwortlich.
Nr. 8.
München-Wien, 30. April.
1905.
Aus einem stillen Tale.
Von Th. Girm-Hochberg.
(Schluß.)
Palai liegt auf einer steilen Wiesenterrasse, die
einzelnen Gehöfte sind weit auseinandergebaut; nur ge¬
rade um das Schulhaus und Widum drängen sich
wenige Häuser etwas näher aneinander. Steile, stein-
gepflasterte Wege verbinden die nächstgelegenen
Gehöfte mit diesen und der Kirche, einem kleinen,
hoch und weithin sichtbar stehenden, weißen Bau¬
werke. Das geräumige, ganz, aus Stein erbaute
Schulhaus hat auch hier der deutsche Schulverein
gestiftet. Zwei große, helle Klassenzimmer mit
Bänken, Tafel und Bildern, zwei Lehrerinnenwoh¬
nungen, möbliert mit Bett, Schrank, Tisch, Stühlen,
Ofen und Kochherd, sowie die nötigen übrigen
Räume dienen hier vom Oktober bis Mai dem Besten
der Palaier Schuljugend, die seit einigen Jahren eine
für die Zukunft des Dorfes erfreuliche Zunahme
zeigt, ebenso wie die Gesamtzahl der Bevölkerung
der deutschen Dörfer im Fersentale. * In den kleinen
Hausgärten und auf den Hängen um das Dorf
wachsen, trotz der hohen Lage, 1403
m,
noch Kar¬
toffel, Hafer, mehrere Kohlarten, Rüben und Bohnen,
auch hier und da noch ein etwas verkrüppelter Obst¬
baum, dessen Früchte, wie z. B. die Kirschen, aber nur
klein und wenig fleischig werden. Dagegen wird
die Viehzucht (Rindvieh, Schafe und Ziegen) wie
überall im Fersentale hier eifrig betrieben, wenn
auch ihre Art, besonders was den Almnutzen an
Milch, Käse und Butter anbelangt, noch weit von
einer wirklich ergiebigen Wirtschaft entfernt ist.
Das mag aber wohl an der Schwierigkeit des Ab-
* Jetzt ergeben die Zahlen gegenüber der Volkszählung
von 1890:
1890
Palai
.....432 Personen
1904
Palai
.....
692 Personen
in den anderen Orten an Deutschen:
Innerfloruz . 350 Personen
Außerfloruz . 209 „
Gereut. . . . 237 „
Eichleit . . . 318 „
In Palai wohnen nur Deutsche.
Innerfloruz .
396 Personen
Außerfloruz .
297 „
Gereut. . . .
426 „
Eichleit
...
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satzes, den nicht fahrbaren Wegen und der Aus¬
saugerei seitens einiger am Taleingange wohnender
Großhändler liegen.
Über die Flora Palais ist noch wenig bekannt.
Alpenrosen wachsen reichlich auf den umliegenden
Höhen, auch Edelweiß findet sich auf einigen Berg¬
wiesen, dann die überall in den Alpen vertretenen
Enzian- und Ranunkelarten, Primeln, Anemonen,
Zwergweiden, Semperviven: ihre genauere Beschrei¬
bung und Bestimmung harrt noch des Botanikers,
der eventuell sonst seltene Arten darunter findet.
Unter den Bäumen sind alte, große Exemplare der
Zirbelkiefer zu verzeichnen, dann mächtige Edel¬
tannen, Lärchen und verschiedene Laubholzarten,
Haselnußbüsche, zu denen schon von Sta. Orsola
(rechte Talseite) und Floruz (linke Seite) Nuß- und
Eichbäume, sowie zahme Kastanien kommen und
weiter abwärts der Maulbeerbaum und Ölbaum
(rechte Seite). Gerade dieses stufenweise Sichsteigern,
wie man es in der kurzen Zeit von wenigen Stun¬
den hier im Fersentale vor den Blicken vorbeiziehen
sieht, der kurze Übergang aus der Zone des Öl¬
baumes und des Weinstockes durch Laub- und
Nadelholz zur Alpenwiesen- und Krummholzregion,
zur fast vegetationslosen Öde der Berggipfel verleiht
dem Tale einen Hauptreiz.
Von Palai aus lassen sich zahlreiche Übergänge
und verschiedene Bergtouren ausführen, * so z. B.
auf das Rohjoch, die wenig bestiegene Kreuzspitze,
beide mit Aussicht bis zum Ortler und Adamello;
über das Fleimserjöchl ins Cadintal (zum Teile Saum¬
pfad) zum Wirtshause Castigo (Nachtlager) und nach
Molina im Fleimstale (6 Stunden); nach Roncegno
über das Türljoch (7 Stunden); nach dem Val di
* In Bädekers Tirol etc. ist das ganze „waldarme!" Fer¬
sental mit 12 Zeilen abgetan, genauere Karte der Umgebung
und nähere Angaben fehlen; so ist z. B. Eichleit überhaupt nicht
erwähnt. Markierungen sind im Gebiete des Fersentales bis
1904 noch wenige zu finden.
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