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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.31 (1905)
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MITTEILUNGEN

DES

DEUTSCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS.

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sind die Verfasser verantwortlich.

Nr. 7.

München-Wien, 15. April.

1905.

Aus einem stillen Tale.

Von Th. Girm-llochbcrg.

Wohl nicht ganz mit Unrecht wird in der letzten
Zeit von den getreuen Freunden des Wanderns in
den Bergen über die Menschenmassen geklagt, die
zu Zeiten die bequemer von der Eisenbahn und den
großen Touristenstraßen aus zu erreichenden Ge¬
genden überschwemmen und deren zuweilen über¬
wiegender Teil dem wirklichen Naturfreunde, dem
eifrigen Sucher einfachen Volkstums und stillen, un¬
gestörten Bergfriedens manchen herrlichen Ort,
manch früher in seiner Einfachheit und Einsamkeit
köstliches Plätzchen verleiden mag. Daß es aber in
unseren Alpen solche Plätze, die des Beschauens,
solche Pfade und Aussichtsberge, die des Wanderns
wert sind, unberührt vom großen Touristenschwarm
überhaupt nicht mehr gäbe, sollen diese Zeilen
widerlegen und beweisen, daß in einem solchen
stillen Tale jeder nicht Verwöhnte noch nach Her¬
zenslust seine Freude findet: der Hochtourist uner-
stiegene, unbenannte Spitzen, der Jochbummler Aus¬
wahl an dankbaren Übergängen und schönen Aus¬
sichtsbergen, der Botaniker eine unbeschriebene,
wenig durchgesehene Flora, der Geologe merkwür¬
dige Erdbildungen, Mineralien und Mineralquellen,
der Ethnograph eng zusammengedrängtes Volkstum
zweier Nationen, das trotz dieses räumlich nahe Bei-
einanderwohnens in Sitten und Sprache ebenso weit
geschieden ist wie in Vegetation und Klima.

Wer von Trient aus in dem in südlicher Fülle
prangenden, fruchtbaren Kessel des Suganertales
aufwärts nach Pergine (Persen) fährt, hat stets die
munter rauschende Fersen zur Seite, jenen heim¬
tückischen Bergbach, der, am Ponte alto in steinerne
Klammern gebannt und zum Untertan der Menschen
gezwungen, im Fersentale fast alljährlich, gemeinsam
mit seinen dortigen Zuflüssen, Wiesen und Wege
vermuhrt und dieses Fersental in zwei einander in¬
nerlich fremde Teile scheidet und dadurch besonders
interessant macht.

Pergine, der Eingangspunkt des Fersentales in
politischer und geographischer Hinsicht, ist fast ganz
italienisch und liegt inmitten reichtragender Wein¬

berge, überragt von den malerischen Ruinen des
einst stolzen und starken Kastells Pergine. Schon
am Bahnhofe wird sich der Einsamkeitssucher über¬
zeugen, daß hier kein von Touristen überlaufener
Platz ist, wenn er sich vergeblich nach einem Träger
für sein Gepäck oder einem Wagen zur Fahrt in
das knapp 10 Minuten entfernte Stadtinnere umsieht.
In beschaulicher Ruhe, wie die meisten Stationen
der Suganertalbahn, liegt auch der Bahnhof von
Pergine den größten Teil des Tages in dem heißen
Glänze der südlichen Sonne; das laute Zirpen der
Zikaden aus den ihn umgebenden Büschen wirkt
eher einschläfernd wie aufregend.

Vom Bahnhofe und dem benachbarten kleinen,
deutschgeführten „Hotel Pergine" führt die baum-
nmsäumte Straße an ungepflegten und schüchternen
Anfängen von Anlagen vorbei in das saubere, aber
trotzdem ganz italienische kleine Städtchen, vorbei
an einer breit und still dastehenden, aus dem 16. Jahr¬
hundert stammenden gotischen Kirche. Seidenspin¬
nerei und Weinhandel bilden neben dem Durch¬
gangsverkehre von Vieh und Holz die hauptsäch¬
lichsten Handelszweige dieses Marktes, bis vor dessen
Haustüren im buchstäblichen Sinne des Wortes die
Weinberge reichen und dessen Gartenlandumgebung
an Reichtum der Bodenfrüchte wohl ihresgleichen
sogar in Südtirol suchen kann. Vor den Frühlings¬
und Herbstattaken der wilden, geröllreichen Fersen
sind die gen Norden und Nordwesten um die Vor¬
stadt Zivignago (Sivernach) gelegenen Weinberge
und Wiesen mit dicken, festen Mauern, durch welche
wenig Pforten führen, geschützt. Schwerbeladene
Maisstauden, reichtragende Obstbäume, handlange
Trauben, riesige Melonen und Kürbisse wachsen hier
am Taleingange und besonders die letzteren be¬
gleiten den Wanderer auf der italienischen, der
rechten Talseite bis hinauf vor Sta. Orsola in eine
Höhe (925 m), wie sie wohl nur selten solche immer¬
hin empfindliche Pflanzen in den Alpen erreichen.
Ein steiler, aber gut gehaltener Karren weg, von
mächtigen Nußbäumen, Eichen und Kastanien um-