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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.31 (1905)
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Mitteilungen des Deutschen und österreichischen Alpenvereins.

Nr. 8.

Cembra über Platzersee und Serragliasee (Wirts¬
haus mit Nachtlager) oder von da das Val Pine
(Paneidertal) abwärts zur Suganatalbahn. Auch zur
sonst schwer erreichbaren Cima d'Asta-Gruppe leiten
Wege, und zwar nördlich unter der Schrummspitze
ins Calamentotal zum Wirtshause Pontarso und weiter
das Val Campelle und Val Cia hinauf, bis hinüber
nach Caoria, wo ein gutes, altitalienisches Gasthaus
steht. Zu den dankbaren Ausflugszielen zählt ferner
der Ursprung der Fersen, der kleine Palaier- oder
Spitzsee ; hoch droben in der bergumschlossenen Ein¬
öde, mit dem sich dann der Abstieg über das Bären¬
joch (das Seejoch der österreichischen Spezialkarte,
Blatt Borgo und Fiera di Primiero) verbinden läßt.
Rings um diese Pässe aber liegen eine ganze Reihe
zum größten Teile unbenannter und anbestiegener
Gipfel, die zwar keine kühnen Dolomitnadeln, noch
von spaltenreichen Gletschern bedeckt sind, aber
dem Bergsteiger freie Bahn und Wahl des Aufstieges
lassen, samt dem Reize der Neuheit, dem Ansporn
des Pfadfinders. Wer nicht führerlos, nicht ohne
einen mit der Gegend vertrauten Begleiter gehen
mag, findet in Palai einen wegkundigen, bergge¬
wandten älteren Mann als Führer, der mit der größten
Freude Touristen begleitet. Auch in den anderen
deutschen Dörfern sind mit Hilfe des Geistlichen,
des Lehrers oder Ortsvorstehers wegkundige Träger
zu haben. Als Reittiere kommen im ganzen Ge¬
biete nur Esel in Betracht (23 Gulden der Tag),*
Wagen gibt es keine.

War der Aufstieg über die italienischen Dörfer
bis Sta. Orsola für einen Alpenweg gut zu nennen,
so kann man das von dem größten Teile der Pfade
auf der deutschen Seite mit dem besten Willen nicht be¬
haupten. Es wechseln zwar auch hier bessere Strecken
— auf der Talstufe in den sie unterbrechenden
Schluchten — mit schlechten ab, aber im allgemeinen
scheint eine solche Sammlung lose übereinander-
liegender, platter, runder Steine wie hier extra zum
Wohle aller Schuhmacher zusammengetragen zu sein.
Was alle Bergbesteigungen, alle Pässe in diesem
Jahre nicht vermocht, leisteten diese Wegstrecken,
als sie Nagel um Nagel an den Fußspitzen unserer
kräftigen Bergschuhe herausbrachen. Zur Entschä¬
digung geht man dafür den größten Teil im schönsten
Baumschatten wahrer Prachtstücke hochstämmiger
Tannen, knorriger, früchtebeschwerter Kastanien
und Eichen, weitästiger Nußbäume; sie lassen einen
Schluß auf den Holzreichtum der Gegend ziehen,
der es nur für dieses wertvolle Produkt an leichten
Transportwegen fehlt. So wird ein kleiner Teil da¬
von, als Hausindustrie, im Tale selbst verarbeitet zu
den plumpen, aber praktischen Holzschuhen, „Kospen"
genannt (deren Querleiste auf der Fußsohle des
Vorfußes sicher über die Steinpfade trägt), zu Fa߬
reifen, Faßdauben und Reiserbesen. Auf Schub¬
karren führen die Männer diese ihre Ware oft viele
Stunden weit die steilen Wege auf und ab hinunter

* Außer in Pergine auch in Innerfloruz beim Altvorsteher
Peter Gasser, der seinen Reitesel auf Wunsch zum Abholen
nach Pergine an die Bahn oder sonstwohin schickt.

zum Bahnhofe von Pergine oder in das Städtchen
zu einem Händler für kargen Verdienst. Sonst ist
als Hausindustrie nur noch das Verarbeiten von
Wolle zum Selbstgebrauche und ein wenig Leinen-
weberei im Schwünge, da die Männer im Sommer,
außer in Sägemühlen im Tale, meist auswärts als
Erdarbeiter oder Händler ihren Verdienst suchen
und die Frauen dann genug mit der Bestellung des
Feldes und der Viehzucht zu tun haben. Der früher
lohnende Bergbau auf Silber — ließ doch der
Bischof von Trient, Friedrich von Wangen, im
13. Jahrhundert eigene Münzen aus den Gruben von
Gereut, Floruz und Walzurg prägen — war eine
Zeitlang ganz eingestellt; jetzt soll in Sta. Orsola
(Aichberg) eine deutsche Gesellschaft nochmals nach
Erz graben wollen, beinahe 100 Jahre seit dem letzten
Bergbau in der Auwies bei Floruz. Von dem Reich¬
tum, der sonst den silberbergenden Gegenden nach¬
gesagt wird, ist im Fersentale nichts mehr zu spüren;
sein heutiges Kapital wächst über, nicht im Boden.

Findet man auf der italienischen Talseite zu¬
sammengebaute Dörfer, enge GasseD, hohe, kahle
Gebäude, so zeigt uns die deutsche Seite ein ganz
anderes Bild in ihren weithin verstreuten Höfen und
den mit blumenbesetzten Holzgalerien umgebenen
Häusern, von denen manche noch mit alten Male¬
reien geziert sind. Das deutsche Fersentaler Haus
hat Wohnräume, Stall und Scheuer (neben- und über¬
einander) unter einem Dache, die Einfahrt in die
letztere wie bei den Häusern im Schwarzwalde, be¬
dingt durch die Lage am steilen Berghange, von
rückwärts und deshalb zu ebener Erde über eine
Holzbrücke direkt im zweiten Stockwerke. Hier
und da findet man noch als Malereien Heiligenbilder,
Sprüche und Namen des Erbauers um die Türen-
und Fensteröffnungen, auch noch hübsch geschnitzte
Pfeiler und Brüstung der rund um die Wohnräume
im zweiten und dritten Stocke laufenden Holzgalerie;
auf dieser die überall in den ganzen deutschen
Alpen vom „Berner Biet" bis zum Küstenlande be¬
liebten Hängenelken und rotleuchtenden Geranien.
Wo im Hause die rauchfanglose Küche steckt, zeigt
schon ihre schwarzberußte Tür von außen. Im Innern
aber unterscheidet sich das deutsch-fersentaler Haus
in nichts von seinem italienischen Gegenüber, weder
durch größere Reinlichkeit, noch Wohnlichkeit oder
Ordnung. Die Armut mag ja wohl dazu beitragen, auch
die Sitte der Bewohner, im Sommer in die auf den
Almen gelegenen Hütten mit Kind und Kegel über¬
zusiedeln und so lange das Dorf haus leer stehen zu
lassen.

Viel liebliche Ausblicke eröffnen sich auf dem
Wege von Innerfloruz bis Gereut dem Wanderer;
bald schaut ein weißes Kirchlein hoch droben am
Abhänge über die grauen Felsen herunter, bald
führt der Pfad in wasserdurchbrauste, enge Schluch¬
ten, dicht mit Kastanienbäumen bestanden,. bald
fesselt ein malerisches Haus, vom uralten Nußbaume
beschattet, bald eine Ausschau nach den feinen
Linien der Kreuzspitzgruppe im Talschlusse, bald
einer auf die tiefblauen Schrofen südlich des Su-
ganertales das Auge. Innerfloruz besitzt ein ein*