/ 306 pages
Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.32 (1906)
Search


256

Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.

Nr.

der Verbindungslinie zwischen den beiden mäch¬
tigsten Berghäuptern der Hohen Tauern, zwischen
Großglockner und Großvenediger, beide sind so
nahe, daß ihre überragende Höhe noch mit voller
Wucht zur Geltung kommen muß; der Venediger
ist zirka 20 km, der Glockner gar nur 8 7cm in der
Luftlinie entfernt.

So wurde am 19. Juli 1906 die Besteigung des
Großen Muntanitz mit nicht geringen Erwartungen
angetreten, und ich kann gleich im voraus sagen,
daß dieselben eher übertroffen als enttäuscht wurden.
Eine am Tage vorher eingezogene Erkundigung hatte
ergeben, daß.auf der Steineralpe, die in den Reise-
büchern als Übernachtstation für den Muntanitz an¬
gegeben wird, augenblicklich auf kein Quartier ge¬
rechnet werden konnte, da dort eine Anzahl oben
beschäftigter Arbeiter untergebracht war. So mußte
denn der Berg von der Talsohle aus in Angriff ge¬
nommen werden und es standen uns, da Windisch-
matrei 975 m hoch liegt, zirka 2350 m Höhenunter¬
schied zu überwinden bevor.

Morgens 5 U. 15 brachen wir — mein Reise¬
gefährte und ich — in Begleitung des Führers Ob-
kircher von Windischmatrei auf, folgten zunächst
etwa 15 Min. lang dem gegen den Velber Tauern
führenden Karrenwege und schlugen dann, gerade
unterhalb des Schlosses Weißenstein, einen schmalen,
nach rechts abzweigenden Fußpfad ein, der uns,
meist durch schönen Wald, anfangs sanfter, dann
rasch emporsteigend und den Steinerbach an einem
Absatze zwischen seinen prächtigen, himmelhohen
Wasserstürzen überschreitend, in einer Stunde nach
dem Weiler Stein brachte. Hier wendet sich der
Weg, immer noch in scharfer Steigung, etwas weiter
nach rechts, d. h. nach Osten und mündet schließlich
in das Hochtal der Steineralpe. Schon hier zeigt
sich ein Landschaftsbild von entzückender Schön¬
heit: im Rückblicke gegenüber der Eingang in das
Froßnitztal, dahinter die Dreiherrenspitze und links
davon der Lasörling, während zur Rechten bereits
die Gletscher der Venedigergruppe über die Vor¬
berge des Tauerntais herüberzuschauen beginnen;
und nach vorwärts, nach Nordosten — welch ein
Grünen und Blühen im Talkessel und an den Berg¬
lehnen, welch ein stiller Friede über den schlichten,
rauchgeschwärzten Almhütten, welch ein ernster Ab¬
schluß des Almbodens durch die düstere, von dunkel¬
grünem Rasen und blendendweißen Schneeflecken
durchzogene Felswand, die zur oberen Steineralpe
und zum Gradötzgletscher emporsteigt! - Just am
schönsten Punkte, am südwestlichen Ende des Tals,
wo dasselbe in jähem Sturze gegen das Tauerntal
sich öffnet, befindet sich ein Haus im Bau. Die
steinernen Grundmauern sind bereits fertig und auf
diese soll ein Holzbau aufgesetzt werden, von dem
wir schon eine Menge einzelner Teile durch Träger
haben von Windischmatrei heraufbefördern sehen.
Dieser Hausbau ist ja auch der Grund gewesen,
weshalb für uns in der Steineralpe kein Nachtquartier
vorhanden war, denn die Bauarbeiter übernachteten
dort oben. Das Haus soll einem Münchener Bank¬
direktor gehören, der hier künftighin einige Wochen

des Sommers zubringen will. Fürwahr, der Platz
ist nicht schlecht gewählt. Und wenn auch das
Haus selbst der Touristenwelt verschlossen sein wird,
so wird doch die Verbesserung des von Windisch¬
matrei heraufführenden Wegs sowie die direkte
Wegverbindung zwischen der Steineralpe und dem
KaisMatreier Törl, welche der Besitzer jenes Hauses
herstellen läßt, für die Allgemeinheit Bedeutung ge¬
winnen. 7 U. 30 war es, als wir nach 2 1 / i St.
rüstigen Steigens die Steineralpe erreichten (die An¬
gabe im „Hochtourist" von 1903, wonach die Steiner¬
alpe von Windischmatrei aus in l 1 ^ St. erreicht
werden soll, ist entschieden zu niedrig bemessen).
Nach einem labenden Frühstück in der Almhütte,
bestehend aus Milch, Brot und Butter, ging's um
8 U. weiter, den Steinerbach überschreitend und ihm
am linken Ufer aufwärts folgend, dann steil über
das Gehänge hinan und schließlich über Geröll und
Moränenschutt zum Gradötzkees, welches um 10 U.
erreicht war. Dieses wurde fast seiner ganzen Länge
nach zuerst in nordöstlicher, dann nördlicher Rich¬
tung durchschritten, was trotz der geringen Steigung
wegen des weichen Schnees einige Mühe verur¬
sachte. Erst gegen das Ende wird das Gehänge an
der linken, westlichen Seite steiler, zuletzt galt's
noch über einen kleinen Überhang sich hinaufzu¬
schwingen (zu anderen, schneeärmeren Zeiten mag
sich hier wohl eine Randkluft befinden) und wir
standen auf der Einsattelung zwischen Großem und
Kleinem Muntanitz (11 U. 45). Von hier führt ein
breiter Grat, aus lockeren, verwitterten Platten be¬
stehend, in x / 4 St. zur Spitze, die wir gerade um die
Mittagsstunde erreichten. Nun vor allem eine kurze
orientierende Rundschau, dann ein einfaches Mit¬
tagsmal und schließlich noch ein behagliches Ge¬
nießen der Hauptpunkte in der Rundschau!

Da zieht denn vor allem eine überwältigende
Erscheinung magnetisch den Blick auf sich: gerade
gegenüber im Osten, vom untersten Fuße bis zum
Gipfel sichtbar, ragt der Großglockner empor. Breit
und massig ist sein Sockel, wie er aufsteigt aus dem
Dorfertale; Dreifingerspitze, Zollspitze, Gramul sind
dessen Hauptstufen. Und zwischen die Felsstufen
und Grate sind eingebettet die mächtigen Eisfelder
des Teischnitz- und Froßnitzkeeses; auch das Köd-
nitzkees blickt, überragt von dem Felsrücken der
Adlersruhe, noch herüber. Kühn schwingt über
diesem Unterbau, in seiner Wirkung noch gehoben
durch den Gegensatz der links daneben empor¬
strebenden breiten, vielgezackten Glocknerwand,
sich der Gipfel selbst empor. Nur schwer reißt das
Auge sich los von seiner königlichen Gestalt.
Doch noch vieles andere fordert Beachtung. Da
steht zur Linken der Johannisberg, der, gegen
die Pasterze zu in schimmernden Eisfeldern sich ab¬
dachend, von hier als mächtige, steile Felsmauer
erscheint. Neben ihm blickt das Wiesbachhorn über
die Obere Oden winkelscharte hervor, weiter' folgen
Hohe Riffel, Hocheiser, Kitzsteinhorn, mehr rück¬
wärts der Hochtenn, die eisbewehrten Vorposten der
Glocknergruppe gegen das Salzachtal im Norden.
Besonders instruktiv ist dann der Ausblick über die