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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.35 (1909)
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Nr. 11.

Mitteilungen des Deutschen und österreichischen Alpenvereins.

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sten Punkt erreicht, liegt der hübsche Markt Telfs am Fuße der
Hohen Munde, eines imposanten Kalkmassivs. Ihr Gegenüber
bilden die viel, viel älteren Herren Hocheder und Gries*
kogel. Die Vorderen Kühtaier Berge stehen also gänzlich ab*
gesondert da und der Ausblick vom Hocheder und Grieskogel
ist durch kein Hindernis gestört. Nirgends im weiten Kranze
erheben sich im Vordergrunde mächtigere Berge; terrassen*
förmig steigen die Züge an bis zu ihren gewaltigen Riesen und
den sie umgebenden Gletschern. In unmittelbarer Nähe brei*
ten sich aus: gegen Süden die Stubaier Alpen, die Berge des
ötztals, weiter westlich die Riesen des Pitztals, im Westen
die Parseier Gruppe und die Lechtalerkette, unmittel«
bar vor uns gegen Norden die Mieminger Berge und diese
überragend die Wetter steinkette von der Zugspitze bis zur
Leutascher Dreitorspitze. Gegen Nordosten folgt das Kar*
wendelgebirge, gegen Osten die Zillertaler Alpen und
in fernster Ferne die Tau er n mit dem Großvenediger. Wer
wollte sie alle zählen und nennen, die stolzen Zinnen und die
glitzernden Gletscher? Es wären ihrer mehrere hundert. Was
aber die Anmut des Bilds noch erhöht, ist gegen Süden der
Einblick in die meridional streichenden Täler der nördlichen
Stubaier bis hinauf zu ihren Fernern, gegen Norden auf den
Seefelder Kessel und die Leutasch, im Vordergrunde auf das
von Osten nach Westen ziehende, reichbesiedelte Inntal bis
Innsbruck, Hall und noch weiter darüber hinaus. Durch den
Einschnitt bei Scharnitz (Nordnordosten) schweift der Blick
hinaus in die Bayerische Ebene, auf die Karwendelspitze, die
Tief karspitze u.a. bei Mittenwald (vgl. «Zeitschrift« 1894, S.298,
«Hocheder*Hütte», jetzt Neuburger Hütte).

Wenn wir alle diese Vorzüge der Rundschau betrachten,
liegt die Frage sehr nahe: «Wie konnten solche erstklassige
Aussichtspunkte bislang unbekannt bleiben?» Die Gründe
hiefür sind mannigfacher Art. Die Literatur über sie ist nur
sehr spärlich und der knappe Hinweis, den L. Purtscheller
im II. Bande (S.475) der «Erschließung der Ostalpen» gab, wie
auch die empfehlenden Erinnerungen der Reisehandbücher,
genügten nicht zur Bekanntmachung dieser Gipfel. Zwar hat
der rühmlichst bekannte Alpinist Herr Dr.Franz Hörtnagel,
jetzt Stadtphysikus in Innsbruck, im Jahre 1900 eine einge*
hende, auf Grund eigener Erfahrung geschriebene interessante
Monographie über die Kühtaier Berge herausgegeben und da?
rin auch speziell Hocheder und Grieskogel empfohlen, aber
diese Arbeit ist dem Jahresbericht des Akad. Alpenklubs Inns*
brück für das Vereinsjahr 1899/1900 beigegeben und somit lei*
der nur einem kleinen Kreise zugekommen. Sie verdiente weis
teste Verbreitung.

Ein Haupthindernis lag aber bisher in den für eine größere
Frequenz mangelhaften Unterkunfts* und den vollkommen
ungenügenden Wegyerhältnissen. Von der Station Telfs aus
erforderte die Ersteigung des Hocheders früher immerhin
gegen 8 St., die des Grieskogels etwa 9 l / 2 St. Nach etwa drei*
stündiger Wanderung kam man zur letzten Siedelung, der
Oberhofer Melkalpe und der Strigelhütte. Bis hieher führt ein
guter Waldweg. Die übrige Strecke war nur leidlich markiert,
vom Weidevieh stark ausgetreten- und vom Regen ausgewa*
sehen, ganz besonders jene von der Strigelhütte zur Hocheder?
Hütte, die im Jahre 1888 etwa 3 / 4 St. oberhalb auf Betreiben
des damaligen Präsidenten des D. u. Ö. Alpenvereins, Herrn
Dr. Zittel*München, welcher da oben gerne und wiederholt
verweilte, von der S. Telfs als unbewirtschaftete Unterkunfts*
hütte erbaut wurde. Fast schien es damals, als ob es nun da
oben lebhafter werden sollte, so daß Herr Strigel um eine
Konzession für einen Wirtschaftsbetrieb nachsuchte und end*
lieh auch erhielt. Der freundliche Wirt, seine für den Bergsport
sehr begeisterte Tochter und das schmucke Häuschen boten
an Atzung und Unterkunft gerne, was bescheidenen An*
Sprüchen genügen konnte. Da aber zur Verbesserung der
Wegverhältnisse auch jetzt nichts weiter geschah, auch die
Wegmarkierung nach wie vor der freundlichen Fürsorge
des Herrn Strigel und seines Gesellschafters Höß zu
danken war, nahm auch die Wanderlust zum Hocheder wieder
ab und noch mehr die zum Grieskogel. Die Hocheder*Hütte
selbst wurde allmählich mehr eine billige Sommerfrische für
einige Einheimische statt ein Stütz* und Ausgangspunkt für
Turisten.

Eine gänzliche Umgestaltung dieser Verhältnisse trat vom
Jahre 1906 ab ein, als die S. Neuburg a. D. dahin ihr Arbeits*

gebiet verlegte und mit einem Kostenaufwande von nahezu
M. 25.000.— die Hocheder*Hütte in ein bewirtschaftetes,
sehr geräumiges, modern eingerichtetes Unterkünfte*
haus umbaute, neue, kürzere Wege anlegte, die alten aus«
besserte und Übergänge zu den Stubaier und ötz*
taler Bergen schuf, was allerdings erst jetzt, und zwar
durch die Unternehmungen der Schwestersektionen Münster
(Westphalen*Haus) und Guben (Gubener Weg) ermöglicht
wurde.

Betrachten wir nun die Verhältnisse, wie sie jetzt sind:
Etwa 5 Min. von der Station Telfs (27 km westlich von Inns*
brück, an der Arlbergbahn gelegen) entfernt, beginnt in dem
schmucken Dorfe Pfaffenhofen bei der Blabacnbrücke der
neuangelegte Weg zur Neuburger Hütte. Er führt anfangs
durch eine Kühlung spendende Schlucht und später durch
einen herrlichen Hochwald. Nach etwa 1 St. mündet er beim
«Kreuzerbrünndl» in den bisher schon bestandenen Waldweg
und setzt auf diesem fort bis zur Oberhofener Melkalpe. Wohl
nur wenige Hütten haben eine solch schattige Anstiegsroute.
Bei der Oberhofer Alpe, also etwa 3 St. ab Telfs, hört aller*
dings der Baumwuchs auf, allein der noch 3 / 4 stündige Aufstieg
zur Neuburger Hütte führt durch ein Gelände, welches reich*
lieh mit einer x / 2 m dicken Humusschichte bedeckt und von
Alpenrosen förmlich überwuchert ist. Beim Betreten der Neu*
burger Hütte wird jedermann überrascht sein über die Geräu*
migkeit des Gastzimmers, zu welchem aus der im Erdgeschoß
liegenden Küche ein Speiseaufzug führt. In 10 Zimmern sind
15 Betten und alle Utensilien untergebracht, die dem Turisten
zur Ruhe und Bequemlichkeit dienen. Im Parterre befinden
sich in zwei Räumen je 6 Matratzenlager und auf dem Dach*
boden in zwei Abteilungen gegen 20 Heulager. Es ist also Platz
für Viele vorhanden. Tritt der Gast, nachdem er sich's bequem
gemacht und sich restauriert hat, auf die vor der Hütte ge*
legene Plattform, so ist er von der großartigen Aussicht mehr
als überrascht. Von Hitze oder Schwüle ist da oben nichts zu
verspüren, es gibt erfrischende Luft im Überfluß, denn die
Hütte steht sehr ausgesetzt auf einem Felsvorsprunge («Zeit*
schrift» 1894, S. 298). Sonnenauf* und «Untergang kann man
von seinem Zimmer aus genießen. Unvergleichlich schön, wie
wohl selten anderswo, ist der Ausblick von der windgeschütz*
ten Veranda auf das Inntal, wenn nach eingebrochener Dun*
kelheit die zahlreichen Ortschaften von Telfs bis Innsbruck
und hinauf bis Igls elektrisch beleuchtet sind. Ein zauberhaf*
tes Bildl

Von der Neuburger Hütte führen zwei neuangelegte
Wege ins Sellraintal. Der eine leitet auf der Höhe, dem Flaur*
linger Bache entlang, zur Flaurlinger Scharte, 2600 m. Er bietet
einen Einblick in das tief unten liegende Flaurlinger Tal, auf
den Roßkopf und die Paiderspitze und das dazwischenliegende
Kar mit dem Taxersee. Von der Flaurlinger Scharte hat man
einen schönen Überblick über den Kraspesferner. Etwa 300 m
tiefer zweigt von diesem in westlicher Richtung nach Kühtai
leitenden Wege ein solcher gegen Osten naen Haggen ab.
Diese Strecke wird heuer neu angelegt und soll die Verbindung
über St. Sigmund—Gries—Praxmar zum Westfalen*Haus der
S. Münster, beziehungsweise in die Stubaier Berge bilden.
Außerdem wird heuer noch das Wegstück von der Grieskogel*
scharte zu dem zur Flaurlinger Scharte führenden Weg ge*
baut, der jenen Bergsteigern, welche von der Neuburger Hütte
über den Hocheder zur Flaurlinger Scharte und nach Haggen
etc. wollen, willkommen sein wird.

Der zweite Weg führt zu dem von der Hütte 3 / 4 St. süd*
licher gelegenen Sonnkarköpfel (mit äußerst lohnender Fern*
sieht). Dieser Abstecher sollte von niemand versäumt werden.
Er ist mühelos ausführbar und lohnt allein schon einen Be*
such der Neuburger Hütte. Der Weg setzt sich dann in süd*
licher Richtung fort zum Kleinen Hocheder (SchaferebensKo*
gel), Hochederscharte, Hocheder. Die Pyramide des Hoch*
eders wie auch jene des Grieskogels besteht aus mächtigen
Felsblöcken und Steinplatten, welche streckenweise eine eigent?
liehe Weganlage ersetzen müssen. Doch ist die Markierung so
reichlich, daß ein Verfehlen oder eine Gefahr nicht leicht mög*
lieh ist. Zwischen Hocheder und Grieskogel ist auf dem Grate
wieder ein regelrechter Weg angelegt. Ein Besuch dieses gegen
100 m höheren Gipfels kann nicht genug empfohlen werden.
Sein Besuch fordert ab Hocheder nur einen Zeitaufwand von
1l x / 3 St. und verlangt keine besondere Anstrengung. Die