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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.36 (1910)
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Nr. 4.

Mitteilungen des Deutschen und österreichischen Alpenvereins.

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behaglich ziehen sie weiter. Wir beobachten sie einige
Zeit, dann nähern wir uns allmählich — das Kitz äugt
herauf, gespannt und regungslos; eine weitere Be*
wegung unsererseits — nun schnellt die Alte auf, ein
Pfiff und die wilde Jagd beginnt! In federnden, präch*
tigen Sätzen fliegen die eleganten Tiere talab, den Berg*
hang nach Süden querend, Schneestreifen und Trum*
merfelder übersetzend; unter den stahlharten Hufen
stäubt der Schnee; sie verschwinden und werden wieder
sichtbar, nun erscheinen sie — schon ganz winzig —
unten im Kar, halten einen Moment — dann geht es
mit denselben gleichmäßigen Sätzen den steilen Schnee*
hang des Verbindungsgrats hinauf, abermals ein
kurzer Halt — und verschwunden sind siel 3 Min.
haben sie zu einer Strecke gebraucht, die uns sicher
3 / 4 St. gekostet hätte, wenn nicht mehr. Insgeheim be*
neiden wir die flüchtigen Antilopen und schämen uns
des eigenen, schwerfälligen Abstiegs. Dessen untersten
Teil können wir durch eine Abfahrt kürzen.

An 500 m sind wir nun wieder unter dem Gipfel
und streben in nordöstlicher Richtung einer Bastion
zu, die der Hinterberg nach Norden vorschiebt. An
deren Hang geht es allmählich wieder aufwärts und
eine höhere Karstufe wird erreicht, die wir jetzt bei*
nahe gegen Nord durchschreiten, immer eine ragende,
grüne Kuppe als Ziel vor Augen, Punkt 2554 des
Kamms, der das Ganeratal westlich begleitet. Wir
passieren die frische Markierung des Steigs, den die
Tübinger von ihrer Hütte nach der Vergaldner Seite
durchführen, und steigen an den steilen Grasflanken
empor. Dicht unter Punkt 2554 weiß ich eine kost*
liehe Quelle und einen idealen Lagerplatz. Wir er*
reichen ihn um 3 U. 15 — 3 St. und 15 Min. nach
Aufbruch vom Gipfel — und pflegen nun der wohl*
verdienten Ruhe. Das Umgehen des Vergaldner Tal*
Schlusses war recht ermüdend. Der Blick auf den Roten*
buhl ist' von hier noch einmal überwältigend schön.
Erst um 4 U. 30 reißen wir uns los und kommen bald
danach über den Kamm zum Vergaldner Joch (2486 m);
wir überschreiten es und bummeln behaglich immer in
nördlicher Richtung nach dem Gebiet der Matschuner
Alpe hinab; dann wird über ihre steilen, grasbewach*
senen Hänge direkt nach Osten ins Ganeratal abge*
stiegen. Der Triftweg gewinnt die Talsohle etwas
unterhalb der Ganeraalpe und um 7 U. 30 sind wir
wieder in Gaschurn. Unvergeßlich und unverlierbar
sind die neuen Bilder und Eindrücke, die ich in jenen
Tagen gewonnen. Aber meine besten Gedanken wen*
den sich an die lieben Freunde und tapferen Gefährten,
die mir einen lange gehegten Wunsch verwirklichen
halfen!

Nachtrag.

Mein Aufsatz war in der vorstehenden Fassung
fertig. Da schrieb mir auf eine kurze Notiz hin Herr
Dr. Blöd ig aus Bregenz folgendes: «Verehrter Herr
Vereinsgenosse und Bergbruder! Nur mit Schmerz
lichte ich diese Zeilen an Sie. Der alte Ben Akiba lebt
eben noch immer und es ist schon alles einmal da*
gewesen. Laut Schweizer Alpenklub*Jahrbuch XXVIII,
S. 15 bis 17 haben die Herren A. Ludwig und Dr. W.
Z w i c k y am 8. August 1892 den Eisenthälispitz (2882 m)

unter mannigfachen Schwierigkeiten erstiegen. E. Im*
h o f nennt das die erste und vielleicht einzige Bestei*
gung dieses Bergs, während die 2855m hohe Roten*
bühlspitze oft besucht werde. Aber wer liest denn die
Schweizer Alpenklub*Jahrbücher bei uns etc.» Dieser
gerechte Vorwurf von so kompetenter Seite straft mich
hart! Ich kann höchstens um die Zubilligung mildern*
der Umstände bitten und darauf hinweisen, daß diese
Ersteigung heute 17 Jahre zurückliegt und daß der
einzige Mensch, der vielleicht in der .Nachbarschaft
davon wußte, Wirt Schwarzhans aus Gargellen, schon
seit Jahren nicht mehr dort ist. Ich verschaffte mir
nun durch die Güte der S. München des D. u. ö. Alpen*
Vereins den XXVIII. Jahrgang (1892/93) der Jahr*
bücher des Schweizer Alpenklubs und machte dadurch
die Bekanntschaft des schönen und fesselnden Auf*
satzes von A. Ludwig «Zwischen Landquart und 111»,
der mich als alten Montafoner noch ganz besonders
interessieren mußte. Nach Prüfung des einschlägigen
Inhalts beschloß ich, die Fassung der eigenen Arbeit
bestehen zu lassen und die nötige Einschränkung in
einem Nachtrag zu bringen. Einmal war der Tenor
meiner Niederschrift zu sehr auf die falsche Voraus*
setzung gestützt und ich hätte müßen mehr daran
ändern, als gegenwärtig meine Zeit erlaubte. Anderer*
seits aber bleibt jeder Schritt (von dem kurzen Auf*
enthalt auf dem Hauptgipfel abgesehen), den wir am
Rotenbühl machten, turistisches Neuland.

Aus dem Aufsatz von A. Ludwig sei nachstehendes
angeführt: Die beiden genannten Herren nächtigten
in der Alpe Innersäß im Schlappintal und brachen am
9. August 1892 morgens kurz nach 4 U. zur Bc*
Steigung «des Eisenthälispitz» auf. Sie stiegen direkt
hinauf ins Eisenthäli, das Herr L. «eine weltverlorene,
von düsteren Felsen eingeschlossene Mulde» nennt.
Sie wollten «lieber nördlich von der höchsten Spitze
auf den Grat gelangen als auf dem sehr gescharteten
Kamm zwischen ihr und den südlichen Vorgipfeln
2849 und 2715 m.» Zu diesem Zweck schlügen sie
sich nordöstlich vom letzten i im Worte Eisenthäli
(Siegfriedkarte) in die Felsen, nachdem eine ziemlich
lange Schutthalde überwunden war. öfter die Couloirs
wechselnd, durch schneegefullte Runsen und steile
Rinnen, zweimal unter eingeklemmten Blöcken durch*
kriechend, erreichten sie schließlich den Grat etwa
dort, wo das ti im Worte Eisenthälispitz steht. Es ist
der Verbindungsgrat gemeint, der etwas östlich von
Punkt 2755 des Valzifenzer Grats direkt zur Nord*
liehen Eisenthälispitze streicht, während der Haupt*
grat, über den die Grenze läuft, nordöstlich zur Roten*
bühlspitze weiterzieht. Ich habe diesen Seitengrat bei
meiner Umschau wenig beachtet, da mich die aben*
teuerliche Gratverbindung zwischen Eisenthäli* und
Rotenbühlspitze zu sehr fesselte. Ziemlich schwierig er*
reichten sie dann eine Scharte nördlich des Haupt*
gipfeis. Es scheint mir dies die Trennungsscharte zu
sein, die für uns wegen des mächtigen, steilen Schnee*
feldes auf der Nordostseite unerreichbar blieb. Herr
L. spricht von dem Couloir, das dort seinen An*
fang nimmt, und fährt fort: «Der darin befindlichen,
überaus steilen Schneehalde durften wir uns nicht an*
vertrauen; wir gingen dem rechtsseitigen, nördlichen