254
Mitteilungen des Deutschen und österreichischen Alpenvereins.
Nr. 21.
getüm gefangenes Nixlein aus. Bei solcher Landungsassistenz
war die sonst so saure Arbeit rasch erledigt. Auf zwei Schlitten
wurde der Ballon* in einer Viertelstunde hinab zur Straße ge*
bracht, wo ihn ein von Sand requirierter Wagen aufnahm.
* Der 2200 m
3
große Ballon «Tirol» ist Eigentum des Ver*
eins für Luftschiffahrt in Tirol und eignet sich seiner Größe
wegen besonders für Alpenfahrten. Da die Füllung mit Leucht*
Zwei Stunden nach der Landung klangen im «Elefanten» die
Gläser zusammen. Es war eine kurze, aber herrliche Fahrt ge*
wesen!
gas, das vom Innsbrucker Gaswerk in ausnehmend guter Qua*
lität erzeugt wird, erfolgt, belaufen sich die Kosten einer alpi*
nen Fahrt mit dem «Tirol» nicht höher als bei einer Fahrt in
der Ebene.
Das oder der Kees?
Von Prof. Dr. Aug. v. Böhm
in Czernowitz.
Unter den volkstümlichen Bezeichnungen, deren Boden*
ständigkeit in der alpinen wie in der wissenschaftlichen Litera*
tur respektiert wird, befinden sich die Ausdrücke Kees und
Ferner für Gletscher. Keese heißen die Gletscher in den Hohen
Tauern einschließlich der Zillertaler Alpen, mit alleiniger Aus*
nähme der Rieserfernergruppe und einiger Gletscher im Ahm*
tal und in Pfitsch; dort und in den übrigen Gebirgsgruppen
des deutschen Tirols heißen sie Ferner. Der verdienstvolle
österreichische Orograph und Gletscherforscher C. v. Sonklar
hat sich zwar im Jahrbuche des österreichischen Alpenvereins
(1867, S. 374 u. 378, gegenüber E. v. Mojsisovics) auf das
entschiedenste gegen die Aufnahme dieser «vulgären Wortfor*
men in die bessere Sprache» erklärt, da man dann «ein Schlaten*
kees, einen Gurglerferner und einen Aletschgletscher» hätte, was
ihm mit dem Ernste der Wissenschaft unvereinbar erschien;
sein Einspruch hat aber — und mit Recht — keine Beachtung
gefunden, und es würde einem heute vielmehr ganz ungewohnt
klingen, von einem Schlatengletscher, einem Gurglergletscher
oder einem Vernagtgletscher zu hören.
Von den beiden in Rede stehenden Ausdrücken ist Ferner
männlichen, Kees aber sächlichen Geschlechtes. Es fällt daher
auf, daß H. Angerer neuerdings in seinen Berichten über
Messungen am Kleinelend*, Großelend* und Hochalmkees
(Carinthia
II,
1904, S. 140-153 und 185-203, «Mitt. des D. u.
Ö. Alpenvereins», 1905, S. 187-189 und «Zeitschrift für Glet*
scherkunde»
V,
1910, S. 153—154) nicht das, sondern konsequent
der Kees schreibt. Nun ist aber Angerer ein Kärntner und
man könnte deshalb meinen, daß seine Schreibweise zumindest
für die Keese Kärntens berechtigt sei. Dies ist jedoch keines*
wegs der Fall.
In J. und W. Grimms Deutschem Wörterbuch
V,
Leipzig
1873, S. 619, findet sich verzeichnet: »kes, n. kes, gletscher, in
den bairischen, salzburger, tiroler alpen». Auch J. B. Schöpf
(Tirolisches Indiotikon, Innsbruck 1866, S. 314) kennt das Wort
nur als Neutrum, desgleichen J. A. Schindler (Bayerisches
Wörterbuch, 2. Aufl.,
I,
Stuttgart 1872, S. 1300), der ausdrück*
lieh bemerkt: «Die Aussprache und das Genus unterscheiden
dieses Kes von Kaes.» In M. Lexers «Kärntischem Wörter*
buch», Leipzig 1862, kommt das Wort sonderbarerweise gar
nicht vor, wie wenn es dem Kärntner Dialekt fremd wäre. Daß
dies jedoch nicht zutrifft, sondern die Auslassung des Wortes
bei Lexer nur auf einem Übersehen beruht, geht daraus hervor,
daß Josef Wagner in seinen Beiträgen zu einem kärtnerischen
Idiotikon (Das Herzogtum Kärnten, Klagenfurt 1874, Beilage C,
S. 207) ausdrücklich «Kees — Gletschereis» verzeichnet, leider
ohne sich über das Geschlecht zu äußern.
Schon B. H acqu et (Mineralogisch * Botanische Lustreise,
Wien 1783, S. 62) sagt von den Gletschern: «Der Kärntner und
Salzburger nennt sie Kees» — «hier» (in der Kleinen Fleiß)
«kam ich das erstemal auf die kärntnerischen». Eine Angabe
oder Ersichtlichmachung des Geschlechtes fehlt jedoch leider
auch hier. Dagegen berichtet J. A. Schuhes (Reise auf den
Glockner,
II,
Wien 1804, S. 193) «von dem Steingeröll» am
Leiterkees: «Das Kees», sagten die Bauern, «hat es ausgewor*
fen». Auch A. Schaubach (Deutsche Alpen
V,
Jena 1847,
S. 58) hörte bei seiner Glocknerbesteigung im Jahre 1826 die
Heiligenbluter Führer vom Leiterkeese sagen: «So zerklüftet
sei das Kees noch nicht gewesen.»
Es wird genügen, diesen älteren Zeugnissen über das säch*
liehe Geschlecht des Wortes Kees auch im Kärntner Dialekt —
bezüglich der Salzburger und Tiroler Dialekte steht es wohl
nicht in Zweifel—aus der jüngeren Literatur die Berufung auf
einige gebürtige Kärntner hinzuzufügen, die jenes Wort gleich*
falls nur als Neutrum kennen und gebrauchen; als dasind:
L.Leon (Carinthia 1857,S. 186),W.Urschitz(Carinthia, 1862,
S. 201), A. Egger v. Möllwald (Jahrbuch des österreichi*
sehen Alpenvereins, 1865, S. 38, 51, 57), F. Franzisci, Kurat
in Heiligenblut und St. Veit (Jahrbuch des österreichischen
Alpenvereins, 1867, S. 60, 62), C. Gussenbauer (Zeitschrift
des Deutschen Alpenvereins, 1870, S. 150; 1871, S. 140,141,142),
R. Waitzer (Alpenfreund, 1877, S. 214), Oberbergrat F. See*
land (Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins, 1880, S. 208; 1887,
S. 98), H. Findenig (Neue Deutsche Alpen*Zeitung, 1880,
S. 101), Frido Kordon (Zeitschrift des D.u. ö. Alpenvereins,
1895, S. 211-258; Mitt. des D. u. 0. Alpenvereins, 1899, S.
130, 131) etc. Einige dieser Zitate beziehen sich gerade auf die
drei von H. Anger er als männlich hingestellten Keese der
Ankogelgruppe, und auch in dem vom Gau Gmünd der
Sektion Klagenfurt des D. u. ö. Alpenvereins im Jahre 1893
herausgegebenen Führer «Gmünd in Kärnten und Umgebung»
heißt es (S. 13,108,112,126)ausschließlich das Großelendkees,
das Kleinelendkees, das Hochalmkees.
Allerdings berichtet der durch die Teilnahme an den ersten
Glocknerexpeditionen bekannte Generalvikar Graf Siegmund
v. Hohenwart in den gemeinsam mit J. Reiner herausgege*
benen «Botanischen Reisen nach einigen Oberkärntnerischen
und benachbarten Alpen», Klagenfurt 1792, S. 37, daß die
Gletscher «hierlands Käseboden oder glatthin Käse genannt»
werden, und schreibt weiterhin S. 55 «der Käse am Glöckner»,
«der Käse der Goldzech», wobei jedoch wohl ein Zusammen«
hang zwischen Artikel und Schreibweise obwalten dürfte. F.
M. Vierthaler sagt in seiner Geographie von Salzburg, Salz*
bürg 1796, S. 89: «Karawanen von Weberknappen reisen über
den Habacher Kees», welche Stelle aber aus der Beschreibung
des Oberpinzgaus von F. A. Reisigl, Salzburg 1786, S. 57,
entlehnt ist, wo ganz richtig der sächliche Artikel gebraucht
ist. Kees als Maskulinum kommt ferner bei Ch. Kef er stein
(Teutschland
I,
Weimar 1821, S. 302) vor: «Der Pasterzer Kees
gehört zu den größten Gletschern in der ganzen Alpenkette.»
So wie der Name hier (und auch S. 308, 444) mißverständlich
wiedergegeben ist, denn nicht Pasterzer Kees sondern Pasterzen*
Kees heißt der Gletscher, so auch offenbar der Artikel.
I.
v.
Kürsinger (Der Groß venediger, Innsbruck 1843, S. 28) schreibt
«der Jaidbach Kees», aber noch auf derselben Seite richtig «das
JaidbachKees». Solche Inkonsequenz findet sich auchindessel*
ben Verfassers Werke Ober*Pinzgau, Salzburg 1841, S. 101:
«der Habacher Kees» und sieben Zeilen weiter «dieses Kees»
sowie S. 102 vollständig richtig «das Habach Kees».
Wenn irgendwo, so gilt hier das Sprichwort: Die Ausnahme
bestätigt die Regel. Jemand, der reines Deutsch zu sprechen
gewohnt ist, wird gewiß nicht von selbst darauf verfallen, das
Kees zu sagen oder zu schreiben; tut er es, so hat er es gewiß
von den Einheimischen so gehört. Dagegen liegt es ziemlich
nahe, an eine — allerdings nichts weniger als zutreffende —
Verwandtschaft dieses Worts mit Käse zu denken und deshalb
auch hier den männlichen Artikel zu gebrauchen. Daß in der
ganzen Literatur mit so wenigen Ausnahmen das Kees ge*
schrieben wird, ist unter solchen Umständen der deutlichste
Beweis dafür, daß diese Form die richtige ist.
Ich selbst habe auf meinen zahlreichen Wanderungen und
Bergfahrten im Bereiche der «Keese» — auch in Kärnten und
insbesondere im Ankogel*Hochalmspitz*Gebiete — von Füh«
rern, Jägern, Sennern, Haltern usw. nie anders als das Kees
sagen hören. «.
|
---|