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Mitteilungen
des Deutschen und
österreichischen Alpenvereins.
Nr. 18.
Die Alpenvereinsbücherei.
Von Dr. A. Dreyer in München.
Die «Isarlust» in München, das stattliche Heim des Alpinen
Museums, beherbergtauch noch eine andere (ältere) Schöpfung
des D. u. ö. Alpenvereins: die Alpenvereinsbücherei
oder — wie sie noch bis vor kurzem hieß — die Zentralbiblio*
thek des D. u. ö. Alpenvereins. Auf volle 10 Jahre ihres
Bestehens kann sie nunmehr zurückblicken; denn am 1. Ok*
tober 1902 wurde sie der allgemeinen Benützung übergeben.
Unser Museum und unsere Vereinsbücherei haben ver*
schiedene Aufgaben zu erfüllen. Das Museum soll den alpinen
Gedanken einerseits bei den Alpenfreunden befestigen und
vertiefen, andererseits ihn in weite Kreise hinaustragen und
sowohl den Vereinsangehörigen wie den Fernerstehenden
ein deutliches Bild von dem Werden und Wachsen des Alpi*
nismus und seines hervorragendsten Pioniers, unseres D. u.
ö. Alpenvereins, entrollen. Die Bücherei dagegen stellt sich
nicht auf den lauten Markt der Öffentlichkeit; sie dient in
stiller Zurückgezogenheit bestimmten Interessen und Inter*
essenten; doch ist ihr Wirken nicht minder segensreich.
Als die Teilnehmer an der Generalversammlung zu Meran
1901 durch die freudige Kunde überrascht wurden, der For*
schungsreisendeHerrW.R.Rickmershabe seine ganze alpine
Bücherei unserem D. u. ö. Alpenverein als Grundstock zur
Gründung einer alpinen «Zentralbibliothek» überwiesen, da
drängte sich zunächst die Frage auf: Präsenz« oder Ausleih»
bibliothek? Sollen die von dem hochherzigen Spender ange*
sammelten Bücherschätze, die freilich, namentlich in bezug
auf die Zeitschriften, ganz erhebliche Lücken aufwiesen (im
ganzen waren es 5000 Bände), mit den Neuerwerbungen nach
Art der Museumsgegenstände ein Noli me tangere bilden oder
unseren Mitgliedern zugänglich gemacht werden?
Der damalige Zentralausschuß Innsbruck entschied sich
ohne Zaudern für die Ausleihbibliothek und schrieb zugleich
die Richtlinien für deren Ausgestaltung vor.
Ein Privatliebhaber verfährt bei Anlage seiner Bücherei,
wie ja begreiflich erscheint, nicht nach strengen Grundsätzen,
sondern nach wechselnden persönlichen Neigungen; daher
stellte sich der Kern der Alpenvereinsbücherei nicht als ge*
schlossene Einheit dar. Allerdings befanden sich darunter
nicht wenige alpine Seltenheiten; doch erfreuten sich die
Westalpen hier wiederum einer augenscheinlichen Bevor*
zugung gegenüber den Ostalpen. Auch alpin*wissenschaftliche
und — belletristische Werke waren dabei vertreten.
Die Ordnung und Vervollständigung der neuen Zentral*
bibliothek vollzog sich keineswegs so glatt wie die Einrichtung
unseres Museums. Löblicher Übereifer hatte deren Eröff*
nung für den Ausleihverkehr beantragt und durchgesetzt,
noch ehe die Bestände katalogisiert oder auch nur einiger*
maßen übersichtlich geordnet waren. Der Stadtmagistrat Mün*
chen stellte ihr im Sparkassengebäude fünf Mansardenräume
zur Verfügung, wovon einer als Lesezimmer benützt wurde.
Die Leitung der Bücherei lag zunächst in den Händen
des Begründers selbst, der für deren Vermehrung (aus
Mitteln des D. u. ö. Alpenvereins) redlich sorgte und damals
auch außer Büchern eine Reihe wertvoller Kupferstiche (Dar*
Stellungen alpiner Landschaften) und älterer Alpenkarten an*
kaufte. Am 1. April 1904 wurde die Bibliotheksleitung einem
wissenschaftlich gebildeten Bibliothekar—dem Verfasser dieser
Skizze — übertragen. Die ungebundenen Bücher wanderten
zum Buchbinder (im Jahre 1904 über 4000), und man begann
mit der Anlage von Zettelkatalogen für die Bücher, Karten, Bil*
der und Panoramen (je eines alphabetischen und eines Sachre*
gisters). Zu Ende des Jahres 1904 wurde das seinerzeitige wissen*
schaftliche Archiv in Wien aufgelöst und dessen Bestand der
Zentralbibliothek einverleibt. Ein im Juli 1906 erschienenes,
bibliographisch genaues Bücherverzeichnis (mit Titel* und
Sachregister) ermöglichte zum ersten Male einen Überblick
über die vorhandenen Bücher, Broschüren und Zeitschriften*
bände und gab auch Aufschlüsse über die nötigen Ergänzun*
gen. Nun wurden auch die sämtlichen Bestände in sachge*
mäßer Weise aufgestellt und signiert und diese Aufstellung,
bei der für Karten, Panoramen und Bilder das gleiche Schema
maßgebend war wie für die Bücher, hat sich als ganz praktisch
bewährt und wurde daher bis heute beibehalten. Auch
während der schwierigen Organisationsarbeiten wurde der
Ausleihverkehr aufrecht erhalten.
Eine im Jahre 1904 aus Dubletten und Geschenken be*
gründete Handbibliothek, die namentlich den Benutzern des
Lesesaals schätzbare Dienste leistet, wuchs bis jetzt auf fast 1200
Bände an. Ein alpin »handschriftliches Archiv besitzt zwar
verschiedene Briefe namhafter Alpinisten (Grohmann, Wei*
lenmann, Tuckett, Conway, Coolidge, Dent, Mummery usw.),
desgleichen den ganzen Nachlaß von Ed. Richter, sowie
seit kurzem auch den Nachlaß von L. Purtscheller und
Jos. Enzensperger, ferner eine stattliche Zahl von Gipfel*,
Führer* und Fremdenbüchern. Alles in allem weist das Archiv
über 1700 Nummern auf. Handschriftliche Dokumente aus
der Frühzeit des Alpinismus und zum großen Teil auch aus
der ersten Periode unseres Vereins fehlen jedoch leider ganz.
Besitzer von solchen wertvollen Archivalien sollten diese
doch uns überweisen, und das Interesse der Allgemeinheit
gebietet, daß auch einzelne Sektionen diese Schatze nicht in
ihren Büchereien vergraben, wo sie niemand vermutet. Darum
heraus damit! In unserem Archiv sind sie doch allen Mit*
gliedern erreichbar. Das Eigentumsrecht darauf kann ja
vorbehalten werden. Manches Versprechen, das in dieser
Hinsicht gegeben wurde, blieb trotz wiederholter dringender
Mahnungen seitens der Bibliotheksleitung bis heute unein*
gelöst. Auch von den Fremden*, Führer* und Gipfelbüchern
scheint man sich des öfteren nur ungern trennen zu wollen.
Welches Los ihrer wartet, wenn sie nicht zur rechten Zeit in
schützende Obhut gebracht werden, bedarf hier keiner weiteren
Erörterung.
Seit der Eröffnung des Alpinen Museums kommen die
Kostbarkeiten der Bibliothek, nicht allein Archivalien, sondern
auch seltene Bücher, Karten, Panoramen und Bilder erst recht
zur Geltung. Der Alpenvereinsbücherei wurden ja in der «Isar*
lust» eigene Räume geschaffen, die sie am 21. Dezember 1909
bezog.
Die Frequenz der Bücherei hat sich seit ihrem Bestehen
verdreifacht; die Zahl der Bücher ist allein auf das Fünffache
des ursprünglichen Bestandes gestiegen, und heute umfaßt
unsere alpine Fachbibliothek rund 43.000 Nummern. Die
fehlenden älteren Werke, namentlich jene der Ostalpen, wer*
den nach Möglichkeit ergänzt. Die Literatur über die Er*
Schließungsgeschichte der Ostalpen dürfte kaum in einer
zweiten Bibliothek so reichhaltig vertreten sein und dennoch
gibt es hier noch eine Reihe von Werken (ältere Führer,
Broschüren) und Zeitungsaufsätzen, die auf dem Antiquariats*
wege entweder gar nicht, oder nur mit hohen Kosten zu er*
langen sind. Mit verschwindend geringen Ausnahmen haben
diejenigen Sektionen, die derartige Bücher besaßen, sie uns
auf Ansuchen bereitwilligst zugewiesen. Dieses rühmliche
Beispiel sollte — mehr noch wie bisher — auch einzelne Mit*
glieder zur Nachahmung aneifern.
Mit herzlicher Freude sei jedoch anerkannt, daß das stets
wachsende Interesse an unserer Bücherei sich auch durch
zahlreiche Geschenke bekundet. Die Namen der Spender
wurden jeweils in den «Mitteilungen» veröffentlicht. Unter
ihnen befanden sich auch staatliche Behörden, deren Wohl*
wollen lebhaft zu begrüßen ist, Sektionen des D. u. ö. Alpen*
Vereins, Verkehrsverbände, wissenschaftliche Vereinigungen
und außerdeutsche alpine und turistische Vereine.
Eine stattliche Reihe von Büchern etc. wies uns besonders
Herr H. Steinitzer aus seiner Bibliothek zu, dessen ver*
dienstvoller und eifriger Mitarbeit bei den Ergänzungsarbeiten
wie bei der Anlage eines -Schlagwortverzeichnisses hier be*
sonders dankbar gedacht werden muß.
Die Herausgeber alpiner und turistischer Zeitschriften
wenden diese unentgeltlich unserer Bücherei zu. Mit fast
170 Vereinen stehen wir im Tauschverkehr und erhalten auf
diese Weise ihre Veröffentlichungen unentgeltlich. Selbst der
Japanische Alpenverein ist mit seinem Organ «San Gaku» bei
uns vertreten.
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