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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.38 (1912)
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Mitteilungen des Deutschen und österreichischen Alpenvereins.

Nr. 24.

eine ähnliche Einseitigkeit, wie sie von ihm an St ei*
nitzer in der Behandlung des Sportproblems ge*
rügt wird. Es sind auch würdig verlaufende Schnee?
schuhsWettbewerbe in den Alpen denkbar, beson*
ders, wenn man von dem Schnelligkeitsbewerbe allein
absieht und den Wettbewerb in den Dienst höher
stehender Merkmale des Schilaufs, wie Schönheit,
Geschicklichkeit und Sicherheit, oder des alpinen
Laufs, der Orientierungsgabe, des selbständigen
Handelns etc. stellt. Es haben in den Alpen schon
Wettbewerbe ähnlicher Art stattgefunden, und es
ist klar, daß man gerade diese bei der Beurteilung
der ganzen Frage vom alpinen Standpunkte aus
nicht außeracht lassen darf.

Es bliebe noch der letzte, unbesprochen geblie*
bene Einwand, den Dr. Lamm er gegen den Wett*
bewerb in den Bergen aufstellt, in Erörterung zu
ziehen, nämlich der Umstand, daß in den Bergen
ein gerechtes Kräftemessen nicht möglich sei. Wie
stellt sich die Sache beim alpinen Abfahrtslauf?
Lamm er führt den Beweis für seine Behauptung
in folgenden Sätzen aus: . . . nie und nimmer
duldet jene Natur ein gerechtes Kräftemessen. Der
Zweite hat wesentlich andere Bedingungen als der
Erste, der die Spur fährt; jener läuft gleichsam mit
»Führung' . . . Wenn aber der Zweite etwa zehn
Meter weiter links von der Spur des Ersten läuft,
so sind die Bedingungen nun erst recht völlig andere
und die Gesamtleistung unvergleichbar geworden."

In Wirklichkeit stellt sich die Sache anders als in
der Theorie, und der praktische Schneeschuhläufer
kann sich leicht überzeugen, daß alle diese Umstände
eher im leichten Gelände der Vorberge von grö*
ßerem Einflüsse sind und sich im alpinen Terrain,
soweit es für Schirennen in Betracht kommt, ver*
ringern, da durch die Steilheit und Schwierigkeit
des Terrains das Moment der Geschicklichkeit und
des wirklichen Könnens viel mehr in die Wagschale
fällt. Bei der Schnelligkeit der Bewegung wäre
das Einhalten einer Spur unmöglich. Die Vers
schiedenheit nun, die durch Terrain oder Schnee*
beschaffenheit den einzelnen, nicht genau die
gleiche Spur einhaltenden Fahrern unterkommen,
sind doch verschwindend kleine gegenüber den aus*
schlaggebenden Faktoren der Geschicklichkeit und
des Könnens. Selbstverständlich lassen sich ideal
gleiche Verhältnisse bei keinem Wettkampfe er*
reichen, aber man wird darum auf den praktischen
Nutzen des Wettbewerbes nicht ganz verzichten.
Beim alpinen Abfahrtsrennen sind diese Unter*
schiede zu gering, um ihretwegen den Wettkampf
als unstatthaft zu bezeichnen, vor allem, wenn
neben der Schnelligkeit auch andere, wesentliche
Momente bewertet werden. Soweit die Berge als
Schneeschuhterrain zu bezeichnen sind, läßt ihre
Natur das gerechte Kräftemessen noch zu. Es ob*
liegt uns also zwar vom allgemeinen, nicht nur vom
alpinen Standpunkte aus die Kritik über die Art
und Weise der Ausführung von Schneeschuh*Wetts
rennen, nicht aber die Verurteilung dieser selbst.

Eine Grenze ergäbe sich, wenn Schneeschuhver*
eine versuchen würden, jenen Teil des Hochgebirgs

als Schauplatz des Wettbewerbes zu wählen, der
ausschließlich Domäne des erfahrenen Alpinisten
bleiben muß, und der schon durch objektive
Gefahren, wie Lawinen, Gletscherspalten etc. ein
gerechtes Kräftemessen ausschließen würde. Aber
gerade das natürliche Bestreben, für Wettläufe
wenigstens annähernd gleiche äußere Umstände zu
schaffen, den Wettbewerb möglichst „fair" zu ge*
stalten, hat die Schneeschuhvereine bewogen, jene ty*
pischen „Schiberge" zu wählen, die als „Grasmugeln"
den Charakter des eigentlichen Hochgebirgs und
seine Gefahren nicht aufweisen. Es dürfte noch in
Erinnerung sein, welche entschiedene Abwehrund
zwar nicht nur von alpiner, sondern auch schi*
sportlicher Seite — der vor Jahren proponierte
Plan erfuhr, den Montblanc als Schauplatz eines
Schiwettrennens zu wählen. Es darf nicht vergessen
werden, daß durch die vielen engen Berührungs*
punkte, wie Turenfahrten etc., das Wesen des
Schneeschuhfahrens in unseren Alpenländern von
viel reinerem alpinen Geiste durchtränkt ist, so daß
wir in dieser Beziehung auch der Zukunft unbesorgt
entgegenblicken können und insbesonders das
Übergreifen des Schneeschuh «Wettrennens auf
reines „Bergwettrennen" nicht zu befürchten ist.

Aber es ist Dr. Lamm er wohl selbst nicht so
sehr um diese Gründe, als vielmehr darum zu tun,
daß er im Sinne Steinitzers das Wettrennen als
solches überhaupt verwirft und in der hehren Berg*
weit den Wettrennsport und dessen kulturschäd*
liehen Einfluß gänzlich ausgeschaltet wissen will. Es
ist der Ausfluß einer ideal hohen Gesinnung und
einer beneidenswerten Reinheit der Bergesliebe, die
ihm die Worte in den Mund legt: „ Der spielende
Mensch bleibt Herr und König der Dinge, ein inner*
lieh Freier, Harmonischer; der satzungsgemäße
Renner dagegen wird bald ein Sklave der Dinge,
abhängig von fremden Gesetzen, vom Urteil der
Zuschauer, von seiner fressenden Ehrsucht. Auch
wir Bergsteiger wollen spielende Freie bleiben, nicht
harmonielose Knechte !"-

Wir kommen zum Schlüsse. Wir haben das We?
sen des Alpinismus als auf der Liebe zu den Bergen
beruhend erkannt; die sportliche Ausführung, der
Wettkampf in seinen spezifischen Betätigungsarten,
der Fels* und Eistechnik, ist ein Unding, und zu?
gleich entfernt sich jede sportliche Form vom We*
sen des Alpinismus. Besonders das Moment der
Schnelligkeit, das dem Wettrennsport zugrunde
liegt, ist für den Alpinismus ohne Belang.

Anderenteils haben wir im Schneeschuh ein Gerät
kennen gelernt, das entgegengesetzt dem Pickel,
Steigeisen, Kletterschuh etc., auch außerhalb der Berge
in einer eigenartigen, selbständigen Betätigungsart
von großem Formenreichtum und großer Schönheit,
dem Schilauf, voll zur Geltung kommt. Was den
Schneeschuhlauf als solchen anbelangt, so gilt für den
Wettbewerb dasselbe wie für verwandte körperliche
Betätigungsformen. Für die Ausübung des Wett*
kampfes ist die Art und Weise der Ausführung
maßgebend; das Terrain, ob subalpines oder als