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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.41 (1915)
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Nr. 19 u. 20.

Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.

195

Der Krieg nnd das Alpine Mnsenm.

Von Landgerichtsrat a. T. C. Müller, Leiter des Alpinen Museums.

Jahrzehnt um Jahrzehnt haben der Deutsche und
österreichische Alpenverein und andere alpine Vereini¬
gungen in eifrigem Wettbewerb die Alpen den fried¬
lichen Wanderern erschlossen, sie haben sichere Wege und
Steige gebaut, feste Hütten als trauliches Obdach er¬
richtet und so alljährlich Hunderttausenden den höchsten
Naturgenuß, den Menschenherz empfinden kann, bereitet!

Und nun! Das fchimmernde Eis der Gletscher vomVlut
heldenmütiger Vaterlandsverteidiger gerötet, die kühnsten
Dolomitentürme aus Maschinengewehren Tod und Ver¬
derben speiend, manche liebe Hütte in Schutt und Asche!

Jedes Herz krampst sich in Wut und Empörung bei
diesen schrecklichen Bildern zusammen. Die entsehte
Phantasie findet nur Halt an dem herrlichen Todesmut
aller derer, die nun Tag für Tag, Nacht für Nacht ihr
Leben einsehen, nicht bloß für des Vaterlandes Schutz
gegen welschen Verrat und Tücke, sondern auch für die
Verteidigung des Liebsten; was ihnen die Erde bietet,
für unsere Alpen.

' Ans allen, die wir diese große heilige Not erlebten,
wird sie unauslöschlich im Gedächtnis bleiben. Die Er¬
innerung daran soll aber auch auf unsere Kinder und
Kindeskinder kommen, auf daß ihnen die Verge, die mit
dem Vlut ihrer Väter getränkt wurden, ein wahres
Heiligtum werden. Unser Verein hat in dem Alpinen
Museum ein. Werk geschaffen, das der Schönheit der
Alpen gewidmet ist und Zeugnis ablegt von der Liebe
und Mühe, mit der an ihrer Erschließung gearbeitet
worden ist. In ihm ist auch die Stätte gegeben, in der
die Andenken an die jetzige Zeit gesammelt werden kön¬
nen und die Eigenart dieses Krieges veranschaulicht
werden soll. Dürfen wir doch mit Stolz feststellen, daß
die Erfolge unserer Alpentruppen aufs engste verknüpft
find mit dem mühseligen Ningen längst dahingegangener
Männer, mit den stetigen Fortschritten der bergsteigeri¬
schen Leistungen und mit der umfassenden Tätigkeit
unseres Vereins. Die kriegsgeschichtliche Abteilung des
Alpinen Museums soll also vor allem die Eigenart der
Kämpfe in den Alpen, die durch den hohen Stand der
Vergsteigerei eine wesentliche Unterstützung gefunden
haben, zur Darstellung bringen. Lichtbilder, Zeichnungen,
Reliefs und Modelle werden die Besonderheiten der
kriegerischen Tätigkeit veranschaulichen: die ungeheuren
Schwierigkeiten der Kriegführung, die gefährliche, ver¬
wegene Ausnutzung einzelner Plätze, die Verschieden¬
artigkeit der Verteidigung, die Bedeutung einzelner
Stellungen im strategischen Gesamtbild usw. Jeder
Gipfel, jeder schwer ersteigliche Paß soll gekennzeichnet
werden; wird es doch von besonderem Interesse fein, zu
sehen, wie weit die hochalpine Negion in den Kampf¬
bereich einbezogen wurde, wie Gipfel, deren Bezwingung
dem friedlichen Turisten namhafte Schwierigkeiten be¬
reitet, nun von bewaffneter, schwerbeladener Mann¬
schaft besetzt wurden, Veobachtungsposten und Fern-
sprechstellen auf kühnen Felstürmen unter den größten
Gefahren errichtet wurden, mit einem Wort: Welch un¬
glaublich große alpine Leistungen unsere Truppen

ausführten. Die wenigsten von uns haben eine Vor¬
stellung davon, mit welch raffinierter Geschicklichkeit
sich die Krieger in solchen Stellungen gegen die Schnee¬
stürme und die Kälte der Nächte zu schützen suchen, wie
alle Errungenschaften der Technik aufgeboten werden,
sie zu dauerhaften, Sturm und Wetter trotzenden
Unterständen auszubauen, um des kommenden Winters
Not zu trotzen; wie außerordentlich mühselig sich der
Nachschub der Verpflegung und Munition, wie gefähr»
lich sich die Ablösung der Mannschaften gestaltet usw.

Eine besondere Darstellung wird zeigen, inwieweit
diese Leistungen durch die Vorarbeiten der alpinen Ver¬
eine gefördert wurden und die Hütten, Weganlagen
und Wasserleitungen der kriegerischen Tätigkeit zum
Vorteil gereichten. Die Erinnerung an alle die Hütten
unseres Vereins, die dem Krieg zum Opfer fielen, fei es
durch zwecklose Bosheit des Feindes, wie die Ortler-
Hochjoch-Hütte, oder wie andere durch eigene Ma߬
nahmen aus strategischen Gründen, soll durch Abbildun¬
gen oder Modelle festgehalten werden. Die ganze alpine
Kriegszone mit allen wichtigen Einzelheiten, den Verlauf
des Feldzuges, dessen Ausdehnung sich heute noch unserer
Voraus ficht entzieht, soll eine Übersichtskarte zeigen.
, Wie aber einerseits die alpinen Leistungen unserer
Krieger durch die Fortschritte der Vergtechnik gefördert
wurden, wie insbesondere die moderne Vergsteigeraus-
rüstung mit ihren Erleichterungen im Gewicht, in zweck¬
mäßiger Verproviantierung usw. ihnen zu Hilfe kam,
so werden sich andererseits auch Beispiele ergeben, wel¬
cher Crfindungsgeist sich in unseren Soldaten betätigte
und wie sie manche treffliche Neuheit in der Ausrüstung,
im Schutz vor alpinen Gefahren, in der Herstellung von
alpinen Hilfsmitteln, Tragbahren u. dgl. ersannen, die
uns in späteren Zeiten zu Nutzen kommen können.
Sicher werden von kühnen Steigern noch neue Anstiegs¬
möglichkeiten gefunden, neue Wege gebahnt werden und
mancher Unterstand, der nur zu kriegerischen Zwecken
geschaffen wurde, wird noch jahrelang bei eintretendem
Unwetter zu Veiwachtzwecken nützlich sein oder vielleicht
auch als dauernde Schutzhüte erhalten werden können.

Neben dem Cispickel und Bergstock ist aber auch der
Schi mit einem Schlag zu ungeahnter militärischer Be¬
deutung gelangt. Es würde zu weit führen, hierauf im
einzelnen einzugehen, wenn auch Vielen noch unbekannt
ist, von welch großem Nutzen in den Karpathen wie in
den Vogesen die Schibataillone sowohl in der „Klein¬
arbeit" des Patrouillen» und Nachrichtendienstes, wie
auch in der gefechtmäßigen Verwendung in Truppenver¬
bänden gewesen find und vielleicht noch sein werden —
Erfolge, die der Organisationstätigkeit von begeisterten
auch zivilen Schneeläufern und der sportlichen und mili¬
tärischen Tüchtigkeit aller auf den Bretteln Kämpfenden
zuzuschreiben sind. Was sie dabei zu leisten haben, mag
aus der Tatsache entnommen werden, daß der Schnee-
schuhsoldat in feldmähiger Ausrüstung über 50 Kilo Ge-
wicht zu schleppen hat. Die eigenartige Kleidung, die
in wenigen Augenblicken aus dem Feldgrau in schneeiges