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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.41 (1915)
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Nr. 17 u. 18.

Mitteilungen des Deutfchen und Osterreichischen Alpenvereins.

183

auf, er springt von Stein zu Stein, er bleibt mit einem
leisen, kaum hörbaren Aufschlag in grauenhafter Tiefe liegen.

„Welche Mutter etwa um den weinen wird?" Der Kadett
ist ganz dicht an den Iugskommandanten herangetreten.

„Mir gleichgültig!" erwidert dieser. „Wenn ich falle, weint
eine alte Mutter, weint ein braves Weib, weinen vier kleine
Kinder um mich. Wir haben den Krieg nickt angefangen.
Sein Gewehr nehmen wir mit. Vorwärts!"

Sie überfchreiten weichen Almboden und treten von ihm
auf ein Geröllfeld hinaus. Nasch durchqueren sie das Feld.
Dem Bürger will es scheinen, als bräche der Morgen bald an.
Richtig — das Schneehuhn meldet sich schon. Leise klingt
sein Knarren durch die Nacht.

„Den Latschenhang müssen wir erreichen, bevor es Tag
wird, sonst sind wir verloren!"

Sie laufen. Grau dämmert der Morgen. Die Berg-
spitzen umspiell ein fahles Licht!

Da — ein fcharfer, wilder, schier ohrenbetäubender Knall.-
Keine 1000 Meter vor ihnen hat er sich losgelöst, er ist aus
einer Mulde hervorgekommen.

Sie haben ihn, sie wissen nun, wo er steht, der Teufel, der
ihnen schon fo manche Sorge bereitet hat.

Die Vögel sind wach geworden. Der Vrandvogel meldet
sich, der Zaunkönig, die Singdrossel und auch der Fink. Es
ist ein wundervolles Singen in den Latschen und auf den
Grasbändern.

Nun haben sie das Geröllfeld durchlaufen und brechen in
die Latschen ein. Cin hartes Stück Arbeit liegt vor ihnen.
Auf dem Bauche liegend, müssen sie, Schlangen gleich, durch
das fast undurchdringliche Dickicht des Krummholzes kriechen,
denn der Bergrücken, auf den der Latschenhang mündet, ver»
fpricht ihnen freie Aussicht, sicheren Einblick in die feindliche
Stellung.

Da — wieder ein ohrenbetäubender Knall, der Boden
unter ihren Füßen scheint zu zittern, heulend fährt ein
schweres Geschoß über sie hinweg; es hebt sich hoch ins
Ätherblau und durchläuft in wemgen Sekunden in weitem
Bogen einen Weg, zu dem sie in gerader Linie eine ganze
lange Nacht gebraucht hatten. Hart bricht sich das Ccho an
den Felswänden und dumpf dringt der Aufschlag des kre»
pierenden Geschosses an ihr Ohr.

„Jesus, Maria," denkt der Koch, „wenn's nur mein Sinter»
stand, mei' Kuchl nit erwischt hat!"

Der Berg über ihnen fängt zu glühen an. Cin leises Rot
huscht über seine Felszinnen und senkt sich langsam nieder
auf seine Brust. Cr scheint sich zu schämen, der Berg, über
das Land, über das Volk, dem er angehört. Wortbrüchige,
Verräter, Meuchelmörder haben gesprochen, feige Hunde, die
gewartet haben, bis der Verbündete von allen Seiten an»
gegriffen war, um ihm einen Dolchstoß in den Rücken zu
versetzen und fo auf den Boden zu werfen. Aber es wird

Euch nicht glücken das unlautere Spiel, denn Österreich ist
stark, so stark, daß es an der Seite seiner glorreichen Ver»
bündcten den Kampf mit der ganzen Welt aufzunehmen ver»
mag. Noch stehen sie aufrecht, seine Heldenföhne, und niemals
werden sie es dulden, daß Ihr die Alpen, jene gewaltigen
Zeugen deutsch-österreichischer Treue, überschreitet.

Eine Steinlawine löst sich in den Verghängen los, springt
polternd durch die Felsen über die Grasbänder auf ein
Schneefeld herab, das sich, vom ersten Sonnenhauch geküßt,
wie ein goldenes Schild vor we Brust des mächtigen Berges
gelegt hat.

„Vorwärts, nur vorwärts!" gebietet der Führer der
Patrouille, „den hang müssen wir erreichen, wenn wir freien
Ausblick haben wollen!" -

Und sie erreichen den hang, langsam, in Schweiß gebadet,
mit blutenden Gesichtern und Händen, sie erreichen ihn, die
Tapferen, und lassen nun ihre Blicke mit wahrer Wollust
über das Tal hinausschweifen, das sich vor ihnen ausbreitet.

„Da steht er ja, ganz deutlich kann ich ihn sehen!"

Der Iugskommandant wendet sich mit diesen Worten an
den Kadetten.

Ja, Du hast recht!"
Cin Feuerbtttz,

ein fürchterlicher Knall nimmt ihnen jeden
Zweifel.

„Nun rasch an die Arbeit!" Sie prüfen und messen, sie
vergleichen, bis sie alles haargenau festgestellt haben.

„Cr wird bald nimmer sprechen! — Deckt Euch!"

Unten in der Senkung tauchen italienifche Soldaten auf.
Sie steigen den hang herauf und ziehen kaum hundert
Meter - entfernt an ihnen vorüber. Ihre Schritte verklingen
und stille wird es wieder ringsum. Auck. der Mörser schwelgt.

Die Sonne steht schon hoch am hlmmel. Der Koch hat
sich in den Latschen verkrochen, ganz mit Unterholz zugedeckt;
er ist in größter Seelenruhe eingeschlafen. Jetzt fängt er gar
zu schnarchen an.

„Gib ihm einen Tritt, Korporal!" befiehlt der Kadett
mit leiser Stimme.

„Au weh!" kommt es aus dem Unterholz hervor, „Herr
Hauptmann, bitt' gehorsamst, die Wurst Hab' nit i g'stohl'n!"
Cr hat vom Stehlen geträumt.

Die Sonne sinkt, immer näher rückt sie den hohen Fels¬
bergen, immer tiefer beugt sie sich zu ihnen herab, um letztlich
mit einem Ruck hinter einer wildaufstrebenden Felswand zu
verschwinden. Langsam verglüht das Abendrot und die Nacht
hebt sich aus den Tälern über die höhen.

Die mutigen Kundschafter erheben sich in den Latschen.
Wieder ziehen sie an feindlichen Stellungen vorüber; sie
fühlen keine Müdigkeit, sie spüren keinen Schlaf, der Ge»
danke, ihrem Vaterlande einen Dienst erweisen zu können,
läßt sie alles mit Leichtigkeit überwinden.

Sie kehren zurück in ihre Stellung und — eine Stunde
später — der welsche Mörser spricht nicht mehr.

Neiseverhältnisse in den österreichischen Alpenländern.

In Nr. 13/14, S. 137 ff. haben wir eine Übersicht der
Reisebeschränkungen in den österreichischen Alpenländern ge»
geben, wie sie die bestehenden Vorschriften damals gestaltet
hatten. Nunmehr sind abermals Verordnungen erlassen wor»
den, die wieder neue Verhältnisse schaffen. Die wichtigsten
Änderungen gegenüber den bisherigen Verhältnissen bestehen
darin, daß seit Anfang September auch die Kronländer
Salzburg und Steiermark, alle restlichen
Teile Vorarlbergs und Tirols (soweit sie nicht
schon früher dazu gehörten) im erweiterten Kriegs»
gebiet liegen und für deren Vereisung daher die
besondere Ausweisleistung nötig wird, die
entweder durch einen Reisepaß oder (bei Hof-, Staats», Eisen»
bahnbeamten und deren Angehörigen) durch die üblichen amt»
lichen Ausweise zu erfolgen hat.

Der Einfachheit halber fassen wir nochmals zusammen:

I. Zum engeren südwestlichen Kriegsgebiet

gehören: Tirol (mit Ausnahme der Amtssprengel der

Bezirksgerichte Landeck und Ried i. T., sowie der politischen

Vezirksbehörden Reutte, Imst, Innsbruck, Schwaz, Kufstein
und Kihbühel), Kärnten, Krain, Istrien, Görz
undGradiska, Trieft.

II. Zum weiteren südwestlichen Kriegsge»
biet gehören:

Von Tirol die unter I als „ausgenommen" aufgezählten
Amtssprengcl von Landeck, Ried i. T., Reutte, Imst, Inns°
brück, Schwaz, Kufstein und Kihbühel, dann ganz Vor»
arlberg, Salzburg und Steiermark.

Das überfchreiten der Grenzen des enge»
ren Kriegsgebietes ist grundsätzlich der»
boten! Ausnahmsweise Bewilligungen erteilen ausschließ'
lich nur die zuständigen militärischen Kommandos!

Zivilpersonen, die die "Grenzen des engeren Kriegsgebietes
überschreiten wollen, müssen sich außer mit dem zu Reisen
in das engere Kriegsgebiet ausgestellten Reisepaß auck noch
mit einer solchen besonderen Bewilligung ausweisen. (Aus¬
genommen sind Staats», Hof- und Vahnbedienstete, die sich
im Besitze amtlicher Ausweise befinden.)