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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.41 (1915)
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Nr. 17 u. 18.

Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Atpenvereins.

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risch umgehen. Es ist bezeichnend, wenn man erfährt, daß, als
ihm im September 1867 sein knappes Offiziersgehalt in
fein damaliges Standquartier nach Pejo geschickt wurde, der
dortige Kurat „Mitleid mit ihm empfand und meinte, ihn
darüber trösten zu müssen".

Mit dem Führer Nicolussi bestieg Payer von Molveno
aus am 4. September 1864 die Vocca di Vrenta und gelangte
nach Pinzolo. Seine spätere warmherzige Schilderung dieses
romantischen Vergleiches führte diesem in der Folge zahl»
reiche Freunde zu. In Pinzolo dingte er zwei Bewohner des
Genovatales (Votteri und Caturani) als Führer und den
„baumstarken Almknecht" Vertholdi für seine vierzehntägigen
Fahrten im Adamellostocke.

Doch den sogenannten „Führern" fehlte es an allem: an
der nötigen Ausrüstung, an der Vergkenntnis und nicht zum
wenigsten an Mut und Ausdauer. Payer sorgte zunächst für
Bergstöcke; doch die Stelle des Seils mußten zusammenge»
knüpfte kleine Stücke vertreten, und zum Kauen der Cisstufen
hatte Votteri statt einer Axt „eine Art Iuckermesser" mit»
gebracht. Nach ^Mündiger Wanderung ward der nördliche
Vorgipfel des Dofson di Genova (3430 Meter) erreicht.

Mehr noch als hier trat das rücksichtslose Benehmen der
Führer am folgenden Tage hervor. Vor dem Gipfel des
Corno del Lago scuro verweigerten sie den Gehorsam und
vergnügten sich mit der Gemsjagd, während Payer die Tur
allein ausführte. Am 15. September bezwang er den jung»
fraulichen Corno bianco (von der Seite der heutigen Man»
dronhütte aus) und den bis dahin noch unerstiegenen Ada»
mello. „Wieder," sagt Payer, „ließen sich die Führer ziehen",
und am Fuße des Adamello lehnte Votteri jeden weiteren
Schritt ab.

Tags darauf glückte dem unerschrockenen Vergfreund die
Ersteigung der Presanella — trotz des furchtbaren Sturmes,
der seine Begleiter derart erschreckte, daß sie nur mit größter
Mühe zum Weitergehen zu bewegen waren. Wer Payers
anschauliche Hahrtenschilderunaen liest, kann sich nicht der»
hehlen, daß hier des öfteren Turist und Führer die Rollen
tauschten.

Von 1865 an wandte Payer sein Augenmerk auch der
Ortlergruppe zu. Am 24. August 1865 erklomm er die Sulden»
spitze, die ihm als Orientierungspunkt für feine kartographi»
schen Arbeiten diente. Drei Tage darauf stand er als der
erste Vesteiaer auf dem Scheitel oer Vertainspitze, und zwar
mit Hans Pinggera, der sich unter seiner Leitung zu emem
tüchtigen Führer ausbildete. Mit ihm bestieg er auch am
2. September die Hintere Schöntaufspitze und zwei Tage
darauf den Ortler und am 6. September den Scheitel der
Königsspitze, unbeirrt durch Nebel, Wind und Hagel. Für
den braven Pinggera, der „bei seiner schweren Arbeit eben»
soviel Sicherheit als Kühnheit" bewies, hat Payer nur Worte
hohen Lobes.

Tags darauf wurde der dreigivfelige Cevedale besucht.
Den mittleren (nordöstlichen) Gipfel hatte schon früher Mojsi»
sovics erreicht, einer der Väter des Österreichischen Alpen»
Vereins, der neben Tuckett als Bahnbrecher des Vrtlergebietes
erscheint. Mit seinem bewährten Pinggera bezwang Payer
den Nord» und Südwestgipfel (3762, beziehungsweise
3774 Meter).

Nach den Kriegswirren lockte ihn der Herbst 1866 aufs
neue in das Ortlerreich. Wiederum war meist Hans
Pinggera sein treuer Begleiter auf diefem mehr als drei»
wöchentlichen Croberungszuge, den die Crstersteigung der
3458 Meter hohen Tuckettspche am 12. September eröffnete.

Dann folgte am 20. September die Ersteigung der Schnee»
glocke und am 25. die Bezwingung der Madatschspitze, wobei
Payer, diesmal unter der Führung von Georg Thöni, neuer»
dings große Kaltblütigkeit an den Tag legte. Monte Vides
(Geisterspitze), Cristallospitze, Iebru, Hochleitenspitze und
Großer Eiskogel bedeuten weitere Ruhmesblätter für den
unerschrockenen Hochalpimsien Payer.

Auch auf seiner vierwöchentlichen Fahrt im Jahre 1867
errang er neue Vergsiege in der Ortlergruppe. Auf der von
ihm (am 1. September) erstmals erstiegenen Cima Lago lungo
„rayonnierre" und maß er nahezu vier Stunden lang, und auf
dem (am 4. September) bezwungenen Monte Vioz (3644 Me»
ter) weilte er fast zwei Stunden, obwohl Kälte und Sturm
den Aufenthalt daselbst unerträglich gestalteten. Hier wie bei

den Crstlingsfahrten auf den Pallon della Mare, den Pizzo
Taviela, die Punta Cadini und den Monte Salini entfaltete
sich Pinggeras bewunderungswürdiges Pfadfindertalent immer
mehr. Dasselbe hatte auch (21. September) bei der Tur auf
den Monte Giumella und die Punta San Matteo (3692 Me.
ter) den richtigen Weg auf dem Monte Trefero unter Um-
gehung der schauerlichen Cismassen" gewählt; allein Payers
Eigensinn duldete eine „Bevormundung" nicht. Bald hätte
ihnen diese Abenteuerlust das Leben gekostet. Durch einen
Sturz über eine schneeumhüllte Felswand verloren sie Berg»
stocke und Cisaxt. Dennoch vollführten sie noch am gleichen
Tage die Besteigung des Tresero, und drei Tage hernach
(ohne Bergstock und Seil) erklommen sie die Cima Venezia
und überschritten den Hochjochferner.

Visher hatte Payer feine alpinen Fahrten und Forschun»
gen aus eigenen (kargen) Mitteln bestritten; erst 1868 setzte
er seine Türen im Auftrage des österreichischen Kriegs»
Ministeriums fort. Zunächst zog es ihn abermals in die
Ortlerregion, wo er mit Pinggera am 8. und 9. August drei
bedeutende Crstlingsturen (Hohe Angelusspitze, 3536 Meter,
Schildspitze, 3468 Meter, und Iufrittspitze, 3435 Meter) aus»
führte.

Vom 19. August bis 17. Oktober verlegte er das Feld
seiner Tätigkeit wieder in die Adamellogruppe. Mit drei
Jägern bezwang er hier die Cima del Tamale (29. August)
und den Monte Stablel (1. September), den er tags darauf
noch einmal bestieg. Am 3. September erklomm er den Croz»
zon di Lares, Corno Cavento und Care Alto, letzteren als
Iweitersteiger.

Nur fünf Jahre währte feine alpine Laufbahn, und doch
war sie außerordentlich reich an wissenschaftlichen wie an
juristischen Erfolgen. Die Früchte seines Forscherfleißes
legte er in „Petermanns Mitteilungen" nieder. Seine Mono»
graphien über die Ortler» und Adamelloalpen nehmen nach
dem Urteil von Karl Schulz „in der deutfchen alpinen Litera»
tur einen hohen Rang" ein.

An seine wissenschaftliche Darstellung schließt sich die
plastische Schilderung seiner Fahrterlebnisse; sie ist besonders
wertvoll für die Geschichte des Alpinismus jener Tage. Von
unglaublich zäher Ausdauer, kannte er auf feinen Alpenreisen
keine Schonung für sich. „Rasttage," sagt er selbst, „deren
meine Gemsennatur nicht bedurfte, fielen ohnehin weg." Seine
rücksichtslose Energie trieb ihn hie und da zu einem gesähr»
liehen Spiel mit dem Leben. Als er den schon erwähnten ilber»
gang zum Tresero wagte, rief ihm Pinggera in Heller Cnt>
rüstung zu: „Sie sind ja dümmer als die Nacht."

Als genügsame Soldatennatur trug er Entbehrungen aller
Art mit Leichtigkeit. Häufig mutzte er oberhalb der Wald»
region im Freien übernachten, „wenig erheitert durch Regen
und Hagel". Trotz seiner zahlreichen Bergbesteigungen (in
der Ortlergruppe allein über 60) entzückte ihn doch immer
wieder der Ausblick von einem hohen Gipfel, und seine
Naturbilder sind von dichterischem Glanz umflossen, so die
Schilderung der Abendlandschaft von der Mandronhütte aus:
„Geisterhaft die Granitgerüste verklärend, quoll des Mondes
stiller Glanz hinter dem m schwarze Nacht gehüllten Mandron»
kämm hervor, ergoß sich über die Ciswüsten, versilberte die
weißen Vergeshäupter ___"

Vom Alpinisten ward er zum Nordpolfahrer. Wie das
zuging, erzählt er felbst in humorvoller Weise: „1868,
während der Aufnahme der Ortleralpen, drang ein Ieitungs»
blatt mit einer Nachricht von der deutschen Vorexpedition
Koldeweys bis zu meinem im Gebirge gelegenen Zelte. Ich
hielt den Hirten und Jägern, die meine Begleitung aus»
machten, abends beim Feuer einen Vortrag über den Nord»
pol."

Auf Petermanns Antrieb nahm er 1869/70 an der zweiten
deutschen Nordpolexpedition teil und drang an der Ostküste
Grönlands bis zum 77. Grad nördlicher Breite vor. Ein
Jahr später führte er mit dem Schisfsleutnant Weyprecht
die österreichische Polarexpedition, die das Meer zwischen
Spitzbergen und Nowaja Semlja erforschte.

Weitesten Kreisen aber wurde sein Name als Leiter der
österreichlsch'ungarischen Nordpolexpedition bekannt, die er
1876 in einem fesselnden, mit zahlreichen Abbildungen ver»
sehenen Buche beschrieb. Von Bremerhaven ging das Schiff
(der Tegetthoff"), das Weyprecht befehligte, am 13. Juni