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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.41 (1915)
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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.

Nr. 17 u. 18.

1872 in die See. Seine Begleitung bestand unter anderem
auch aus zwei Jägern aus dem Passeiertal, die ihm bei seinen
Vorstößen in die nordische Ciswüste gute Dienste leisteten.
Schon Ende Juli 1872 wurde das Schiff von Eis um»
schloffen und langsam nordwärts getrieben. Am 30. August

1873 sahen sie em „strahlendes Älpenland", das Payer zu
Ehren feines Herrschers „Kaiser Franz Iofef»Land" d
nannte. Doch erst am 1. November konnten sie dieses Land
betreten. Drei Schlittenreisen unternahm Payer zur Crfor»
schung dieses Gebietes, wobei er bis 82° 5' nördlicher Breite
gelangte. Am 20. Mai 1874 verließen sie das Schiff und
traten auf Booten die gefahrvolle Rückreife an. Erst am
15. August kamen sie ins offene Meer und erreichten dann
ohne weiteren Anfall die Heimat.

Bald nachher nahm Payer seinen Abschied als Offizier
und widmete sich unter Leitung berühmter Meister der
Malerei. Die Stoffe zu seinen packenden Bildern schöpfte er
aus feinen Nordpolfahrten und aus der Expedition Franklins.
Die fpäteren Nordpolfahrten verfolgte er mit lebhaftem
Interesse, und in „Petermanns Mitteilungen" befprach er
wiederholt die literarischen Neuerscheinungen auf diesem Ge»
biete. Auch als Künstler schuf er Großes. Seine Gemälde
wurden mit der goldenen Medaille der Münchner Akademie
und des Pariser Salons gekrönt.

Vor drei Jahren beraubte ihn ein Schlaganfall der Sprache
und lähmte feine Glieder. Endlich nahte sich ihm der Tod
als Erlöser. Ein dreifacher Kranz schmückt sein Haupt: als
Alpinist, als Polarforscher und als Künstler. Längst hat die
Crschließungsgeschichte des Alpinismus seinen Namen mit
unvergänglichen Lettern aufgezeichnet, und sie wird seiner
glühenden Vergbegeisterung und seines kühnen alpinen For»
Icherdranges allezeit in Ehren gedenken.

Von einem geschätzten, dem unvergeßlichen Forscher durch
langjährige Freundschaft nahe gestandenen Mitglieds unserer
S. Reichenau erhalten wir noch die folgenden Gedenkworte:

Von dem Grabe des Freundes zurücktretend in den
schmerzverdunkelten Alltag, erreicht mich die Aufforderung,
dem verdienstvollen Manne ein Crinnerungsblatt zu widmen.
Betäubt durch den Verlust, verwirrt durch das Außergewöhn»
liche, als Laie die Verdienste eines großen Toten in Worten
zu feiern, fällt mir die Erkenntnis meiner Unfähigkeit, diese
Aufgabe zu erfüllen, doppelt fchwer in die Seele. In die
Ratlosigkeit des Augenblickes tritt die verklärte Gestalt des
teuren Freundes mit erlösenden Worten: „Weise allein ist
die Güte, sie findet immer Lösungen." — So beginnt ein
Brief, den mir Payer vor zwei Zähren schrieb. Ja! Die
Weihe des Andenkens erfordert nicht Tränen und Iagheit,
fondern lebendige Worte dankbarer Bewunderung und Ver»
ehrung für den guten, edlen, hochgeistigen Mann, der Freund»
schaft zu fch ätzen wußte wie fetten einer, dessen Freundes»
treue, als Widerhall empfunden, ein Menschenleben reich
machen konnte und dessen Tod in den Herzen aller jener, die
ihn kannten, die Qual der Unersetzlichkeit zurückläßt.

Doch die volle Würdigung seiner Persönlichkeit als kühner
alpiner Pionier und Polarforscher, als Maler und Gelehrter
fällt den berufenen Männern der Gegenwart zu; sie über»
nehmen die heilige Pflicht, die Ehre feines Andenkens als
kostbares Vermächtnis kommenden Zeiten zu erhalten. Ich
vermag die Verdienste Payers nur an feiner grenzenlosen
Liebe zu den Bergen zu messen. Diese Liebe hat sein ganzes
Leben ausgefüllt.

Payers erste Bergfahrten galten den Monti Lessini, die
der damals in Verona in Garnison gewesene jugendliche
Offizier häufig befuchte: Cima di Posta (sein allererster
Gipfel!), Monte Pafubio, Corno d'Acquilio. Von diesen
Bergen spannten sich seine drängenden Wünsche in höhere
Regionen.

Zwei Jahre später, als Kommandant des glutheißen La»
gunenforts Lombardo bei Chioggia, schaute der junge
Leutnant fehnfuchtsvoll auf die fernen Alpen. Sein lang»
gehegter Wunfch war, die Adamello-Presanellagruppe auf»
zunehmen und eine neue Karte anzufertigen. Das nötige
Geld dazu hoffte er durch den Verkauf seiner Zeichnungen
aus den Tiroler Bergen zu gewinnen, die er an die „Leip»
ziger Illustrierte" eingeschickt hatte. Doch die 60 Ieichnun»

gen waren zurückgekommen mir der bedauernden Bemerkung,
„daß sich niemand um das Gebirge kümmere".

Ein Freund lieh endlich dem Enttäuschten 100 Gulden;
Payer verschaffte sich die notwendigsten Ausrüstungsstücke
und trat feine Urlaubsreise nach dem Adamello an. Anfangs
September 1864 überschritt er als „Mappeur" die Vocca di
Vrenta. Unter vielen Entbehrungen und empfindlichem
Fasten, das ihm sein Monatsgehalt von 36 Gulden vor»
schrieb, arbeitete der Unermüdliche drei Wochen in dieser
Berggruppe.

Schon damals, bei dem Anblick der großen Eisfelder des
Adamello, traten Bilder von Polarfahrern und die ersten
Ideen für die Erreichung hoher, nördlicher Breiten in seine
lebhafte Phantasie.

Anstatt Urlaub zu nehmen, machte nun der hochbegabte
Offizier alljährlich im Sommer geographische Aufnahmen
in den Tiroler Bergen. 1865 kam er als Oberleutnant in
die Ortleralpen. Zunächst in das Suldengebiet. An Payers
Seite tritt die sympathische Gestalt seines treuen Führers
Johann Pinggera, der ihn fast auf allen Türen begleitete
und dem Payer stets herzliche Anerkennung zollte. Pinggeras
Name ist auf der 1892 vom D. u. Q. A.»V. gewidmeten
Gedenktafel in Sulden, die den Kopf des kühnen Erforschers
der Ortleralpen trägt, verewigt.

Einen Monat nach der Schlacht von Cusiozza eilte Payer,
mit dem Militärverdienstkreuz belohnt, in das Trafoier
Gebiet, ein Jahr fpäter (1867) in die südlichen Ortleralpen,
die „terra incognita", wie Tuckett sie nennt. Der 21. Sep»
tember jenes Jahres wäre für Payer und Pinggera auf
dem tollkühnen Abstieg von der Punta S. Matteo über
die furchtbare Cisfchneide zum Piz Trefero bald todbringend
geworden. Beide stürzten 800 Fuß tief in weichem Schnee
ab und blieben wie durch ein Wunder unverletzt.

Der mit heißem Eifer um Erfolg Ringende hatte in den
von ihm durchforschten Alpengebieten eine wahre Titanen»
arbeit zu bewältigen: geometrische Messungen, Veobachtun»
gen der Gletscher und orographischer Eigentümlichkeiten,
sowie das Studium der geologischen und geognostischen
Verhältnisse.

Und welche erschwerenden Hemmnisse stellten sich Payer
im Ortler» wie im Aoamellogebiet entgegen! Die Nomen»
klatur war mangelhaft, die Bezeichnung der alten General»
stavstarten Tirols und des damaligen lombardisct)»vene»
zianischen Königreiches unrichtig und lückenhaft. Überall
fehlte das Verständnis für hohe Negionen.
- Die gesteckten Ziele zu erreichen und zu vollem Wert zu
bringen, bedurfte es eines Mannes von unbeugsamer
Willenskraft und zäher Beharrlichkeit, Eigenschaften, die
Payer in hohem und höchstem Maße besaß. Und so bleiben
die geographischen Aufnahmen jener Verggruppen und die
Zeichnungen der Detailkarten Payers bewunderungswürdiges,
unsterbliches Verdienst.

Im Juli und August 1868 kam er abermals in die Ortler»
und Adamelloalpen. Diesmal nicht mel)r „in eigener Regie",
sondern im Auftrage des Kriegsministers Kuhn, der ihm
drei bergtüchtige Kaiserjäger und die nötigen Mittel mit»
gegeben hatte. Das Sparen und Fasten war zu Ende.

Die folgenden 5VZ Jahre hat Payer in den Polarregionen
verbracht und mit der Entdeckung von Franz Iosefs»Land
und der Erreichung des 82° 5" nördlicher Breite auf Cap
Fligely (12. April 1874) unvergänglichen Lorbeer errungen.

Sechs Tage nach dem feierlichen Einzug der Nordpol»
fahrer in Wien legte Payer feine Offizierscharge nach
i6jähriger Dienstzeit nieder. Bald darauf zog er ins Aus»
land für eine Reihe von Jahren. Wie fo manchem unferer
Besten blieben auch ihm Enttäuschungen und Kränkungen
nicht erspart, auch sein Familienleben riß entzwei. —

Aus dem Forscher wurde ein Maler und als die Seh»
kraft nachließ, befolgte er den Rat Holubs, ging auf Reifen
und „redete Geld", wie er's nannte. Innerhalb 18 Jahren
hielt Payer 1228 Vorträge, größtenteils m Deutschland,
und lächelnd erzählte er, daß d:e auf seinen Reisen mit der
Eisenbahn zurückgelegte Strecke zehnmal den Äquator um»
kreist.

Am 26. Mai 1912 raubte ein Schlaganfall diesem Meister
der Redekunst, diesem unübertrefflich lebendigen Erzähler die
Sprache! Mit der philosophischen Geduld eines Weisen fügte