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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.48 (1922)
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des Deutschen und Oeslerreichischen Alpenvereins.

Für Form und Inhalt der Aufsähe sind die Verfasser verantwortlich

Nr. 1

Inhalt'

2Ilünchen-Men, Januar

1922

Ein idealer Schiberg. Von Ludwig Sinek, Wien. — Von den Schätzen des alpinen Museums. Von Landgerlchtsrat C. Müller,
München.—Alpine Unsalloersicherungdes D. u. O. Alpenoereins. Von Ministerialrat Sotier, München. Verschiedenes: Alpiner
Schilauf. — Hütten und Wege. — Verkehr. — Kunst.

Gin idealer Schiberg.

Von Ludwig

Je größer die Zahl derer wird, die mit Schieren in das
winterliche Gebirge hinausziehen, desto Ichwerer wird es, Berge
gu finden, die uns alpinen Schneeschuhläufern das bieten, was
wir suchen: lohnende Abfahrt, gastliche Unterkunft und schöne
Aussicht » dabei aber doch die Abwesenheit jener großen
Menge, die heute leider schon so manchen einst vergessenen
Erdenwinkel mit dem lärmenden Treiben erfüllt, das sie in
ihrem Unverstand mit dem fröhlichen ungebundenen Sport»
treiben von „Anno Schnee" verwechselt. Wo find die gemüt¬
lichen Zeiten, in denen man noch jeden Schiläufer als gerne
gesehenen Gesinnungsgenossen draußen in den Bergen und
in den zur Winterszeit so' einsamen ^ Schutzhütten begrüßte?
Ja, reich kann man, die nötige Gewissenlosigkeit vorausge»
setzt, heute über Nacht werden, aber ein echter Bergsteiger und
Schiläufer ist man deshalb noch lange nicht, wenn man sich
Vrettln, Norwegerkostüm und eine D-Zugkarte erster Klasse
gekauft hat. Auch ein Wochenlohn von schwindelhafter Höhe
und blaue Montage find nicht immer die einzige Voraussetzung
für richtiges Naturempfinden.

Die alte Garde der Schiläufer, in der gewiß auch alle
Schichten und Stände ihre ehrenwerten Vertreter hatten, räumt
langsam das Feld, das sie erschlossen hat, der neu aufgetauch¬
ten, unheiMich anwachsenden Masse, die — wir wollen es
hoffen — vielleicht auch einmal wirkliche Kultur annehmen
wird. Einstweilen nimmt diese einfach in Befchlag, was an¬
dere entdeckt und erschlossen haben.

Der Wiener Abendschnellzug hatte am neueina.eführten
Nationalfeiertag (12. November) der in diesem Winter für
schneekundige Leute den Beginn eines viertägigen Urlaubes
bedeutete, schon so viele Schiläufer in die kaum erst mit leichter
Schneedecke überzuckerten Berge geführt, wie früher, in den
sogenannten „besseren" Zeiten, nicht einmal um die Weih¬
nachtszeit. Auch vier wackere Kämpen unserer „Kameradschaft
vom Berge", Hamburger, Liedeck, Sekirnjack und ich, hatten
die Vrettln nach langem Sommerschlaf zu neuen Taten aus der
Rüstkammer geholt und litten unter der Qual der Wähl. Die
große Frage, ob das Tote Gebirge, die Niederen Tauern oder
die Kitzbühler Berge die besten Aussichten auf eine genutz¬
reiche Schifahrt bieten dürften, war, da es bei der Abfahrt von
Wien zwar ganz winterlich wirbelte, die Schneeverhältnisse
im Gebirge aber noch ganz ungeklärte genannt werden mutz¬
ten, auch für den Kenner schwer zu beantworten.

Der Klügste unserer „Kameradschaft" verriet uns, als
lvir in Vischofshofen wider Erwarten sehr wenig Schnee fan¬
den, noch im Zuge einen Berg, der mitten in der Runde Herr»
lichfter Gebirgswelt mit feinen sanft gewellten Wiefenhängen
auch bei schwacher Schneebedeckung die ungetrübtesten Schifreu¬
den verhieß — den 2116 Meter hohen Hundstein bei Zell
am See.

Mit einer lustigen Bootfahrt über den See begannen wir
unsere erste heurige Schitur, die eine Fahrt in das sonnigste
Wintermärchen werden sollte; von Thumersbach führt
der kürzeste und beste Anstieg in ungefähr vier Stunden zum
Gipfel des Hundsteines, der das gemütliche Statzerhaus

Sinek, Wien.

wie ein Observatorium exponiert in die Lüfte hebt. Dort haust
den ganzen Winter über ein Wächter, der gerne in der gut
eingerichteten Hütte Gäste sieht.

Es ist ein strahlend schöner Wintertag l Durch glitzernden
Wald steigen wir an. Der Rauhreif hat in den kalten Mond»
nachten kunstvolle Silberschmiedearbeit an ledem Stamm und
Zweiglein vollbracht. Es gibt so viel zu schauen, zu staunen
und gu bewundern. Wenn von den Bäumen der lockere Pul»
verschnee herunterrieselt, dann glitzern durchsichtige Schleier
im goldenen Sonnenlicht. Die stumme Sprache zierlicher
Wtldfährten im flaumig welchen Schnee erzählt kleine Geschich«
ten vom Hasen, Rehlein, Fuchs und sonstigen Getier des Wal¬
des. Dann sind es wieder die warmen sonnigen Flecken, die
da und dort im kalten Violett des Waldschattens aufleuchten
und das Herz durch nichts als ein bischen Licht im Dunkel so
unsagbar glücklich machen. Und schließlich scheint der tief«
verschneite Weg, der sich unvermutet hinaus auf die baum¬
freien Bloßen verliert, geradeaus in den zartblauen Himmel
zu führen. Schauen muß man können, dann ist die Welt so
wunderschön, und die treuen Schier werden Schiffe, auf denen
man aus der Wirklichkeit ins Land der schönsten Träume fährt.

Bei der ersten Alm rasten wir. Schon liegt der dunkel¬
grüne See tief unter uns; weiße Berge säumen ihn ein. Weiße
Berge überall, wohin du schaust, eine Welt in tausend Formen,
eine Welt in strahlendem Weiß. Zwei Riesenhörner ragen
aus dem Wunderreich der hohen Tauern auf, überwältigend
schön. In einfachen Linien, wie alles wahrhaft Große türmen
sie sich auf zum Himmel.- Das Wiesbachhornund Kitz-
steinhorn.

In freie, weite, einsame Schneeflächen ziehen wir die
schmale, dunkelblaue Spur hinauf zum feingeschwungenen
Kamm des ersten Vorgipfels, des Ochsenhornes. Nun
öffnet sich die ungehemmte Nundsicht auch nach Norden. Die
Sonne sinkt, der Tag verglüht, in unglaublichen, in unwahr¬
scheinlichen Farben läßt die verwegenste Malerin Natur die
Berge jubeln. Vom zartesten Honiggelb des Himmels bis zum
kalten Dunkelviolett des Tales fließen Farben und Töne inein¬
ander, die finkende Sonne und die silberne Scheibe des Voll¬
mondes grüßen sich in einer zauberschönen Farbenharmonie.

Die Leoganger Steinberge, das Steinerne Meer und die
Uebergossene Alm stehen mit ihren wilden Felsbastionen
märchenhaft fchön in diesem Abend. In solchen Stunden hat
das Volk wobl auch die Sagen erfunden, die es von diesen
Bergen erzählt.

Hinter dem gewaltigen Eisdom des Venedigers ist nun
die Sonne gesunken. Jetzt hat sich der weiße Wolkenzug ln
einen feurig-goldenen Drachen verwandelt, der über die fernen
dämmernden Höhen kriecht.

Wir stehen und fchauen. Die Dämmerung und die Kälte
mahnen uns daran, daß der Tag bald verdunkelt. Drüben
auf dem höheren Gipfel steht das Statzerhaus. Der Kamm
führt hinab zum Sattel und steil wieder in einer halben Stunde
hinan zu unserem Nachtquartier. Heute ist der Winterwächter
gerade hinunter ins Tal nach Alm gegangen, doch wir haben