/ 416 pages
Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.51 (1925)
Search


30

Mitteilungen des Deutschen und O^fierreichllchen Alv«nverelns

Nr. 3

Am 29. Jänner halb 8 Uhr srüh ist der letzte von den Grün¬
dern unseres Alpenoereiis nach kurzem, aber schwerem Leiden
gestorben. Stiidl erfreute sich trotz seiner 86 Jahre einer seltenen
Rüstigkei», die ihn befähigte noch im letzten Sommer die Söldenhütte
der ihm so nahestehenden Sektion Salzburg zu besuchen. Diese
Zähigkeit und sein starker Lebenswille waren wohl die Ursachen,
weshalb er einen so schweren Todeskampf durchmachen mußte. Am
31. Jänner nachmittags, a's nach stürmischem Wetter die Sonne
eben wieder durch die Wolken brach, wurde er auf dem herrlich
gelegenen Salzburger Friedhofe, auf dsm auch Ruthner und Pur¬
tscheller ruhen, beige'etzt, die „Vera.!":", ^.ie hoffnungsvolle Klctter-
iugend Salzburgs trug im Bergstcigergewand? den greisen Pionier
des Alpinismus zu Grabe. V>)r dem Sarge schritten in langem
Zuge die Mitglieder des,Alpenverei'ls, voran die drei Präsidenten,
Exz. Dr. v. Sydow (Berlin), Oberbaut,irektor Rehlen (München) und
Uniu.-Prof. o. Klebelsberg (Innsbruck) und de" gesamte Ausschuß der
Sektion Salzburg, dessen unermüdlich tätigen Mitglied Stüdl in den
letzten 5 Jahren seit seiner Uebcrsiedlung von Prag gewesen war,
viele Sektionen von fern und nah von München bis Wien, von
Badgastein bis Prag, hatten Vertreter entsendet-, auch die anderen
alpinen Vereine Salzburgs ehrten den Senior des Alvenvereins
durch ihr Trauergeleite. Selbst aus dem weit entlegenen Kals war
Bergführer Schneider als Abgesandter der Gemeinde, deren Ehren¬
bürger Stüdl war, herbeigeeilt, um dem „Glocknerherrn" die letzten
Ehren zu erweisen.

Die Einsegnung nahm ein Ausschußmitglied der Sektion Salz¬
burg, Hochw. Steinwender, vor; hierauf trat E?z. v. Sydow an
das offene Grab und sprach folgende Worte:

„Trauernd steht der D. u. Oe. A. V. am Grabe des letzten der
Männer, die ihn vor mehr als einem halben Jahrhundert ins Leben
gerufen haben. Nicht mehr werden wir IZHann Stüdl auf
unseren Jahresversammlungen begrüßen, nicht mehr wird ein gütiger
Blick, ein freundliches Wort von ihm seinem Händedruck die zu
Herzen gehende Wärme verleihen.

Aber nichts wäre dem Sinne unseres Heimgegangenen Freun¬
des weniger gemäß, als wenn wir uns- in Klagen der Wehmut
erschöpfen wollten. Es war ihm vergönnt, sich in einem langen und
reichen Leben voll auszuwirken und durch sein Denken. Wollen und
Tun den M'ttebenden die Bahnen zu weisen. So wandelt sich unser
Schmerz n den Dank für das, was wir an dem Entschlafenen gehabt
haben, die Bergsteiger alle und wir vom A.N. insbesondere. Denn
er war unser!

Was trieb, den jungen Stüdl. hinauszuziehen zu den noch
taum betretenen Gipfeln unserer Alpen? — ihn. dem kein besonders
robuster Körper gegeben war, ja der damals für einen Leidenden
galt, dem nur ein kurzes Leben beschieden sei. Es war der innere
Drang zum Licht, die Empfänglichkeit für die gewaltige Größe der
unberührten Hochgebirgsnatur. und nicht zuletzt die. Lust an der
Ueberwindung der Hindernisse, die üe dem Sterblichen entgegensetzt.
Getragen von Begeisterung und zähem Willen ward er in diesem
Kampfe gesund und frei. Sa machte er Schule, riß die Gleichgestimm¬
ten mit sich fort und legte mit ihnen die Grundlage für unseren
Verein. Sie nannten ihn den Deutschen Alpenverein, weil sie
ihm die Deutschen Alpen zum Arb"itc-.felde bestimmten und zur
Mitarbeit alle Deutschen aufriefen, ohne Rücksicht auf die politischen
Grenzen, soweit die oeuts-he Zunge klingt. Denn Stüdl war ein
deutscher Mann. Mit den Senn, Trautwein. Hofmann hat
er dem A.V. die geistige Schwungkraft gegeben, die ihn in den
ersten Jahrzehnten omporgetragen hat und zu der wir ietzt sehn¬
suchtsvoll zurückrerlang"n, fast roi^ zu einem verlorenen Paradies.
Erst in diesem Lichte gewinnen die organisatorischen Leistungen
Stüdl s, gewinnt deren Krönung die Erweiterung des Deutschen
zum Deutschen und Oesterreichischen A.V. die rechte Bedeutung.

mit dem starken männlichen Willen, mit der Vegeisterungs«
fähig5rit eines Jünglings, vereint!? sich in unserem Freunde die
Seele eines Kindes: weich und gütig, stets hilfsbereit, ausgleichend,
wo es seine Ueberzougung irgend erlaubte, verbreitete er um sich eine
Atmosphäre des Vertrauens. Er wa" ein guter Mensch, und herz¬
liche Freundschaft verband ihn mit vielen seiner Arbeitsgenossen.
So stand er unter uns. geliebt, verehrt, bewundert, ein Zeuge aus
der großen Zeit des Alpinismus, die er selbst mitheraufgeführt hatte.
Den getreuen Eckart des Alpenvereins ließ er sich gern nennen

Nun ist er erlöst von der Schwere des Erdendaseins, die ihn
in den letzten Jahren so bitter getrofsen hat Am Fuße des Ortlers
bezeugt sein in die Felswand eingelassenes Bild, am Fuße des
Glockner seine Hütte die räumlichen Grenzen seiner Tätigkeit in
Nest und Ost. Unfern den Abstürzen d<»s Natzmann ruht er aus
inmitten seiner geliebten Berge. Von der Höhe des Mönchsbergs
blickt zu ihm sein Freund Eduard Richter herab, mit dem er
so oft die Berge durchstreift hat. In nächster Nähe schlummert
Ludwig Purtschellel. der Meister der deutschen Bergsteiger
der vergangenen Zeit.

Eine Fülle großer Erinnerungen sinkt mit Stüdl ins Grab.
Aber sein Gedächtnis wird ihn überleben, solange deutscher Verg-
steigergeist zu den Idealen emporschaut, mit denen Johann Stüdl
seine Zeit erfüllt hat und zu deren Pflege er den A.V. hat begründen
helfen.

Have Pia anima — ruhe in Frieden, teurer Freund, und nimm
diesen Kranz als ein Zeichen der unauslöschlichen Verehrung und
Dankbarkeit, den dir bewahren wird, solange er besteht der Deu
sche und Österreichische Alpen verein.

Der Kranz war ein prachtvolles Gewinde aus Latschen«
zweigen und Edelweiß und die weiße Schleife trug die Wid¬
mung: „Der D. u. Oe. Alpenverem in tiefster Dankbarkeit seinem
letzten Gründer"

Der Vorstand der Sektion Salzburg, Dr. Hackel, feierte
den Verstorbenen als einen der besten und gütigsten Men«
scheu, der das Ideal Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", wie
wenia andere verkörpert habe Dr. Leuchs (Sektion München), er«
innerte daran, daß Stüdl zugleich mit dem AlpenVerein auch dessen
erste Sektion, München, gegründet habe und legte in ihrem Namen
einen aus Schneerosen gewundenen Kranz mit einer in den alten
Alpenvereinsfarben gehaltener Schleife nieder. Herr Ginzel (Deut»
scher Alpenverein Prag) überbrachte dem Toten die letzten Grüße
der Heimat, Herr Hans Richter legte mit wenigen warmen Wor,
ten im Namen des.Vereins Donauland einen mächtigen Kranz nieder.

In tiefer Ergriffenheit schieden die vielen, die dem Toten das
Geleite gegeben hatten, von dem Grabe, in dem Stiidl an der Seite
feines Sohnes ruht, der im blühendsten Mannesalter ihm voran«
gegangen war. Das war für sein von mancherlei Sorgen getrübtes
Alter der schwerste Schlag gewesen: aber wie er sich durch Tätigkeit
über alle Trübsale hinwegzuhelfen suchte, so auch diesmal. Stüdl
besaß ein unleugbares Talent zum Zeichnen und Malen: seine Bilder
reichen, wenn er auch nie künstlerische Ausbildung genossen hat. weil
über Dilettantenmaß hinaus. (Die Zeitschrift 1923 enthielt ein Bild
des Großglockners von seiner Hand, das als Beweis dienen kann);
aber 50 Jahre lang hatte er nicht mehr Stift und Pinsel geführt-
Da trieb ihn der Schmerz, das Grab des Sohnes zu zeichnen; dabei
gewann er wieder Freude an der langentwöhnten künstlerischen Be»
tätigung und durch sie wieder neuen Lebensmut

An den Grabstein, der auch die Namen seiner von Prag hieher
überführten Familienangehörigen enthalt, soll das Vronzobild Stüdls
angebracht werden, das' ihm die Sektion Prag anläßlich seines 70.
Geburtstages gewidmet hatte; und so wird auch sein äußeres Bild
den kommenden Geschlechtern unseres Vereins erhalten bleiben.

Von Dr. He

Es ist etwas mehr als ein Vierteljahrhundert her, daß der
Schilauf nach Mitteleuropa kam. In den Neunziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts begannen die ersten schüchternen
Versuche. Und ein volles Jahrzehnt dauerte es, bis der Schi
sich durchgesetzt hatte, bis plötzlich die große Entwicklung in
die Breite kam. Und fast schon im ersten Jahre, in dem oer
Schilauf sich einbürgerte, wurde bereits die erste nachweisbar?
Hochtur mit dem neuen Gerät gemacht, die Ersteigung des
Aroja-Rothornes (2985) von Arosa aus im Winter 1593.

Vom Beginne der Entwicklung an sehen wir dsn „Schi¬
lauf" mit dem „Alpinismus" verbunden.

Trotzdem gab es Jahre lang — und gibt es heute .:ochl
^— Vergfreunde, um so das Wort Alpinist einmal zu u5?r-

*) Aus den Meddelingen" des Niederländ. Ilpenvereins mit Ge-
i nehmigung des Autors, und der Schriftleitung.

nrn Hoek.

setzen, die nichts vom Schilauf wissen wollten. Heute noch
gibt es ihrer genug, die diesen neuen „Sport" ablehnen, der
mit Bergsteigen eigentlich nichts zu tun hätte. Sie beweijpn
damit nur jedem Kundigen, daß sie nicht wissen, was Schilä
fen feinen inneren Wesen nach ist und was es sein kann
beweisen, daß sie höchstens Karikaturen in bunten Kindern
gesehen haben, die auf lange Bretter geschnallt in der Nähe
eines Hotels komische Uebungen vollführten, und sich dabei
leicht lächerlich machten.

Denn wie die Entwicklung sich vollzogen hat. könnte man
mit genau demselben Recht den Kletter-Sport" als nicht zum
Alpinismus gehörig, ablehnen. Und wer die sonntäglichen
Akrobaten in einer der berühmten Kletterschulen des Schwarz»
waldes oder der Sächsischen Schweiz, gesehen und erlebt hat,
den kann freilich ein gelindes Grauen erfassen, wenn er sich
diese Turner als «Alpinisten" vorzustellen versucht.