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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.51 (1925)
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Mitteilungen ves Deutschen und Vesterreichifchen Alpenverein«

Nr. 4

Vergsteigen und neuzeitliche weitere Erschließung

Ein INahnworl.

Die technischen Errungenschaften der neueren Zeit haben auch
vor den Berggipfeln d°r. engeren und weiteren Heimat-nicht Halt
gemacht. Auch si? stnd in das Ze'mke^der Bergbahnen und Flug¬
zeuge eingetreten. ^. ^ ,^ '^ «« .^'

Entwlckelung, Fortschritt nennen es viele, d,e Feld und Wald
und Berg. Fluß und See aller Orten mit dem gleichen Maße
wirtschaftlicher Erschließungs- und Ausnützungsmöglickkeit messen,
aber auch solche, die seltsamerweile sonst sehr lebhast für den Natur¬
schutz in. den Alpen, eine Folgenotwendigkeit übermäßiger Er-
Mleßungstä'tigkeit einertten. im übrigen aber sich mit Unternehmun¬
gen, die diese Schutzmaßnahmen nur erschweren können, wie Zug-
spitz- und andere geplante Bergbahnen als mit selbstverständlichen
Tatsachen, der „Endform neuzeitlichen Bergsteigens", rasch abfinden,
Sie kommen mir vor wie ein Volk, das sich trotz eines gutgerüsteten
Heeres dem gierigen Nachbarn kampflos überliefert, weil es im
Falle eines Waffengangs die Niederlage als unabwendbar erachtet,
und damit auf alles verzichtet, was es sich durch Gegenwehr
wenigstens teilweise hätte erhalten können: oder wie eine ehrbare
Künstlerzunft, d'e das Althergebrachte bisheriger Ausdrucksformen
vor dem kindlich wi",en Gekritzel der Kommenden versteckt, die das
Sanderbare ihrer Fantasiegebilde dreist als Anbruch einer neuen
noch unentstandenen Zeit bezeichnen.

Gewiß ist Entwicklung an und für sich, unvermeidlich, auch
begrüßenswert. Aber letzteres nur bedingungsweise, sobald man
Zweck, Zeitmaß, zeitliche und örtliche Verhältnisse, sowie das Gebiet
betrachtet, auf dem sie sich vollzieht. Da wird bel der verschieden¬
artigen Einstellung der Menschheit von manchen als Rückschritt
empfunden, was änderen Fortschritt bedeutet.

Wenn wir die jüngste Geschickte der alpinen Bewegung mit
ihren Sonderbestrebungen, dem in Wort und Schrift nach Ausdruck
ringenden Bedürfnis, das N^sen des Bergsteigens zu erklären und
neue Ziele festzulegen, zuletzt den Streit um die Zugfpitzbahn
an uns vorüberziehen lassen so läßt sich unschwer feststellen, daß es
sich hier um den Gegensatz zweier Weltanschauungen handelt, der
endlich offen zum Austrag gebracht werden muß. Die eine — ma¬
terialistische will die Berge ohne Rücksicht auf damit verbundene
Zerstörung ihrer Eigenart zu oerkehrswirtschaftlicken Goldgruben
machen, aus denen zunächst einige Inieressentengruppen. dann in
zweiter Linie die umliegende, vom Fremdenverkehr lebende Bevöl¬
kerung Gewinn ziehen fol^n; die andere ideelle — möchte die
Bergwelt als Naturschutzgebiet im Großen, als Bergsteigerheimat
gewahrt wissen in der Erkenntnis, daß nur die Erhaltung einer
möglichst ursprünglichen Natur im Verein mit körperliche Betätigung
und als deren Folge jene, seelischen Zustände und sittlichen Kräfte
wachruft, die den geheimnisvollen Reiz bergsteigerischen Erlebens
bilden. Ihr erscheint daher die bescheidenste Wirklichkeit, wo sie schon
vorhanden, genügend, die Beseitigung der Unwirklichkeit nur da
gerechtfertigt, wo sie zur Ausführung von Bergfahrten dringendes
Bedürfnis ist.

Diese Kluft bleibt unüberbrückbar, wenn auch die tatsächlichen
Verhältnisse in den Alpen schon längst, einem weitgehenden Kom¬
promiß zwischen beiden Richtungen ähneln. ^

Aber auch der Kampf um die Erhaltung der bestehenden Zustände
im Sinne eines „bis f'"her und nicht weiter!" bleibt hart genug
und — darüber dürfen wir uns nickt hinwegtäuschen — umso ern¬
ster, als er sich um Art. Zweck und Ziel künstiger bergsteigerischer
Betätigung und damit letzten Endes um die seelische Gesundung
unseres Volkes dreht Er w^d gleichzeitig sinnbildlich für alle ähn¬
lichen Bestrebungen auf anderen Gebieten, wo es gleichfalls gilt,
ethischen Werten zum Sieg über die Herrschaft des Geldes zu
verhelfen.

Leider gilt es nicht nur, eine Abwehrstellung gegen den großen
Kreis jener einzunehmen, die in den Bergen nur ein Betätigungsfeld
sür Fremdenverkehrsinterefsen erblicken, sc ist aber dem Bergsteigen
verständnislos gegenüberstehen. Das gleiche Gift ist durch den
gewaltigen Zuwachs der letzten Jahre auch in den Gesamtverein
«hineingetragen worden, und die Gepflogenheit einer oft bedingungs¬
losen Mitgliederaufnahme rächt fich jetzt durch die Lauheit all derer,
die von ihrem Beitritt in erster Ü'nie wirtschaftliche Vorteile er¬
warten, ohne der Sack" selbst zu nützen, ^zu kommt, daß der
Alpenverein durch seine hemmungsloje Erschäeßungstätigkeit selbst
den günstigsten Nährboden für neuzeitliche Entwicklungsgelüste in
Form von allerhand Bahnprojekten geschaffen hat, was ihm jetzt
die angestrebte Rückkehr zur guten alten Z^it nur erschwert.

Noch dazu, wenn die Sacke der Gegenseite mit Scheingründen
in das milde Licht der Nächstenliebe gerückt wird. So etwa, indem
man sich plötzlich liebevoll der alten Mütterchen, Kranken und

Kriegsbeschädigten annimmt, denen auf diese Weise „auch" die
Wunder der, Vergwelt erschlossen werden sollen. Glaubt denn
wirklich jemand im Ernst, daß bei derartigen Unternehmungen wi«
Zugspitzbahn etc. an dies- wenigen ^noch dazu meist unbemittelten
Benutzer gedacht worden ist? In einer Z?'t, in der man für Kriegs
beschädigte und durch die Geldentwertung Verarmte selbst von Seiten
des Staates so wenig übrig hat, klingen solche Töne immer ver»
dächtig. Schaut Euch doch einmal den Betrieb auf einer Bergbahn
(z. B. Wendelsteinbahn) daraufhin an. wieviele-Bresthafte unter
den Fahrgästen.find, die nicht zu Fuß nn das Ziel ihrer Wünsche
gelangen könnten! <

Und die meisten Alten, die fich an ländlichem Sonntag lange
Jahre hindurch auf der Hausbank ihrer Sommerfrische oder ihres
Heims als behagliche Genießer an den Metamorphosen eines Apfel¬
baums, eines stillen Gärtchens erfreut haben, die bringt man mi<
70 Jahren auch mit der Bahn nicht mehr auf einen Berg, und die
wenigen Städter, die es trotzdem tun, verfchwinden in der großen
Masse. Die find erfahrungsgemäß zu konservativ und schauen sich
im Alter lieber die Berge von unten an. Auch fehlt es denen, die
es am notwendigsten brauchten, meist an dem nötigen Kleingeld für
eine Bergbahnfahrt. Die Besitzenden aber haben den anderen soviel
an Möglichkeiten voraus sich, wenn sie wollen, Anregung und Land/
schaftsgenuß zu verschaffen, daß ihnen die mit gesundem Schweiß-
vertust verbundenen Mühseligkeiten eines langen Gipfelanstiegs in
jeder Beziehung nur zuträglich sein können.

Wer mit ganzer Seele an seinen Bergen hängt, hat keinen
Anlaß das zu entschuldigen oder die Mehrheit, zu bemänteln. Im
Gegenteil. Er muß für sie mit allen seinen Kräften eintreten, so er
ein guter Deutscher fein will, dem körperliche Ertüchtigung unü
leelischer Niederaufbau seines niedergetretenen Volkes nicht nur
leere Schlagworts sind. Denn dahin ist in einem Zeitalter der Selbst«
«ntmannüng, der Wehr- und Würdelosigkeil, der geistigen Verar<
nnmg und materiellen Verflachung ein langer und harter Weg,
Er führt nicht auf Bergbahnen und Flugzeugen zur entweihten
Höhe, nicht über geräuschvolle Berggasthäujer mit verführerischen
Tafelfreuden und schwellenden Polstern, die den verwöhnten Tal«
menschen um so herzlicher willkommen heißen, je weniger Berge et
besteigt und je größer feine Zeche ist. Dag eigene Können vielmehr
muß Sommer wie Winter oft unter Gefahr und Mühsal auf ein«
iame Grate und Firste tragen, die Kunst. sich mit Wenigem zu
bescheiden, zur Freude werden, Entbehrung zur Selbstverständlich'
keit. Mehr als anderswo erlernt sich in den Bergen, die in ihrer
zwischen Lieblichem und Furchtbarem schwankenden Mannigfaltigkeii
Körper und Geist wechselnd beanfpruchen die Fähigkeit, den Willen
zu stählen und zu beherrschen, der eigenen Kraft zu vertrauen und
darin Maß zu halten. Dafür reicht um so tiefer und nachhaltiger
der köstliche Lohn inneren Erlebens in Gestalt neu bewußt gewor<
dener Lebenskraft weit in den Alllag hinein.

Der Bergsteiger weiß, daß sich mit Geld allein das nie erringen
läßt. Es bleibt ihm stets nur Mittel zum Zweck. Und so wird sein
heißes, von hohen Erinnerungen getragenes Herz kalt und gewappnet
jener gleißenden Macht gegenüber, die unser Dasein mehr und mehr
zu vernüchtern droht.

„Begeisterung siegt immer und notwendig über den, der nicht
begeistert ist," sagt Fichte. In der Entwicklungsgeschichte der Mensch¬
heit finden wir überall Kainpf nu» wechselndem Erfolg, nicht zuletzt
auch da, wo es galt, das Zeitmaß allzu raschen Fortschritts in ruhigere
und stetigere Bahnen zu zwingen. Darum darf auch das Gegengewicht
unserer Bestrebungen alT nichts Ungewöhnliches erfcheinen, umso
weniger als es sick auch h:er um eine geistige Bewegung handelt.
Und geistige Bewegungen habeil sich, wie die Geschichte ebenfalls
lehrt, wohl vorübergehend unterdrücken, nie aber mit äußeren
Machtmitteln totschlagen lassen. Möge daher auch für unseren Erfolg
diese Tatsache ein guies O.nen bedeuten.

Daß der Alpenoerein den festen Willen hat, auf diesem Wege
Vorkämpfer zu fein ist u. a. aus dem fast einmütigen jüngsten
Protest gegen die Zugspitzbahn ersichtlich. Vielleicht geht er noch
einen Schritt weiter, indem er neue Hüttenbauten. Weg- und Gipfel»
steiganlagen verbietet, die vorhandenen Mittel vielmehr zur, Ge«
winnung gefährdeter Gebiete und Vertiefung des Bergsteigergedan»
kens u. a. durch Propaganda verwend't, und nicht zuletzt Sektionen
abstößt, die unter der Schutzmarke des Aipellverelns reine Fremden«
Verkehrs- und Verschönerungsvereinsmteressen pflegen.

Der Dank und die Unterstützung aller die ihre Berge lieben,
wird ihm sicher sein.

Hans M eis er, München.

Zeichenverständigung im Kochgebirge

Wohl jeder vernünftige Alpinist ficht ein, daß wir auch heut¬
zutage, im Zeitalter der drahtlosen Nachrichtenübermittlung, unser
bewahrtes alpines Notsignal nicht entbehren tonnen/

Radio ist eine herrliche Erfwd'Mg. Aber was nützt dem Berg«
steiger und Gebirgs-Schiläufer ein Radioapparat, mit dem er nut
empfangen, nicht senden kann, M Fällen der Not oder in