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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.51 (1925)
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Mitteilungen des Deutschen und ^österreichischen Alpenvereins

Nr. 17

deutsche Bergsteiger seinen Fuß auf jene Gipfel setzte. Rosen¬
garten — könnte es einen schöneren Namen geben für jene im
Morgen- und Abendlicht erglühenden Felsenblüten, die die moderne
Geographie mit den eigentlich nichtssagenden Namen „Dolomiten"
belegte. Königsspitze —könnte es eine treffendere Bezeichnung geben
für diese edelste Eisgestalt der Ostalpen, oder für den Ortler, womit
man im älteren Deutsch einen besonders festen Grenzwächter an der
Landesmark, verstand. Niemals werden wir auf dieses ureigenste
Eigentum des deutschen Volksgemütes verzichten, auf diese Land¬
schaft der Etsch- und Eisacktäler, wo in den Armen der nordischen
Gebirgspracht sich das süße Blumenkind des Südens wiegt.

Heute lastet freilich über jenen Bergen, die nach ihrer Natur

die sonnigsten und heitersten der deutschen Alpen sind, eine schwere
Wolke stummer Trauer. Und dennoch wünschen wir, daß der
deutsche Bcrgwanderer auch künftig dorthin seine Schritte lenke,
daß er aber neben der Herrlichkeit der Landschaft auch das deutsche
Leid des Volkes sehe, urd seinen Brüdern daheim davon Kunde tue.
Und überall in deutschen Landen, wohin der mächtige Baum des
Alpenuereins sich verzweigt hat, möge dann dem Treugedanken für
Deutschsüdtirol, diesem wahren Schmerzenskinde
Germanins, eine Pflrgestatt erstehen, bis die Zeiten der Tat
auch dafür wieder herangereift sein werden. Daran wollten wir
Euch.liebe Brüder vom Edelweiß, heute erinnern, darum Euch,
heute gebeten haben.

^ Am 18. August 1925 erfolgte am Zermatter Weißhorn unweit
des Punktes 3365 m des Ostgrates eine Lawincnkatastrophe. Durch
sie verunglückte die weit über Deutschlands und Oesterreichs Grenzen
bekannte beste und erfolgreichste deutsche Vergsteigerin, Frau Eleo¬
nore Noll, geb. Hasencleuer, aus Frankfurt a. M. tödlich. Ihr Be¬
gleiter Dr. Pfann aus München erlitt einen Bruch des linken Ober¬
schenkels, während der dritte Teilnehmer Professor Trier aus Mün¬
chen fast unverletzt davon kam.

Professor Trier berichtet in Uebereinsiimmung mit Dr. Pfann
Folgendes: -

„Am 17. August stiegen Herr Pfann, Frau Nct, ich und ein
Träger mit Decken von Randn auf zum Biwak in den Felsen der
Guggifluh, etwa 3200 m hoch. Unterhalb der Freiwänge (Nrunncgg-
horn) verbrachten wir die Nacht, in der Frühe schickten wir den
Träger wieder zu Tal und verließen um 6 Uhr den Platz, kletterten
die Felsen noch vollends hinauf und erreichten 7 Uhr 30 den
Biesgletscher. 8 Uhr bis 8 Uhr 45 Biesjoch, 11 Uhr 40 bis 11 Uhr 59
Vieshorn.

Die ursprüngliche Absicht, anschließend daran den Neißhorn-
Nordgrat zu machen und auf dem normalen Wege zur Weißhorn-
hütte abzusteigen, ließen wir schon am Viesjoch fallen, erstens
wegen drohendem Wetterumschlages, dann wegen zu später Zeit.
Am Viesjoch waren wir wieder 1 Uhr 30 bis, 2 Uhr 35. Wir
querten nun den Viesgletscher in Richtung auf den vom Weißhorn,
Punkt 3781, nach Nordosten sich absenkenden Gratast, überschritten
ihn auf Höhe 3300, stiegen die Schutterrasse hinab auf den südlichen
Arm des Biesgletschers, der östlich von Punkt 3781 sich absenkt,
und hatten nun noch einen steilen Schnechang zu ersteigen, der uns
vom Schalliberggletscher brennte. Der Kamm dieses Schneehanges
liegt in Richtung 3781—3365 m. Pfann ging voran, Frau Noll in
der Mitts, ich am Schluß. Schnee nah und schwer. Nach einem
Drittel des Weges löste ich Pfann im Vortritt ab. Ich ging die
noch fehlenden 100 m hinauf, Mitte Frau Noll, Pfann am Schluß.
Zuerst senkrecht. Dann rief mir Pfann zu, schräg nach links hinaus
zu queren, um nicht so hoch ansteigen zu müssen. Ich kam bis
ungefähr 15—20 m unterhalb des Kammes, als ich Plötzlich über
mir (10 m) den Hang reißen sah. Die Schneebrettbrücke war sehr
klein, nur 20—30 cm. Trotzdem gelang es mir nicht, Stand zu
halten. Ich war mit den Füßen im guten unteren Schnee, Pickel
ebenfalls tief drinnen. Aber der Untergrund war bis zum Eis
erweicht und die schwere Schneemasse schob mir die Füße und den
Pickel heraus. Ich glitt abwärts, zuerst versuchend mit dem Pickel
wieder zu bremsen. Umsonst. Das Schneeschild überschob sich sofort,
warf sich auf meine Brust und warf mich kopfüber abwärts. Es
gelang mir im Fall wieder aufzukommen, Kopf und Arme im
Schneebrei wieder fre: zu bekommen und oben zu bleiben. Ich
bekam mehrmals Risse durchs Seil und fiel schließlich bei vollem
Bewußtsein bolzengerade, Kopf oben, 15 m tief in eine etwa 15 m
breite Spalte, blieb dort bis zum Bauch mit den Beinen im La¬
winenschnee stehen und sah sofort über mir den Schneerest Her¬
me!) erprasseln. Es trat bald Ruhe ein. Als ich mich nach kurzer
^5eit freimachte, stellte ich fpst, daß das Seil zu Frau Noll in den
den Spalt ausfüllenden Lawinenschnee lief. Frau Noll mußte
verschüttet sein, während das Seil Noll-Pfann senkrecht aus der
Spalte 15 m hoch wie eine Saite gespannt in die Höhe ging zu einer
Spaltenbrücke, auf welcher Pfann lag. Ich rief ihn an und erhielt
sofort Antwort. Pflaum klagte über ungeheure Schmerzen. Er hatte
den Oberschenkel gebrochen. Ich bat ihn, mir seinen Pickel herunter¬
zuwerfen, den meinen entriß es mir beim Sturz in die Spalte und
ich konnte mich nicht auf's Pickelsuchen verlegen. Pfann erklärte,
vor Schmerzen keine Bewegung machen zu können und feinen
Pickel, der etwa 1 m von ihm lag, nicht erreichen zu können. Daher
machte ich mich sofort daran, mit den Händen dem Seil zu Frau
Noll hin nachzugraben, hatte auch bald einen Fuß von ihr erreicht
und zog daran. Sie zuckte noch mit dem Fuße, aber ich konnte sie
nicht herausziehen. Daher scharrte ich wie ein Maulwurf, was ich
nur konnte mit den Händen weiter, kam schließlich bis zum Leib¬
gurt, aber es.ging so nicht weiter, es liehen meine Kräfte nach und
meine Hände erstarrten Da die Lebenszeichen der Fr. Noll seit
gercwmer Zeit aufgehört hatten, schnitt ich das Seil Noll-Trier ab,
lief die Spalte entlang im Löwinenschnee bis unter Pfann, der mir

nun seinen Pickel zuwarf. Sofort wieder zurück zur Frau Noll, mit
dem Pickel weiter bohrend und mit den Händen den nassen Schnee
auswerfend, kam ich endlich nach einer halben Stunde zum Gesicht
und zur Brust von Frau Noll. ich konnte den Schnee, der schwer
und naß war, nur immer mit den Händen herauswerfen. Frau
Noll lag mit dem Kopf nach unten etwa nur 1^ m tief aber fa
eingeklemmt, daß ich sie nicht herausziehen konnte. Ein Fuß ganz
oben, der andere noch tief im Schnee. Ihre Gesichtsfarbe war
bereits leichengelb, der Mund ganz voll Schnee. Ich reinigte ihr
den Mund, machte ihren nnen Arm frei und bemühte mich, durch
Heben und Drücken auf die Brust wieder Leben zu erwecken. Alle
meine Mühe war aber umsonst. Obwohl der ganze Körper bis auf
den einen Fuß in der von mir gegrabenen Höhle freilag, konnte
ich ihn nicht herausbringen. (Der Rucksack war noch im Schnee ver<
klemmt, wie sich später herausstellte.) Nach 10 Minuten mußte ich
einsehen, daß Frau Noll nicht mehr zu erwecken war. Ich rief dies
Pfann zu, Das Seil zu Pfann schnitt ich auch durch, sicherte die
Leiche der Frau Noll am 15 m Seilstück und ihren Pickel, den ich
seitlich im Lawinenschnee der Spalte fand und ging zu Pfann hin¬
auf. Diesen zog ich von der Spaltsnbrücke, auf der er lag und die
sich einsturzbereit über mir wölbte, weg zum Rand, und'hinterließ
ihm meine ganze Wäsche und Eßvorr'äte. Ich muhte Hilfe holen,
(Fr. Noll konnte ich nicht mehr helfen) den ganzen steilen Schnee«
hang, den wir herabgefallen w^rsn, wieder hinauf, teils Stufen
schlagend, teils die drohenden oben noch hängenden Schneebrett¬
reste vermeidend, den Kamm erreichen.

Der Absturz erfolgte um 4 Uhr 15 (ineine Uhr blieb stehen).
Um 6 Uhr verließ ich Pfinn und Fr. Noll. Den Schalliberggletscher.
arm nördlich der WeißhornlMe stieg ich unter ständiger Gefahr
in Spalten einzubrechen ab, fiel auch trotz aller Vorsicht in die
Randklust, konnte mich aber wieder herausschnellen und erreichte
dann um 8 Uhr abends die Weitzhornhütte. Eine Partie von 2
Herren und 2 Führern schlief dort bereits. Ich trug sofort den
Führern auf, nach Randa abzusteigen. Selbst konnte ich es nicht
mehr, denn ich hatte eine Vrustquetschung erlitten und konnte nur
unter großen Schmerzen atmen. Um halb 9 Uhr etwa verließ der
Führer Perren die Hütte und eilte mit einem von mir auf einen
Zettel geschriebenen Bericht, der an das Hotel Mont Eervin in
Zermatt gerichtet war, nach Randa. Wetter schlecht, Regen und
Graupeln durcheinander."

Hermann Trier.

Bereits kurz, nach 10 Uhr traf die Unglücksnachricht in Zermatt
ein. Der Besitzer der Seilerschen Gasthöfe, Dr. Seiler, stellte sich
sofort in den Dienst der Rettungsexpedition, ließ die erforderlichen
Gegenstände yerbeitragen und zwei Wagen anspannen. Auf diesen
fuhren der Leiter der Expedition, Herr Versluys, ein alter Türen«
freund der Fr. Noll, mit seinen zwei Führern, ferner Dr. W.
Martin als Arzt, Dr. Borchers, Mitschunas und Rüsch (die beiden
Letzteren waren gerade von einer Besteigung der Dent d' Hörens,
4180 m, zurückgekehrt), um 11 Uhr nachts nach Randa.

Der Führer Penen hatte sofort nach seinem Eintreffen in
Randa (1445 m) auch die dortige Rettungsstelle alarmiert und so-»
gleich waren mehrere Randaer Führer zur Weißhornhlltte (2859 m)
aufgebrochen. Andere folgten. Ebenso die Kolonne aus Zermatt, die
gegen 1 Uhr nachts aus Randa abmarschierte. Voran lief Versluys
in einem 600 m-Stundenlempo. Die Nacht war völlig dunkel (Neu»
mond), der Pfad, der anfangs durch Wald führt, ist schlecht. Um
halb 5 Uhr früh konnte die erste Hilfskolonne von der Weißhorn-
Hütte abmarschieren und traf um halb 6 Uhr bei Punkt 3365 nahs
der Unfallstelle ein. Andere folgten, sodaß neben den Turisten 14
Führer und Träger anwesend waren, während drei weitere Führer
später einen Schlitten, Beinschienen usw. zur Hütte trugen.

Dank der warmen Nacht wurde Pfann verhältnismäßig wohl
aufgefunden. Bei Frau Noll konnte der Arzt nur noch den Tod
durch Erstickung feststellen. Ihre Leiche wurde in einen Sack
gehüllt, über den etwa 55—60" steilen Firnhang hinaufgezogen
und von 5 Führern zur Weißhornhü'tte gebracht. Pfann bekam
zur Linderung feiner Schmerzen eine starke Morphiumeinspritzung.
Sein gebrochenes linkes Bein wurde mit Hilfe von zwei Brettern
und Wickelgamaschen geschient, dann wurde er auf eine Tragbahre
gebunden und so von 6 Führern, denen zwei zum Stufentreten