Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenuereins
Nr. 2
gen Westalpenführern getragen wird, erscheint als Archaismus.
Und doch weiß jeder, um wieviel vorteilhafter auf Schneewande¬
rungen (Schifahrten) das lange Beinkleid ist. Schneedichwng und
Källeschutz sind besser, das Knie kann sich frei bewegen und der
große Lustgehalt macht sich angenehm bemerkbar. Daß die Hosen¬
beine beim Klettern oder beim Gehen mit Steigeren hinderlich
feien, ist ein Werglaube. Als Material ist auch hier das glulte
Segeltuch, an dessen Oberfläche kein Schnee haften kann, das Ge¬
eignetste. Die Verbindung mit den Schuhen wird durch Schneestrel¬
fen oder durch Schnürgamaschen aus Plachenstoff, die auch den
Vorfutz bedecken, hergestellt.
Als Kopfbedeckung dient auf Eisturen ein breitkrempiger, nicht
zu dunkler Filzhut; zum Schütze, der Ohren ist eine Zipfelhaube an¬
genehm Den besten Sturmschutz bietet eine Segeliuchhaube. die nur
das Gesicht von den Augen bis zum Mund frei läßt, unter den
Nacken hinabreicht und seitlich mit Klappen (ähnlich wie Scheu¬
klappen) mit Gummiband versehen ist, die von der Seite kommen¬
den Wind, vom Gesichte abhalten. Bei Sturm und großer Kälte
trägt man eine dicke Fettschicht auf das Gesicht auf.
Für die Hände ist Abhärtung das einzige, das man empfehlen
kann; im schwierigen Gelände ist einfach unmöglich, in Fäustlingen
oder Handschuhen sicher zu klettern. Man kann höchstens wollge¬
fütterte SegeltuchhandsckMhe (Leder wird bockig steif), von denen
das oberste Stück der Finger abgeschnitten ist, tragen. Auf Firn
und leichtem Gelände zieht man durch Schnur miteinander ver¬
bundene wasserdichte, wollene Fäustlinge an.
Der Fuß ist wohl derjenige Körperteil, der Erfrierungen am
meisten ausgesetzt ist. Man hat deswegen, als der Schilauf aufkam,
!d<is kalte Leder durch Fell zu ersetzen versucht. Die Erg,?bniss?
waren nicht ermutigend und so griff man wieder zum Leder, das
heute die Alleinherrfchaft innehat. Trotzdem behaupte ich, auf Grund
längerer eigener und fremder Erfahrungen, daß der aus starker.!
Segeltuch hergestellte, mit Filz gefütterte Schuh einen bedeutend
besseren Kälteschutz gewährt.
' Nachstehend die Wärmeleitungszahlen:
,., Luft 1^—, Wollfilz 1.25, Kork 1.3, Leinen 2.0—2.5, Lohgares
Rindsleder 2.—, Lohgares Rindsleder gefettet 2.6, Kiefernholz quer
zur Faser 1.3, Kiefernholz längs der Faser ca. 4—.
Die, Sohle besteht natürlich aus Leder; Zehenkappe und After,
sowie der, Schaft auf 5 cm Höhe sind mit Leder befetzt. Vor allem
auf Schifahrten,, sowie, auf Türen, die hauptsächlich ins Eis, füh.en.
zeigt der Schuh seine Vorteile, auch Fels ist er gewachsen, nur Schutt
>und, Geröll hält er auf die Dauer nicht aus. Ich habe allerdings
Hamdlkar und dergleichen mit solchen Schuhen begangen, ohne daß-
fic Schaden genommen hätten; a>uch Kletterschuhe werden ja öftecs
in solchem Gelände verwendet. Ein Schuhüberzug aus Sacklein¬
wand, wie er öfter empfohlen wird, kann außer beim Schifahrcn
nur getragen werden, wenn man mit Steigeisen geht, doch bereitet
das Anpassen viel Mühe; Zdarsky gibt eine gute, aber komplizierte
Anleitung hiezu.
Von den Socken (2—4 Paar) soll das innerste Paar aus dicker
Wolle bestehen, wogegen man für die äußeren besser Vamnwoll?
wählt. Die Wolle läßt die Ausdünstung durch, so daß die am Fuße
anliegende Schicht trocken bleibt und die Baumwollsocken die Aus¬
dünstung aussaugen. Leinensocken sind zu wenig elastisch und mil¬
dern im Gegensatz zu Wolle und Baumwolle die Erschütterungen
nicht. Das Einfetten der Socken, das man öfter sieht, verbessert
ihre Närmeleitung und vermindert ihre Schweißaufsaugungsfahig-
keit. Daß es wärmer hält, die Füße in Zeitungspapier einzupacken,
habe ich nicht gefunden; man findet am Abend gewöhnlich das Pa¬
pier in kleine Stücke zerrissen. Einlagesohlen aus doppeltem Filz,
durch eine Pappendeckelzwischenlage verstärkt, find angenehm.
Bezüglich des Biwaks darf ich wohl auf die Vergfteigerlehr-
ibücher verweisen, Wollschwitzer. Lederweste, Zdarsknzelt, Papier,
das man in die Kleider stopft, Meta, find das Wichtigste. An den
Ecken des Zeltes befestigt man zweckmäßig zwei Schlingen, um es
mit Hilfe von Pickeln, Schiern, Felszacken und Rebschnur aufstel¬
len zu können. Eine Schlinge im Innern dient zum Aufhängen
der Laterne.
Ich habe mit der geschilderten Ausrüstung im Sommer und
Winter, im Mittelgebirge wie auf Viertausendern, die besten Er¬
fahrungen gemacht, möchte aber noch die Aoußerungen von Polar¬
forschern und Mitgliedern der Eoerest-Expedition über Erfahrungen
mit ähnlichen oder anderen Kleidungsstücken zitieren.
„Unsere Kleidung wird am Tage mehr und mehr zu einem Eis¬
panzer und nachts zu nassen Bandagen. Im Laufe des Tages hat¬
ten fich die Ausdünstungen des Körpers nach und nach in der äuße¬
ren Kleidung verdichtet, die fo eine Eismasse bildete und zu einem
Eispanzer gefror. Er war fo hart und steif, daß er, wenn wir ihn
nur hätten ausziehen können, allein gestanden wäre." „Davon, daß
wir die Kleider auf der Reife trocken bekommen konnten, folange
die Kälte anhielt/ war keine Rede." Dr. Otto Nordenskjöld fchreibt:
(Ueber Schutz gegen große Kälte, Deutsche Revue, Februar 1915):
„Der lappländische Winterpelz „Muoddar" ähnelt im Aussehen
einem Hemd mit einer kurzen Oeffnung vorn an der Brust. Er ist
sehr weit, was durch starke Aufschürzung noch mehr hervortritt,
nicht sehr lang. Die Vorzüge liegen darin, daß er durch seine Weite
eine Lüftung zum Vermeiden einer zu starken Transpiration er¬
laubt, welche fönst die Kleidungsstücke feucht machen würde." Wei¬
ters empfiehlt er Windjacken und Hosen, aus Segeltuch und schreibt
über das Schuhwerk: „Die gewöhnlichen hohen üederstiefel ver¬
sagen bei großer Kälte fast'ganz, besonders wenn, man nicht Ge¬
legenheit hat, sie jede Nacht in der Wärme zu trocknen; durch dis
Transspiration werden sie bei. der Bewegung auf der Innenseite
feucht und frieren dann, wenn man stillbleibt, zu emem harten
Panzer
...
Am besten vermeidet man auf schweren Einwanderun¬
gen in strenger Kälte soweit als möglich das Leder im Schuhzeug.
Statt dessen kommen als Material vor allem Tierfelle und Segel¬
tuch zur Verwendung. Erstere lassen sich nur benützen, wo der Bo¬
den einigermaßen weich ist, Schnee, nicht hartes Eis, und wo man
nicht riskiert, Feuchtigkeit oder Wasser in flüssiger Form anzutref¬
fen
...
Deshalb hat man in letzter Zeit versucht, sie durch Stiefel
aus dickem Segeltuch mit fester Lederfohle und Üederverbindung zu
ersetzen, und diese haben sich fehr gut bewährt. Man macht sie weit
genug, um mehrere Strümpfe anziehen zu können. Sie find leicht,
bequem und verhältnismäßig billig, man kann sie leicht von Eis
und Schnee rein bürsten und wenn sie feucht werden, so lassen sie
fich ohne Schwierigkeit trocknen."
Amuntüsen war während des Marsches folgendermaßen geklei¬
det (Die Eroberung des Südpols. Bd.
I
S. 176/7, Bd.
II
S. 714):
„Doppeltes Unterzeug aus N^lle, von dem das auf dem Körper
getragene ganz dünn war Auf dem Hemde wurde entweder eine
gewöhnliche Weste oder eine verhältnismäßig leichte, gestrickte wol¬
lene Jacke gelragen. Außen dann kam unser ausgezeichneter Bür-
berry-AnHug — Beinkleider und Jacken." Die Form, des Wind¬
anzuges glich der von mix" oben beschriebenen. Die Schuhe, bestan¬
den aus einer Ledersohle und einem Segeltüchschaft., Auch die. Fäust¬
linge waren aus Segeltuch gefertigt. Shackleton verwendete (21
Meilen vom Südpol. Bd.
I.
S. 15/16, 23. 204/205) nach den Erfah¬
rungen der Discovery-Expedition wollenes Unterzeug und einen
Windanzug aus Burberry. Aehnlich war die Ausrüstung der
Mount-Eoerest-Expedition (Assault on Mount Euerest 1922. S. A67.
59, 62, 255, 187, 266): „Einige. dünne Lagen, deren innerste aus
Seide bestehen soll, die anderen aus leichter Wolle, bilden einen piel
besseren Kältefchutz als nur zwei starke Lagen. Das H)auptstück der
Kleidung feien eine Jacke und eine Hose aus windfestem Stoff.
Zwei dieser Nindanzüge sollen übereinander getragen werden und
alles angewendet werden, um den Luftzutritt auf das geringste Maß
zu beschränken. Kopf und Hände sollen nach denselben Grundsät¬
zen bekleidet werden." „Leder leidet die Wärme zu gut, als daß
es als Kälteschutz auf den Schuhen verwendet werden könnte. Das
Oberteil soll aus Filz fein, wo nötig durch Leder verstärkt, von ge¬
härtetem Sogeltuch bedeckt. Zehen- und Fersenkappe müssen hart
und versteift sein, und besonders erstere soll hoch sein, damit die
Zehen viel Raum haben. Die Sohle bestehe aus einer Schicht dün¬
nen Leders, die an einer Lage dreifachen Holzes mit zwei Gelenken
unter dem Rist befestigt ist. Die Innenfeite der Sohle bilde eine
Filzlage."
Auch in den Alpen hat man bereits Segeltuchschuhe verwendet;
es wurden damals von Emmer und anderen mit ihnen gute Er¬
fahrungen gemacht. (Siehe Mitteilungen 1887 S. 155, 221, 244.)
Leider find diese Schuhe seither in Vergessenheit geraten, doch hoffe
ich, daß vielleicht durch diese Zeilen angeregt, einige Vereinsgenossen
wieder Versuche mit ihnen machen werden.
Das Ergebnis der Untersuchung ist also, daß der Bergsteiger
um gegen die Kälte gut geschützt zu sein, vom Kopf bis zu den Fü¬
ßen in Segeltuch gehüllt sein solle. Elegant ist das nicht, aber prak¬
tisch, da das Segeltuch außer den oben angeführten Vorteilen auch
die hat, billiger und widerstandsfähiger als die meisten anderen
Stoffe zu fein und wenig zu fchmutzen.
Erwiderung von Ina,. Eduard Pichl.
In Nr. 24 der „Mitteilungen" vom 31. Dezember 1925 erschien
von Dr. W. Hofmeier als Vorsitzendem der „Vergsteigergruppe"
im D. u. Oe. A. V. unter obiger Ueberschrift ein „Nachwort zur
H. V.". Die dort gegebene Darstellung kann nicht unwidersprochen
bleiben. Es wird gemeint, daß die S. S. Austria und Innsbruck
einen unbegründeten Ansturm auf die Tölzer Richtlinien und die
Bergsteigergruppe unternommen hätten, daß „ganz falsche Ansich¬
ten über die vermeintlichen Pläne der Vergsteigergruppe geäußert
und viele Stunden kostbarer Zeit verwendet wurden, um mit Eifer
Meinungen und Absichten zu bekämpfen, die niemals vorhanden
waren"; die Bcrasteigergruppe habe sich auf zwei kurze Erklärun¬
gen beschränkt, «um nicht im Streit um Einzelheiten die kostbare
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