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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.54 (1928)
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Nr. 4

Mitteilungen des Deutschen, und Osterreichischen Alvenvcreins

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harscht, an den hängen des Sonnblicks glasig verharscht.
Nun herrschte am 20. und 21. März ein furchtbarer Sturm
mit geringem Schneefall. Der Sturm, der Zuerst von Süd»
west, dann von Süd kam, ließ den wenigen Schnee nicht auf
alle Flächen gleichmäßig verteilt niederfallen, fondern trug
ihn auf wenige windgeschühte Stellen zusammen. Man darf
sagen, daß gerade am Sonnblick neun Zehntel der Schnee»
flächen vom Neuschnee unbedeckt und verharscht blieben, wäh»
rend auf einem Zehntel die gefallene Schneemengc sich an«
fammelte. So hat sich bei der Gabelung des Mafchintalcs
und des vom Neubau herabführcnden Tales eine ziemlich
große Schncemasse angesetzt und bildete eine Schneewehe, die
besonders bei.unsichtigem Wetter, wie es am 21. März der
Fall war, sehr leicht als natürlicher Rücken angesehen werden
konnte. Nur so kann ich es mir erklären, daß die Verunglück»
ten, die alpine Erfahrung hatten, diese Schneewehe betreten
haben. Durch die Last der 17 Personen und dadurch, daß
durch ihre Fußspur die Spannung der Schneedecke und der
Zusammenhang mit dem dberen Teil unterbrochen wurde,
mußte die Schnccmenge, die auf glatter Unterlage sich befand,
ins Gleiten kommen. So absurd es klingt, geschah das An»
glück nur dadurch, weil sehr wenig Schnee gefallen war, wo¬
durch die Umgebung der Schneewehe vom Neuschnee frei und
glasig verharscht blieb, daher die Lawine auf dem nicht
steilen Grunde des Maschintales keinerlei Hindernis oder
Widerstand fand.

Der Vorgang bei der Loslösung der Lawine dürfte nach
den Aussagen der überlebenden und nach meiner Vcurtei»
lung folgender gewesen sein. Die 17 Teilnehmer sammelten
sich bei der Ankunft beim Nadhaus, bevor sie in das Maschin¬
tal niederstiegen. Der Führer der Partie und noch drei,
von denen einer, wie er erzählte, im unteren Teil aus der
Lawine herausgeworfen wurde, stiegen mit einigen Schritten
Distanz in das Mafchintal ein und hielten sich ganz richtig
auf dessen linker Seite. Auch der Abstieg im Talboden selbst
wäre kein Fehler gewesen. Die übrigen vierzehn folgten,
nach ihrer Lage in der Lawine zu schließen, ziemlich auf»
geschlossen nach. Von rückwärts soll nun den Vorangehenden
zugerufen worden sein: Nechts halten!" Ob dies von ihnen
befolgt wurde, läßt sich nicht feststellen. Auch einer der Ge»
rcttr'ien, mit dem ich sprach, konnte diesbezüglich nichts Posi¬
tives angeben. Ich vermute aber, daß dem Zuruf keine Folge
geleistet worden ist, weil der Gerettete aus der linken Seite
der Lawine herausgekommen ist. Aus der Abbruchstelle der
Lawine ist aber zu schließen, daß die dreizehn irrtümlich
rechts gegangen sind. Ich erkläre mir dieses vorzeitige Ab¬
weichen nach rechts damit, daß sie die in der Marschrichtung
links befindlichen Steilabstürze gegen Kolm-Saigurn unbe¬
dingt vermeiden wollten. Auch scheinen sie der Meinung ge»
wesen zu sein, sich schon am Ende des Maschintales zu be»
finden, wo die Wegroute tatsächlich in beinahe rechtem Winkel
nach rechts führt. Im Schneesturm, wo jeder Schritt er»
kämpft werden muß, ist es leicht möglich, daß man glaubt,
eine größere Wegstrecke zurückgelegt zu haben, als es in
Wirklichkeit der Fall ist. Auch täuschte die Erweiterung des
Tales bei der Einmündung des Tales, welches vom Neubau
hcrunterführt. Wahrscheinlich und leider bemerkten sie nicht,
daß sie sich auf Windharscht bewegten, was aber in diesem
furchtbaren Schneesturm zu beurteilen oft für den gewiegten
Alpinisten schwer ist.

Ich bin weit davon entfernt, den Armen Vorwürfe zu
machen, sondern will nur untersuchen und überprüfen, wie
solches Unheil zu vermeiden wäre. Es ist empfehlenswert,
sei es bei Nacht odei? im Schneesturm wie auch im Nebel, wo
die Orientierung nur mit Kompaß und Höhenmesser möglich
ist, sich der Kursskizze zu bedienen, die die Fehler und Irru
gen in der Nichtung, in der Höhenlage und in der Distanz
sicherlich nicht zugelassen hätte. Den Dahingegangenen auch
vorzuwerfen, daß sie keine Distanz gehalten und keine La»
winenschnürc verwendet hätten, wäre sehr ungerecht, denn
bei dieser geringen Neuschneemenge, die ja, wie ich oben er»
wähnte, den größten Teil des Geländes freiließ, bestand auf
der normalen Route keine Lawinengefahr, und waren diefe
Vorsichtsmaßregeln nicht notwendig gewesen, um so weniger,
da der starke Schneesturm, um die Verbindung nicht zu ver»
liercn, für geschlossenes Gehen riet.

Ich will damit aber nicht sagen, daß Distanzhalten und
Verwendung von Lawinenschnürcn bei dem Unglück nicht von
großem Vorteile gewesen wäre, denn wäre Distanz eingehal¬
ten worden, so hätten die Schneemassen jedenfalls nur einige
in die Tiefe mitgerissen und der größte Teil wäre verschont
geblieben. Diese hätten den Verschütteten sofort zu Hilfe eilen
und sie vielleicht noch retten können. Auch das Auffinden
der Verschütteten wäre bei Verwendung von Lawinenfchnüren
bedeutend erleichtert worden.

In Fällen von starkem Schneesturm, dichtem Nebel oder
bei Nacht, wenn man das Gelände und die Schneedecke nicht
genügend beobachten, also auch Lawinengefahr überfehen wer»
den kann, ist die Verwendung von Lawinenschnüren immer
angezeigt, wodurch man auch gezwungen ist, Distanz zu Hai»
ten. Vei Sturm, wie in diesem Falle, ist es vorteilhaft, um
die Verbindung nicht zu verlieren, die Lawinenschnüre in der
Weife zu benutzen, haß das nachschleifende Ende vom ^iach»
folgenden gehalten wird, ohne sich aber fest zu verbinden.

Das Unglück entstand rein nur durch das unbemerkte V
treten der hartgcwchtcn Schneewehe, die bei der Gabelung
des Maschintales in einer Höhe von etwa 2100 m abbrach
und in etwa 1800 m Höhe zum Stehen kam.

Verkehr.

Die Auskunstssielle Ealzkammcrgut" für die Mitglieder
des D. u. Q. A.-V., Gmundcn, Lehen Villa, bringt zur Kennt¬
nis, daß Auskünfte nur mehr erteilt werden, wenn der An¬
frage ein „Antwortschein" beigelegt ist, der bei jedem
österreichischen und reichsdcutschcn Posta.mt erhältlich ist.

Alpcnvereins-Sonderzüge 1928 in Österreich. Zu diesen
ab Wien verkehrenden Sonderzügen werden zu den
ermäßigten Fahrkarten auch Platzkarten ausgegeben, so daß
jeder Teilnehmer seinen gesicherten Sitzplatz hat. Es können
auch Gäste zu etwas höheren Preisen teilnehmen. Folgende
Züge sind geplant: am 1. Mai nach Krems (Wachau); vom
25. bis 28. Mai nach Schladming; vom 26. bis 28. Mai
nach Graz; am 10. Juni nach Puchbergam Schneeberg;
am 30. Juni nach Villach über Klagenfurt; am 7. Juli nach
Innsbruck; am 14. Juli nach Lienz ; am 28. Juli nach
Innsbruck; am 28. Juli ins Salzkammer gut;
am 4. August nach Spittal-Millstättersee über
Tauernbahn; am 11. August nach Lienz; am 18. August
nach Innsbruck. Vei den Zügen vom 30. Juni an erfolgt
die Rückfahrt beliebig mit jedem fahrplanmäßigen Zug, da
die Fahrkarten 30 Tage gültig sind.

Personalnachrichten.

Professor Dr. Karl Diener 5. Unter jenen Männern der
Wissenschaft, die sich die Erforschung der Natur zum Lebens¬
ziele gewählt haben, finden sich nicht wenige, die durch ihre
jugendliche Begeisterung für unsere Alpen diesem Zwecke zu¬
geführt worden sind. Es war insbesondere die durch Professor
Simony, dem altbewährten Erforscher des Dachstein»
gebirges, gepflegte, auf geologischer Grundlage fußende Rich»
tung der Geographie, die auf die jungen Bergsteiger jener
Zeit anziehend wirkte und auf deren Naturempfinden und
Wissensdrang einen anregenden Einfluß ausübte.

Zu diesen Männern zählt in hervorragendem. Maße der
am 6. Januar nach langem und qualvollem Leiden verstorbene
o. Professor der Paläontologie an der Wiener Universität
Dr. Karl Diener, dessen Hingang sowohl in den Kreisen
der Wissenschaft als auch in jenen feiner alpinen Freunde
eine empfindliche Lücke zurückgelassen hat.

Geboren im Jahre 1862 als der Sohn eines kunstsinnigen
Wiener Industriellen, der dem Knaben schon frühzeitig die
Liebe zur Alpenwelt einzupflanzen verstand, absolvierte er
1879 mit Auszeichnung das Landstraßer Gymnasium und
wandte sich sodann naturwissenschaftlichen Studien an der
Wiener Universität zu. Diese fanden ihren Abfchluß im
Jahre 1883 durch seine Promotion zum Ooctor pkil. »ud
auspicii» impcrator^ auf Grund einer Dissertationsarbeit
über das Icmmtal in Tirol.

Im Jahre 1906 zum Ordinarius der Lehrkanzel für Palä"
ontologie ernannt, bekleidete er 1919/20 die Würde eines
Dekans der philosophischen Fakultät und wurde 1922 zum
Aocwr magniLcu« der Wiener Universität erwählt.

In dieser hohen Stellung erwarb er sich durch sein mann»
Haftes Auftreten die Zuneigung der national fühlenden aka-
demischen Jugend, was noch anläßlich der Trauerfcierlichkeit
nach seinem Hinscheiden ergreifenden Ausdruck fand.

Dieners Beziehungen zur Alpinistik waren innig ver»
knüpft mit wissenschaftlichen Studien, die ihn allmählich mit
der Welt des Hochgebirges, nicht allein mit den gesamten
Ost» und Westalpen, sondern auch mit überseeischen Gebieten,
sogar mit dem Himalaja, vertraut gemacht haben.

Schon als Siebenjähriger von seinem Vater in die Vor»
alpen eingeführt, wodurch ihm die Liebe zur Alpenwelt ein»
gepflanzt wurde, lernte er bald das angrenzende Hochgebirge
kennen, bestieg mit Lokalführern fchon mit 16^2 Jahren den
Watzmann und das Kitzsteinhorn und stand als Jüngling
bereits auf dem Iermatter Weißhorn.