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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.01 (1870)
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J. Stüdl.

thales etwas zugenommen hat , so steht derselbe noch in
keinem Verhältnisse zu der leichten Zugänglichkeit, zu der
grossartigen Pracht und reichen Abwechselung, die sich hier
entfalten. Der Besuch des Stubachthaies ist vollends ein so
geringer, dass ein Tourist, der sich dahin verirrt, unter den
Einheimischen geradezu Staunen erregt.

Seit jeher hatten all' diese von dem grossen Touristen¬
schwarme gemiedenen , stillen Hochalpenthäler einen ganz be¬
sonderen Reiz für mich. Um so freudiger ergriff ich daher
den Vorschlag meines Freundes Karl Hofmann aus München,
eines begeisterten Alpenfreundes und unerschrockenen Berg¬
steigers, jene so selten besuchten Theile der Glocknergruppe
mit ihm zu durchwandern und unsere Kenntnisse über dieses
äusserst interessante Gebiet zu vervollständigen. Der Anfang
sollte mit dem Stubachthaie gemacht werden. Wir gedachten
unsere Wanderungen unter der Leitung der zwei bewährtesten
Kaiser Führer Josef Schnell und Thomas Groder zu unterneh¬
men und hatten diese beiden nach Uttendorf im Oberpinzgau
bestellt, wo wir am 21. Juli einzutreffen beabsichtigten.

So wanderten wir denn an genanntem Tage nach einem
höchst unerquicklichen Bivouak, das wir bei Gelegenheit des
direkten Abstiegs von der Mittleren Watzmannspitze in das
Wimbachthal hoch über der Thalsohle zu nehmen gezwungen
waren, durch die Ramsau über den Hirschbühel nach Saal-
felden. Von hier fuhren wir auf einem flotten Wägelchen
unserem nächsten Ziele, Zell am See, zu. Es war ein klarer,
wolkenloser Abend! Die stolzen, wilden Kalkmassen des Stei¬
nernen Meeres und der Uebergossenen Alpe kleideten sich lang¬
sam in den Purpur der untergehenden Sonne. Sie boten einen
lehrreichen Gegensatz zu dem im Süden emporragenden Ur-
gebirge der Tauern mit seinen, funkelnden Eisgefilden. Unaus¬
löschlich wird jedem Besucher des Zellersees jener herrliche
Doppelblick in Erinnerung bleiben.

Nach und nach senkte sich kühle Dämmerung herab, und
aus den Sümpfen des Salzachthaies stiegen Nebel empor; wir
setzten trotz der späten Abendstunde unsere Fahrt von Zell
am See noch bis Uttendorf fort. Nach 10 Uhr näherten wir