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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.01 (1870)
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Wissenschaftliche Aufgabe für Alpenclubs. 579

doch einer nach dem andern ah, und wenn nie Samenbildung
eintritt, so stirbt die Art auf dieser Localität gänzlich aus.

Der Mangel der Vegetation auf manchen schneefreien
Inseln würde also dadurch bewirkt werden, dass Pflanzenarten,
welche durch herbeigewehten Samen sich anzusiedeln beginnen,
immer wieder verschwinden , weil sie wegen zu kurzer Vege¬
tationszeit nie zur Fruchtbildung gelangen , oder weil die
Individuen allzuhäufig den Sommer über unter dem Schnee
vergraben bleiben, in Folge dessen schwächlich werden und zu
Grunde gehen , so dass sie diejenigen seltenen Sommer nicht
erleben, in welchen sie Samen bilden könnten. Ist dies richtig,
so würde eine mit Pflanzen besetzte , hochalpine Localität,
wenn das Klima sehr langsam rauher wird, nach und nach
ihre Pflanzenarten verlieren , und zuletzt , noch ehe sie voll¬
ständig mit Schnee zugedeckt wird, vegetationslos sein.
Dies ist vorerst noch nicht durch Thatsachen bewiesen, sondern
eine durch Analogieen gestützte Theorie. Beobachtungen in
der angegebenen Weise werden uns zeigen, ob sie gegründet
ist, sie werden uns ein wichtiges Moment an die Hand geben,
um uns eine Vorstellung bilden zu können, wie zur Zeit der
Erhebung der Alpen eine aUfällig vorhandene Vegetation sich
bei der eintretenden Vereisung verhalten musste ; sie werden
uns aber ausserdem über die Beziehungen der jetzt lebenden
hochalpinen Gewächse zu den klimatischen Verhältnissen Auf¬
schluss gewähren.

Dem Alpenwanderer sind die letzten Repräsentanten des
Lebens, bevor er das ewige Reich des Todes betritt, von be¬
sonderem Interesse, und er erblickt, nachdem er oft längere
Zeit in der Schneeregion gewandert, mit lebhafter Theilnahme
die wenigen Geschöpfe, die ihn auf einem schneefreien Grat
begrüssen. Auch der Laie bemerkt, dass die Pflanzenformen,
die er hier antrifft, häufig die gleichen sind, dass sie aber
doch zuweilen auch wechseln. Man hat die obere Grenze für
die Gefässpflanzen überhaupt und für die einzelnen Arten der¬
selben bestimmen wollen. Aber diese Bestimmungen haben,
wenn nicht noch andere Verhältnisse in's Auge gefasst werden,
wenig Werth, da die Grenzen allzu grosse Schwankungen zeigen.