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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.02 (1871)
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Stüdl, Kais.

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8. Kais.

Von J. Stüdl.

Wenn einem Touristen auf seinen Wanderungen im
Hochlande ein Unfall begegnet und er hiedurch gezwungen
wird, an einem Orte des Gebirgs längere Zeit zu verweilen,
so ist es gewiss nicht gleichgültig , wo er die Tage seiner
Reconvalescenz zubringen muss. Wie verzweifelt ist die Situ¬
ation, wenn man z. B. an, eine elende Sennhütte festgebannt,
auf die primitivste Hilfe angewiesen ist, um die Besserung
des Leidens abzuwarten. Herzlich froh war ich daher, als
endlich das traute Kais, wenn auch mit einiger Mühe und
unter nicht unbedeutenden Schmerzen erreicht war, wo
ich der aufmerksamsten Pflege meines leidenden Fusses
versichert sein konnte.

Doch will ich sie nicht erst aufzählen all die Beweise der
zärtlichsten Sorge von Seiten der Wirthsleute Groder, der
liebevollsten Theilnahme der gesammten Führerschaft und
vieler Bewohner von Kais, sondern vielmehr die Zeit be¬
nützen, um den Leser mit dem Orte und dessen Bewohnern
bekannt zu machen. '

Das Dörfchen Kais, nach Keil 4145' 1279 ra hoch gelegen,
war bis in die jüngste Zeit beinahe ein gänzlich unbekannter
Ort. Diess darf uns jedoch nicht wundern, sind ja viele
andere, weit leichter zugänglichere, weit schönere und
und grossartigere Thäler unserer Alpen bis auf den heutigen
Tag beinahe unbesucht, umsomehr denn Kais, das zwar
eine reizende Lage mitten in den herrlichen Alpenscenerien
hat, jedoch ringsum von hohen Bergen eingeschlossen ist,
über welche meist nur Pässe von 7—8000' Höhe den Zugang
vermitteln, während auch die Thalsohle bis heute noch nicht
jene bequeme Verbindung mit der Poststrasse bietet, wie
es im Interesse der Bewohner und der Touristen zu wün-

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