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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.02 (1871)
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Stüdl, Kaiser Thörl.

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Obwohl dieselbe keine so hohen Spitzen wie die Glockner-
und die Venedigergruppe aufzuweisen hat, so bieten doch
die wild aufstrebenden Wände des pyramidenartigen Glödis
und Ganot, sowie der eisbedeckte Gipfel des Hochschober,
zu dessen Füssen der Ralfgletscher zum Thale hinabzieht,
einen so imposanten Anblick, dass wir diesen Gebirgsstock
fast als den malerischesten und effektvollsten Theil des
ganzen Panoramas erklären möchten. Besonders grossartig
ist der Eindruck dieser Rundschau , wenn wir am frühen
Morgen, noch besser aber gegen Abend das Thörl erreichen.
Die Mannigfaltigkeit und reiche Abwechslung der Gegen¬
sätze, das kahle Gestein, die leuchtenden Firnen der obersten
Regionen, die von Sonnengold angehauchten Abhänge, dazu
das Grün der Wälder und die üppigen Fluren des Thaies,
über welche sich mächtige Schlagschatten lagern, geben ein
farbenprächtiges Bild, das gewiss jedem unauslöschlich in
die Seele sich einprägen wird, der die geringe Mühe dieser
Partie nicht gescheuet hat. — Leicht kann sich ja jeder
Besucher von Kais den Hochgenuss verschaffen ! — Haben
wir noch dazu einen klaren Tag getroffen, wölbt sich über
diese Pracht ein wolkenloser Himmel, so werden wir erst
nach stundenlangem Verweilen es über das Herz bringen
können, den herrlichen Aussichtspunkt wieder zu verlassen.

Wenn der Tourist dem Besuche des Kaiser Thörls
einen ganzen Tag widmet, und er wird es — wenn nur
das Wetter günstig ist — sicher nicht bereuen , so kann
er sich diesem Anblicke mit vollster Müsse hingeben, da
der Rückweg nach Kais bloss eine Stunde und der Hinab¬
weg nach Windisch-Matrei nicht mehr als l J /* Stunden in
Anspruch nimmt.

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